Es ist ein alter katholischer Brauch, ein Ritus: ein Jahr nach dem Tod eines Bekannten oder Verwandten nochmals eine Messe lesen zu lassen. Zur Erinnerung und zum Gedenken. Für Thierry van Werveke, der im Januar letzten Jahres starb, fand diese Messe am vergangenen Freitag im „Kino in den Hackeschen Höfen“ in Berlins Mitte statt. Nicht in der oder zur Berlinale, aber während der Berlinale. Einen besseren Ort, eine bessere Zeit hätte es nicht geben können und eine schöneres Jahrgedächtnis bekamen sicherlich die wenigsten gelesen.
Im Kreise von Freunden des Schauspielers und Sängers zeigte Paul Thiltges ein weiteres Mal die Hommage von Andy Bausch. Dabei setzte Thiltges einen sehr großherzigen, großzügigen Rahmen, der auch dem Nichtnahestehenden viel von der Persönlichkeit, vom Schaffen und dem Lebensweg van Wervekes erahnen und erinnern ließ. Dennoch hat der Film an manchen Stellen seine Längen und lebt von zu viel Insidertum, wenn zum vierten Mal auf ein Detail verwiesen wird, das allmählich bekannt und durchgekaut war. An der einen oder anderen Stelle hätte man sich mehr Musik von ihm gewünscht, einfach nur Musik, längere Filmszenen ohne Kommentare und ohne Erklärungen, ohne Ausführungen und ohne übersentimentale Erinnerungen. Einfach mal singen oder spielen lassen. Doch Bausch wollte selten auf Originaltöne verzichten, teils sehr redundante Kommentare, und so gerät der Film an manchen Stellen zu einem sehr konventionellen Filmporträt für einen unkonventionellen Künstler.
Dennoch erlaubt der Film eindrucksvolle Einblicke in das Leben eines Menschen, der nicht zum Film wollte, sondern der Film wollte ihn, der nicht zum Casting ging, sondern sich von der Musik finden ließ, diese vielmehr für sich einforderte. Das macht einen großen Unterschied zu den glattgebügelten Gesichtern deutscher Prominenz, die im Filmporträt auftreten und Phrasen dreschen. In diesen Passagen wäre der Film besser still geblieben, dann wäre zwar nur ein Teil von van Werveke zu Tage gekommen, doch zeigen die Filmkommentare seiner einheimischen Weggefährtinnen und Mitstreiter mehr als die belanglosen Worthülsen von deutschen Ex-Lindenstraßen-Bewohnern. So bleibt es in der Tat ein ehrenhaftes Andenken an den Künstler, der sich keinen Konventionen beugte, um einem vermeintlichen Mainstream zu gefallen, der improvisieren konnte, weil er den Text vergessen hatte.
Für denjenigen, für den Thierry van Werveke nur ein bekannter Sänger oder Schauspieler aus Film, Funk und Fernsehen war, bietet das Porträt einen interessanten Einblick in die jüngere Historie und Soziologie Luxemburgs – in kleinen, feinen Randbemerkungen. Es ging um Punk und es ging um die Achtziger, es ging um Sex [&] Drugs [&] Pogo. Offenbar wird dabei, wie viel und wie große Unangepasstheit es braucht, um im Großherzogtum ein Star zu werden und – in der letzten Konsequenz – wie vereinnahmend dies geschieht. Die Montage zeigt über die Kücheneinrichtungen der Interviewpartner von unterschiedlichen Wegen auf der Suche nach Erfolg und Anerkennung. Er zeigt in den Worten, die Abgrenzung einer eigener nationalen Identität, dann wenn von „preußischen Filmemachern“ gesprochen wird. Er zeigt aber auch, wieviel Thierry National verziehen, nachgesehen und mit Erklärungen versehen wird, wenn etwa eine Gesprächspartnerin bei einem angetrunkenen Diekircher entschuldigend ausführt, dass der Alkohol eben nur Teil seiner Persönlichkeit war, während „preußische“ Schauspielerkollegen und Agentinnen von Sucht und Krankheit, den schädlichen Auswirkungen und dem Scheitern sprechen.
Zum Schluss der Vorführung im Kinosaal am Hackeschen Markt bleibt nur eine einzige Frage mit samt Erklärung offen: Warum Frau Nosbusch-Becker-Kurtulus, kaum dass das Licht im Filmsaal erloschen war und bevor der Film begonnen hatte, aus dem Kino krabbelte? Versuchte sie bei der Unmenge geöffneter Schampus-Flaschen, die im Foyer zurückgeblieben waren, einen Teil ihrer Persönlichkeit zu Desirée Nationale zu machen?