Ein Jahr, nachdem Premier Jean-Claude Juncker im Anschluss an die Kammerwahlen glaubte, auf die Dienste seines ziemlich eigensinnigen und nie sonderlich populären Ministers Jean-Louis Schiltz verzichten zu können, gab dieser ihm nach eigenen Angaben im vergangenen Herbst zu verstehen, dass er keine Lust an seinem neuen Amt als Fraktionssprecher der CSV habe. Vielmehr fragte er sich, ob er nicht den ganzen Laden hinschmeißen solle.
Da hatte sich Schiltz gerade durch eine vom Aufstand der Gewerkschaften und der LSAP ausgelöste Koalitionskrise gekämpft, und der wirtschaftsliberale Flügel der Fraktion, zu der auch Schiltz zählt, sparte nicht mit Kritik an der angeblichen Nachgiebigkeit und Ungeschicklichkeit ihrer Partei und ihres Premiers. Dass der seinerzeit ohne viel Federlesens von ihm abgesetzte Generalstabschef der Armee Mitte Dezember vor Gericht Recht gegen ihn bekam und er sich dafür allerlei Kritiken und unterschwellige Drohungen anhören musste, ermutigte Schiltz wohl nicht gerade, zu bleiben. Deshalb verlas er am gestrigen Donnerstag steif eine Erklärung, laut der er in den nächsten Wochen „einen Schlussstrich unter [s]ein politisches Wirken“ ziehen und sämtliche Ämter niederlegen werde, um sich wieder voll seiner auf Wirtschaftsrecht spezialisierten Anwaltskanzlei zu widmen.
Dem Amt des CSV-Fraktionssprechers kommt eine Schlüsselposition im CSV-Staat zu, weil er im politischen Alltag und noch mehr in politischen Ausnahmesituationen der Regierung die notwendigen parlamentarischen Mehrheiten zum Regieren beschaffen muss. Wenn er nun mitten in einer Legislaturperiode zurücktritt, zeugt das nicht gerade von der politischen Sicherheit und Weitsicht, welche die CSV bei jedem Wahlgang zu gewährleisten verspricht.
Um so mehr als selbst Premier Jean-Claude Juncker nur noch unfreiwillig in seinem Amt ist, seit der französische Präsident und die deutsche Bundeskanzlerin vor anderthalb Jahren seiner „Lebensplanungsentscheidung“, wie Schiltz das nennt, einen Strich durch die Rechung gemacht hatten. Seine Regierungskollegen argwöhnen, dass er sich im Herbst in einem zweiten Anlauf um den Vorsitz des Europäischen Rats bewerben könnte. Als Wirtschaftsminister Jeannot Krecké sich bewusst wurde, dass sich seine ganze Macht auf diejenige eines Handlungsreisenden der Handelskammer beschränkte, kokettierte er ebenfalls öffentlich mit Rücktrittsgedanken. Sein Kollege Nicolas Schmit blieb vergangenen Monat nur im Amt, weil derzeit nicht einmal die Opposition eine erneute Koalitionskrise gebrauchen konnte. Und Justizminister François Biltgen, der nun in die Entscheidungsschlacht mit der CGFP um die Senkung des allgemeinen Lohnniveaus geschickt wird, kündigt immer wieder an, dass er aus gesundheitlichen Gründen kürzer treten müsse. Das Wirken einiger anderer CSV-Minister ist nur gerüchteweise bekannt.
Macht der CSV-Staat keinen Spaß mehr? Wenn seine Beamten Symposien organisieren, um dem Sozialdialog nachzutrauern, brechen härtere Zeiten an, und im Namen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und der europäischen Währungspolitik könnte es bald unmöglich werden, alle fünf Jahre mit einer Anpassung der Steuertabelle und einer kleinen Kindergelderhöhung rechts die Wahlen mit Links zu gewinnen. Dann wäre Jean-Louis Schiltz, der sich in die neuerdings auch für zahlreiche ausländische Politiker attraktivere Privatwirtschaft zurückzieht, einer der Helden des Rückzugs, wie Enzensberger seinerzeit Gorbatschow und seine Genossen nannte, welche die Lust am Regieren verloren hatten und kampflos die Macht abgaben.