Gebärmutterland

d'Lëtzebuerger Land du 19.09.2025

Zwei Polizisten in Uniform nehmen Platz auf den Plüschsesseln in unserm Living und mich in die Zange. Ob ich weiß, ob X., sie nennen den Namen einer Mitschülerin, abgetrieben hat. Es ist das Jahr unserer Première, 1970, Abtreibung ist strafbar. Ich, ganz aus allen Wolken gefallenen Lycéenne, halte dicht, die Polizisten denen ihr Auftritt selber unangenehm scheint, trollen sich, es kommt nichts nach, wie man so sagt, auch nicht für die Klassenkameradin. Wer unter uns die Verräterin war, finden wir nie heraus.

55 Jahre später nennt ein Bischof in einer Radiosendung den Tag, an dem in Luxemburg das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung verankert würde einen traurigen Tag. Er spricht von Zwangsmeinung und von totalitärem System.

Ach, Gebärmutter wie du so drastisch unmissverständlich unpoetisch heißt, schon wieder und noch immer gibt es prähistorische Deutungs-, ja Hoheitskämpfe um dich, Gebiets- und Herrschaftsansprüche, wenn auch mit leiser und bedachter Stimme vorgetragene! Du magischer toller Körperbestandteil, bisher üblicherweise einer von Frauen, klar bist du ein heiß umkämpftes Terrain. Von der Herr-schaft begehrt gefürchtet verachtet, immer wieder Domestizierungsmaßnahmen ausgeliefert. Besetzung Besatzung. Gebärmutterland, besetzt von Vater Staat, gesegnet von Mutter Kirche, die komischerweise aus alten Männern mit spitzen Hüten besteht.

Rebellisch und gefügig. Brave Lieferantin von Menschenmaterial. Wiege der Menschheit, Safe Space und vielbesungene Retro-Utopie, heile heilige Mutterschoß-Welt in die Verstoßener Mann sich zurücksehnt. Schlachtfeld. Geschäftsgrundlage, man kann sie ausleihen bzw. mieten, gern von armen Frauen in armen Ländern. Erschöpft. Kaputt. Ausgeräumt, wie das medizinisch salopp noch vor wenigen Jahrzehnten formuliert wurde, die Mohrin hat ihre Schuldigkeit getan, raus damit!

Hilfe, Hilfe, ich bin eine russische Puppe! Hier geht es um Eroberung und Invasion, um Fremdkörper, Eindringling, feindliche Übernahme. Um Leben und Tod. So ein Leblein. So ein Tödlein. So ein Nichts ist nicht nichts. Wer gewinnt gegen wen? Gibt es ein Recht auf Geborenwerden? Hier geht es um Zellhaufen. Hier geht es um Seele. Allerdings auch um meine. Hier geht es um mich. Ist das schlecht? Mir ist schlecht.

Die alten Ärzt/innen bastelten vor sich hin, Jung-Frau blutet wie ein geschlachtetes Schwein, wie eine Sau, nach all dem bloody mess macht Jung-Frau einen Freudensprung. Draußen ist es wieder schön und ihr ist nicht mehr schlecht. Sie ist wieder sie, ein Ich, nicht ein Gefäß für X, das unbekannte Wesen, was in ihr wucherte. Sie ist dazu nicht bereit. Sie ist noch nicht reif für die Frucht ihres Leibes.

Bald gibt es Holland. Holland ist die Erlösung. Es geht ganz einfach. Es kostet nur was. Aber nicht das Leben. Später geht es auch in Luxemburg. In Wien vor dem Zentrum für Schwangerschaftsabbrüche stehen die Rosenkranzmurmler/innen mit den leidenden Augen.

Die Schamanin empfiehlt Rituale. Der Schoß der Mutter Kirche erbarmt sich der abgetriebenen Kinder. Nur gehört dieser Schoß einer Clique von Männern, die sich mit Kindern gar nicht auskennt. Also nicht mit geborenen. Die Frau, die mit dem geborenen Leben alleine steht, ist mutterseelenallein. Wo sind die Lebensschützer/innen, die mit Embryonenpuppen herumziehen? Warum sind geborene Kinder auch so unattraktiv?

Auch eine andere Frau ist mutterseelenallein. Sie fühlt sich leer, beraubt, verwaist. Sie hat es getan, ohne es wirklich zu wollen. Sie wäre bereit gewesen. Aber. Die äußeren Umstände und Zustände. Nicht die innere Notwendigkeit zwang sie. Sie leidet. Die Kirche spricht von Reue. Dass es „Regretting Motherhood“ gibt, erwähnt die Kirche nicht.

Ich bin dafür, das Recht auf Abtreibung in der Verfassung zu verankern, wer weiß was den Retro-Rechten noch einfällt. Und dennoch, etwas in mir findet es beruhigend, dass es eine Instanz gibt, die so revolutionäre Wörter wie Seele verwendet. Während wir vorpreschen in die radikale kalte Freiheit des Universums. Wenn es um Geburt und Tod geht. Ums Sterben, muss ich ein selbstbestimmtes buchen?

Und was ist, wenn die Ektogenese uns das ganze archaisch-unappetitliche Gebärgemuttere abnimmt? Klinisch, aseptisch, bei Nichtgefallen jederzeit abbrechbar?

Michèle Thoma
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