Das Parlament diskutiert sechs Monate nach Luxleaks über die Rulings

Scheingefecht

d'Lëtzebuerger Land vom 01.05.2015

Es war am Dienstag keine Überraschung, als die Mehrheitsparteien die Motion und die Resolu­tion ablehnten, die Justin Turpel (déi Lénk), der sein Mandat als Abgeordneter aus gesundheitlichen Gründen abgibt, an seinem vorletzten Tag in der Chamber vorgelegt hatte.

Ihm war es zu verdanken, dass sechs Monate nach Luxleaks überhaupt eine öffentliche Debatte zum Thema Rulings im Parlament stattfand. Seine Forderung nach einem Untersuchungsausschuss hatten die Mehrheitsparteien und die CSV vergangenes Jahr sofort abgelehnt. Sein mehrseitiger Fragenkatalog an den Finanzminister war weitestgehend unbeantwortet geblieben. Deshalb schwang schon ein wenig Hohn mit, als ihm alle Redner, Finanzminister Pierre Gramegna (DP) inklusive, – circonstances obligent – für seinen Einsatz und die Debatte dankten. Um ihn, der in Abwesenheit einer klaren rechtlichen Grundlage für Rulings bis zum 1. Januar 2015 die Legalität der Steuervorabkommen in Frage stellte und ein klares Opt-Out aus der bisherigen Politik verlangte, dann doch indirekt „grenzenlose Naivität“ vorzuwerfen (Laurent Mosar, CSV). Oder dass er vom „moralischen Hochsitz“ herunter Kritik übe, ohne Alternativen parat zu haben (Franz Fayot, LSAP). Dass für Mosar und Fayot die Moralansprüche von Turpel ein wenig zu hoch angesetzt sind, ist durchaus verständlich. Beide sind von Beruf Anwalt. Sie haben gegenüber dem Land bestätigt, dass sie selbst keine Rulings für Kunden erstellt und beantragt haben. Die Kanzleien, für die sie arbeiten, oder im Falle von Franz Fayot bis vor kurzem gearbeitet haben, hingegen schon.

Es war Pierre Gramegna, der anerkannte, dass Justin Turpel als „Sparring partner“ immer gut vorbereitet war. Das war auch am Dienstag der Fall, als er beispielsweise besser vorbereitet war als DP-Franktionschef Eugène Berger. Turpel wollte, nach dem Vorbild des niederländischen Parlaments, eine Motion verabschieden lassen, durch die erstens das Parlament seine volle Zusammenarbeit mit dem Sonderausschuss Taxe des Europaparlaments (EP), der Post-Luxleaks die Ruling-Praxis in der EU untersucht, zugesagt hätte. Und zweitens, die Regierung aufgefordert hätte, das Gleiche zu tun.

„Überflüssig“ nannte das Eugène Berger, „selbstverständlich“, werde man mit dem Ausschuss zusammenarbeiten, schließlich habe Luxemburg schon zugesagt, der EU-Kommission alle Rulings auszuhändigen. Das stimmt so nicht ganz, denn was die Kommission von Luxemburg ursprünglich verlangt hatte, war eine Liste der Rulings, die zwischen 2010 und 2012 ausgestellt wurden, nicht aber die Rulings selbst. Der Sonderausschuss des EP aber plant sich mit allen Rulings, die seit 1991 ausgestellt wurden, zu beschäftigen und eine Analyse der Praxis ab diesem Stichdatum aufzustellen. Da riskiert es, auch um den Inhalt der Rulings zu gehen und das über einen sehr viel größeren Zeitraum als in der Untersuchung der EU-Kommission. Das hielt allerdings auch Pierre Gramegna nicht davon ab, Turpels Motion für „überflüssig“ zu erklären. Er nuancierte aber schon mal vorsorglich den Willen zur Zusammenarbeit. „Wir werden natürlich kooperieren“, sagte er und fügte hinzu: „Das Ganze natürlich im legalen Rahmen der Gesetze, die wir haben.“

In seiner Resolution, die ebenfalls mit niederschmetternder Mehrheit abgelehnt wurde, forderte Turpel das Parlament auf, eine Studie über die Rolle Luxemburgs im Geflecht der interna­tionalen Steueroptimierung und -hinterziehung, der Kapitalflucht nach und aus Luxemburg sowie der Finanzflüsse zwischen Luxemburg und den Entwicklungsländern anfertigen zu lassen. Damit hätte er als Vorsitzender der Finanz- und Haushaltskommis­sion (Cofibu) seine Schwierigkeiten, wandte Eugène Berger ein. Die Cofibu habe ihre Arbeit bisher gut gemacht, und das hieße Studien und Akten outzusourcen... Nein, mit diesem Gedanken konnte sich der DP-Politiker am Dienstag nicht anfreunden. Dass Berger zögert, eine solche Studie in Auftrag zu geben, kann aus zweierlei Gründen überraschen. Einerseits, weil die blau-rot-grüne Regierung in sonst fast allen Bereichen – einschließlich des Haushalts – gerne auf Expertenwissen von außen zurückgreift, Audits in Serie bestellt. Und zweitens doch fraglich ist, wie gut die Cofibu oder das Parlament insgesamt ihre Arbeit bisher erledigt hat, sollte sie sich je zum Ziel gesetzt haben, die Ruling-Vergangenheit Luxemburgs wirklich aufzuarbeiten. Der wirtschaftliche Niederschlag der Rulings auf die Luxemburger Ökonomie, beziehungsweise der konkrete Schaden, der durch Luxleaks entstehen könnte, wurden bisher dort nicht diskutiert. Als Justin Turpel am Dienstag sagte, man wisse immer noch nicht, wie viele Einnahmen Luxemburg durch die Rulings kassiert habe, widersprach ihm niemand. Als Turpel Pierre Gramegna vorwarf, die Cofibu nicht über die Arbeiten einer interministeriellen Ruling-Arbeitsgruppe informiert zu haben, die im Zuge von Luxleaks angekündigt wurde, beziehungsweise dass Gramegna nichts zu berichten wusste, widersprach ihm Gramegna entschieden: „Sie haben das missverstanden. Diese Gruppe gibt es nicht. Sie wurde zwar angekündigt. Aber es hat sie nie gegeben. Deshalb kann ich auch nichts berichten.“ Ein peinlicher Moment, ab dem spätestens klar sein musste, dass die Regierungskoalition trotz aller Transparenz-Bekenntnisse kein Interesse an der Aufarbeitung der Vergangenheit und der Rolle Luxemburgs hat, sondern viel mehr an der Aufarbeitung der Rückstände, die entstanden sind, weil mit dem Zukunftspak ab dem 1. Januar 2015 tatsächlich ein gesetzlicher Rahmen für die Rulings eingeführt wurde.

„Die Richtlinie“, so Gramegna in seiner Antwort auf die Frage Laurent Mosars, wie lange denn die Steuerverwaltung an einem Ruling arbeite „lautet, dass Rulings binnen einer Frist von drei Monaten ausgestellt werden.“ Dann fügte er hinzu: „wir haben ein Problem, was die Rulings von Ende verganenen Jahres angeht, wo wir ganz viele Anträge bekamen. Das sind alte Gewohnheiten, es wurde für alles ein Ruling beantragt, auch wenn es ausgereicht hätte, die Gesetzte zu lesen. Dagegen kämpfen wir an.“ Danach bedankte er sich für die aufschlussreiche, wichtige Debatte, blickte zu Justin Turpel und schloss mit den Worten: „Ech freeë mech op de Patt!“

Michèle Sinner
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