Leitartikel

Realitätsbezogen

d'Lëtzebuerger Land du 26.07.2019

Am Donnerstagnachmittag stellte die Stadt Esch-Alzette gemeinsam mit der Jugend- an Drogenhëllef die Suchthilfeeinrichtung Contact Esch mit Drogenkonsumraum zwischen Escher Kulturfabrik und dem Lallinger Cactus vor: Unter Aufsicht von medizinisch geschultem Personal können sechs Süchtige gleichzeitig illegale Substanzen spritzen, ohne deshalb Verfolgung durch die Strafbehörden fürchten zu müssen. Darüberhinaus stehen ihnen Sozialarbeiter und Krankenschwestern mit Rat und Tat zur Seite. Das Konzept ist bekannt vom Abrigado in Luxemburg-Stadt und hat sich dort bewährt: Seit Eröffnung 2007 sank die Zahl tödlicher Überdosierungen von 27 auf vier im Jahr 2018.

Das Escher Angebot ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert: Dass die Suchthilfestruktur Abrigado in der Hauptstadt über Jahre an den Grenzen ihrer Belastung arbeitete und – in Ermangelung an Alternativen – bis heute die Hauptlast der niedrigschwelligen Suchthilfe- und Gesundheitsversorgung von Schwerstabhängigen trägt, ist mit Zahlen belegt. Genauso lange fordern Sozialarbeiter, dass Suchthilfeangebote und insbesondere der Konsumraum dezentralisiert, also auf mehrere Stellen im Land verteilt werden sollten. Eine Analyse der Besucherzahlen des Abrigado hatte ergeben, dass rund ein Viertel, 27 Prozent, der KonsumentInnen aus dem Süden kommen.

Dass die Forderung so lange nicht umgesetzt wurde, liegt, neben der schwierigen Suche nach einem Lokal, am Ping Pong-Spiel, bei dem Staat und Gemeinden sich die Verantwortung hin- und herschoben. Wahlen lassen sich nicht mit Bildern von Schwerstabhängigen und Initiativen für Suchtkranke gewinnen. Aber die Realität ist nun einmal so, dass Menschen aufgrund von Traumatisierung, Armut oder aus anderen Gründen süchtig werden. Dass Polizei, Träger und Gemeinde auch in Esch eng zusammenarbeiten wollen, kann Ängste nehmen, ganz schwinden wird die Skepsis aber vermutlich nie. Wie schwierig es ist, den Not-in-my-background-Reflex zu überwinden und die notwendigen Schritte zu veranlassen, zeigt sich auch daran, dass es dem damaligen Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) nicht gelang, das Projekt umzusetzen, obwohl seine Partei damals die Bürgermeisterin stellte.

Dass in Esch-Alzette endlich ein Gesamtangebot mit Café, Duschen, Krankenstation und Sozialberatung existiert, ist eine wichtige, weil überfällige Ergänzung zum landesweiten Suchthilfeangebot. Mit den sechs Plätzen hofft das Ministerium, rund 40 Schwerstabhängige täglich im Süden versorgen zu können. Aber das reicht nicht aus. Bei geschätzten 2 000 Drogenabhängigen in Luxemburg steht schon jetzt fest, dass die Plätze in Esch nicht genügen werden, um die Nachfrage zu decken. Zumal unklar ist, wie viele Abhängige sich dort melden und die Struktur wirklich nutzen werden, solange die Hauptstadt Dreh- und Angelpunkt der Drogenszene bleibt.

Es ist ein Armutszeugnis, dass das Abrigado nach wie vor in Behelfs-Containern untergebracht ist. Mehr als zehn Jahre nach Eröffnung des ersten Drogenkonsumraums ist es höchste Zeit, das Provisorium zu beenden. Um den Druck auf die Einrichtung allerdings dauerhaft zu verringern, braucht es mehr niedrigschwellige Angebote in der Hauptstadt. Damit wird nicht nur Suchtkranken geholfen und den Mitarbeitern, die unter schwierigen Bedingungen einer mitunter lebensrettend wirkenden Arbeit nachgehen. Eine zweite Anlaufstelle in der Hauptstadtin Ergänzung zum Abrigado würde auch die auf engstem Raum gepferchte Drogenszene entzerren, ein Bild, das – zu Recht – Anlass für Empörung gibt – und zudem differenziertere Ansätze in der Suchthilfearbeit erlauben.

Ines Kurschat
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