Ein Gespenst geht um: Rauschmittel unter Schülern. Nicht „nur“ Cannabis, das in dunklen Ecken auf dem Schulhof oder vor Jugendtreffs geraucht wird, auch andere illegale Drogen sind im Kommen. Während Schulleitungen lieber nicht darüber offen sprechen, tun es SchülerInnen wie die 17-Jährige Sara* sehr wohl: „Na sicher gibt es bei uns Cannabis. Ich wüsste, von wem ich es kaufen könnte.“
Es waren Schüler, die dem Land vom tragischen Tod erzählten, der im Oktober für Betroffenheit an der Europaschule auf dem Kirchberg sorgte: Ein ehemaliger Mitschüler war an einer Überdosis verstorben, vermutlich einer Kugel aus Kokain und Heroin. „Sein Bruder war in unserer Klasse“, berichtet Markus*. Mehr will er nicht sagen: „Wir dürfen nicht darüber reden.“ Fragt man die Staatsanwaltschaft oder die Polizei, so ist ihnen über den Vorfall nichts bekannt.
Drogentod eines Schülers Der Tod des Minderjährigen hat nicht nur Klassenkameraden aufgeschreckt, Eltern sind ebenfalls beunruhigt. Sie beklagen eine mangelhafte Kommunikation seitens der Schulleitung: Bis heute liege keine offizielle Stellungnahme zum Fall und den Folgen vor. „Ich wüsste gerne, welche Schutzmaßnahmen für unsere Kinder ergriffen werden“, sagte eine Mutter dem Land. Auf Nachfrage bittet die Elternvereinigung um Verständnis: Es sei eine sensible Angelegenheit. Man könne selbst nur limitiert kommunizieren, weil man nicht viel über den konkreten Fall wisse.
Die Eltern sind indes nicht untätig geblieben. Ein Blick auf ihre Webseite zeigt, dass seit dem Todesfall eine Task Force on drug prevention and awareness ins Leben gerufen wurde. Ein Sozialarbeiter des Hilfswerks Arcus sprach mit Eltern und Lehrern über Suchtprävention. Das Advisory Board der Schule berät gemeinsam mit Schülern, wie sie Früherkennung, sowie Drogen- und Suchtberatung verbessern kann.
Denn die Europaschule ist beileibe nicht die einzige Schule, die ein Drogenproblem hat. Cannabis erfreut sich unter Jugendlichen einiger Beliebtheit – nach Alkohol. Schätzungen zufolge haben 17,1 Prozent (17,4 im Jahr 2010 und 22,6 Prozent in 2006) der Jugendlichen ab 15 Jahren schon einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert. (HBSC-Studie, 2014). 2016 hatte die Suchthilfe Impuls ihre Interventionen noch nach Schulen aufgeschlüsselt: An 19 Sekundarschulen waren die Sozialpädagogen beratend aktiv, manchmal mehrfach. Im Tätigkeitsbericht von 2018 sind detaillierte Zahlen nicht mehr enthalten.
Wer sich jedoch umhört, erfährt von Drogentrips in Jugendhäusern oder in der Schule, die in Chats weitererzählt werden. Oft sind es Einzelfälle, die ans Licht kommen, weil ein Jugendlicher, der gedealt hat, von der Schule fliegt. Mal ist zu hören, dass Raucherecken zu Kiffertreffen werden, zum Beispiel auf dem Geesseknäppchen oder dem Campus Limpertsberg. Die Privatschule Grand Jean wurde vergangenen Winter einen Tag geschlossen, weil Polizisten mit Spürhunden nach Drogen fahndeten. Sie wurden nicht nur einmal fündig. Auch im Athenäum sind Schüler high auf Hanf in der Klasse aufgefallen.
Joint auf dem Schulhof An der International School wurde eine Mutter hellhörig, als sich ihre Tochter daheim beklagte, kein Essen mehr via Lieferservice bestellen zu dürfen. Der Verdacht: Die Lieferkartons würden als Drogenversteck dienen. Am Bonneweger Lyzeum soll ein 19-Jähriger Ecstasy verkauft haben. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass der Dealer nicht nur einem Schüler Pillen verkauft hat. Nicht jede Drogengeschichte erfährt so eine mediale Aufmerksamkeit wie die der Ackerbauschule. Aus Sorge um die Sicherheit ließ die Direktion ab 2011 ganze Klassen zum Urintest antreten; Schüler beschwerten sich über einen Generalverdacht. Der Direktor verteidigte die Massentests: In der Schule arbeiten Jugendliche an schwerem Gerät und etliche von ihnen waren bekifft zum Unterricht erschienen.
„Drogen nehmen und zu verkaufen, ist immer noch strafbar“, warnt Alain Origer, Drogenbeauftragter des Gesundheitsministeriums. Was Jugendliche oft nicht wissen: Cannabis ist ebenfalls illegal; auch wenn die Blau-Rot-Grüne-Regierung angekündigt hat, dem Beispiel Kanadas zu folgen und Konsum und Verkauf geringer Cannabis-Mengen an Erwachsene in Zukunft zu erlauben. Der Verkauf an Minderjährige hingegen gilt heute schon als Tatumstand, der sich bei der Strafbemessung verschärfend auswirkt.
Es geht aber nicht um Cannabis allein. „Wir betreuen 14-Jährige, die auf Heroin sind“, warnt René Meneghett von Impuls. Schmerzmittel wie Fentanyl oder Methadon, im Darknet bestellt, gelangen an Minderjährige, die sich des enormen Suchtrisikos von Opioiden oft nicht bewusst sind. Impuls hat mit 19 Sekundarschulen und sechs Internaten Kooperationen vereinbart: Zusammen mit Leitung und Lehrern erarbeiteten die Suchthilfeexperten eine Präventionsstrategie, die grob auf zwei Achsen aufbaut und die Polizei und Staatsanwaltschaft einbezieht: die Prävention und Behandlung problematischen Drogenkonsums – und dessen Aufarbeitung. Häufig geht es um hartnäckiges Kiffen, aber auch wer übermäßig trinkt, soll Hilfe bekommen.
Hochdosiert – abgeschmiert „Wir sensibilisieren das Lehrpersonal, erste Anzeichen zu erkennen“, so Meneghetti. Eltern und Lehrer meinen oft, solange die Noten stimmen, sei ein Rausch am Wochenende unproblematisch. Das stimmt so allgemein nicht. Der Jugendliche befindet sich in der Entwicklung. Zu viel Alkohol macht abhängig und schädigt das Gehirn. Häufiger, hoch dosierter THC-Konsum (das ist der psychoaktive Wirkstoff im Cannabis), und/oder genetische Dispositionen in der Familie lösen möglicherweise Psychosen aus. Der genaue Zusammenhang ist unklar, sicher ist aber, dass unter Konsumenten, die täglich Cannabis mit hohem THC-Wert kiffen, häufiger Psychosen auftreten als unter denen, die gar kein Cannabis oder nur selten konsumieren.
Neben erhöhtem THC gibt der Konsum anderer illegaler Substanzen Anlass zur Sorge. Alkohol ist erst ab 16 Jahren erlaubt, fehlt aber auf keiner Party. Koma-Saufen ist auch in Luxemburg keine Seltenheit. Am Athenäum tranken Schüler auf der Kleeschenfeier so viel, dass sich Erwachsene um sie kümmern mussten. Andere psychoaktive Substanzen werden eingeworfen mit dem Risiko, dass sie aus Unwissenheit falsch dosiert werden: In Hessen googelte eine 17-Jährige eine falsche Dosis MDMA (Ecstasy) und starb, weil sie sich um den Faktor zehn vertan und statt 50 dann 500 Milligramm auf einmal eingenommen hatte. Ähnlich wie beim Cannabis kursiert hoch dosiertes MDMA, was insbesondere für junge Frauen lebensgefährlich werden kann. Genau geklärt ist es nicht, aber wegen ihres geringeren Körpergewichts und einem Leberenzym, das Frauen in geringerer Menge haben als Männer, gehen Ärzte davon aus, dass ihr Körper das MDMA schlechter abbaut.
„Ich habe meinen 15-jährigen Sohn davor gewarnt, Pillen zu nehmen. Man kann nicht wissen, woher das Zeug stammt und was es enthält“, sagt eine besorgte Mutter dem Land. Der elterliche Ratschlag mag mal fruchten; bei anderen überwiegen jugendliche Neugierde oder die Angst, vor den Kumpels nicht als cool dazustehen, Leistungsdruck und andere Sorgen führen dazu, dass Jugendliche zu Rauschmitteln greifen. Dass diese von einem Freund oder Bekannten stammen, senkt das Risiko nicht: Die wenigsten können mit Sicherheit sagen, welche Wirkstoffe in welcher Dosis in ihrem Rauschmittel enthalten sind. Luxemburg verfügt auch nicht, wie etwa die Schweiz, über eine kostenlose Prüfstelle, die verlässlich, anonym und rund um die Uhr Drogen auf ihre Zusammensetzung untersucht.
Über die gesundheitlichen Gefahren klären die Suchtexperten von Impuls und dem Suchtpräven-
tionszentrum Cept auf: sachlich, ohne hysterisch den Wunsch nach einem Kick als solchen zu verteufeln. Der Informationsdienst des Cept Fro No registrierte 2018 aber nur 209 Anfragen. Die Mitarbeiter (3,75 Stellen) bilden Lehrer und Sozialarbeiter in Suchtprävention aus. Allerdings tun sie es nur, wenn sie gerufen werden. Meistens geschieht dies im Kontext von Jugendhäusern und Lyzeen, Suchtprävention in der Grundschule, etwa in Form von Körper-Bewusstseins-Trainings, hat Seltenheitswert.
Keine Meldepflicht Es ist kaum zu glauben: Es besteht hierzulande keine Pflicht für Schulen, Kinder und Jugendliche über Suchtrisiken aufzuklären. Ebenso fehlt ein zentrales anonymisiertes Meldesystem, das Schulen und Jugendhäuser verpflichtet, Jugendliche, die mehrfach wegen Konsum oder Verkauf ins Visier geraten sind, zu melden. Als das Land die Polizei fragt, wie oft sie in diesem Jahr ausrückte, um Drogenkontrollen an Schulen durchzuführen, heißt es von der Pressestelle zunächst, sie dürfe aus Jugendschutzgründen keine Auskunft geben. Dabei sehen Jugendschutz- und das Pressegesetz für die Berichterstattung über Jugendliche wohl eine besondere Sorgfaltspflicht sowie ein Anonymat vor. Aber nach Namen hatte das Land gar nicht gefragt und im öffentlichen Interesse darf die Presse über Jugendthemen berichten, das gilt auch für Drogendelikte. Bis Redaktionsschluss lag weiterhin keine Antwort vor.
Spärlich mit Informationen ist nicht nur die Polizei. Kaum eine Direktion spricht offen über Drogen an ihrer Schule. Man fürchtet um den Ruf. Wird ein Schüler wegen Drogenkonsum auffällig, schreitet die Schule ein, dies geschieht nicht selten aus einer disziplinierenden Perspektive: Wer mit einem Joint auf dem Schulhof erwischt wird, wird vielleicht nur vor die Direktion zitiert und zum schulpsychologischen Dienst geschickt. Wer mit verbotenen Rauschmitteln handelt, riskiert von der Schule zu fliegen. Doch das Suchtproblem besteht weiter. Das Schweigen von Schulleitungen mag der Grund sein, warum bisher kein Medium über die tödliche Überdosis berichtet hat, obwohl sie in sozialen Netzwerken hohe Wellen schlug und viele Eltern verunsichert sind. Europaschul-Leiter Martin Wedel bestätigte ein „unglückliches Ereignis“, er werde sich aber nicht an der „Verbreitung von Gerüchten“ beteiligen. Suchtprävention sei ein „lange bestehendes Projekt“ an der Schule.
Das Tabu ist nicht nur kontraproduktiv, es ist gefährlich: Weil niemand systematisch offenlegt, welche Drogenprobleme an einer Schule, einem Internat oder einem Jugendhaus bestehen, wissen selbst die nicht, die es müssten, wie verbreitet riskante Konsummuster unter Jugendlichen sind. Und auch nicht, welche Drogen wo zirkulieren. Besonders bedenklich ist das, sollten die Drogen nicht sporadisch von Schüler zu Schüler gereicht, sondern von organisierten Netzwerken geliefert werden. Fragt man dagegen Schüler, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschlossen: Drogen gebe es überall. Fällt der Klassenkamerad als Lieferant mal aus, gehe man eben zum Bahnhof oder bestelle anonym im Internet.
„Es wäre gut, wenn wir die Probleme ehrlich benennen und sie gemeinsam, nicht in Konkurrenz angehen könnten“, findet Psychologe René Meneghetti von Impuls. Mit Blick auf die geplante Regularisierung von Cannabis sei es wichtig, mehr Informationen zum jugendlichen Drogenkonsum zu sammeln. Dasselbe sagt der Drogenbeauftragte Origer: „Wir bekommen Daten über die Wohlbefindlichkeitsstudie. Sie findet alle drei Jahre statt. Was sich konkret in den Schulen abspielt, darüber wissen wir wenig.“ Das Erziehungsministerium teilt derweil mit, es bestehe keine Pflicht für Schulen, über jede einzelne Polizeiintervention zu informieren. „Schwerere Vorkommnisse“ würden aber immer gemeldet.
„Wichtig wäre es Prävention und Information jetzt auszubauen“, mahnt Meneghetti angesichts der Legalisierungspläne. Einfach mehr Prävention zu beschließen, sei zu kurz. „Wir müssen die Suchthelfer erst ausbilden. Vertrauen muss aufgebaut werden.“ Eine weitere Masche im Suchthilfenetz stellten Jugend- an Drogenhëllef, Cept und Impuls diesen Donnerstag vor: Wer Informationen über Drogen sucht, oder wer wissen will, ob er oder sie zu viel konsumiert, kann sich jetzt anonym und bequem per App unter suchtberodungonline.lu Hilfe suchen.