Ein kleines, unscheinbares weißes Nebengebäude in der Rue Michel Welter in der Hauptstadt. Dort hat die Caritas außer einem Kindergarten ihre Denkfabrik untergebracht. Hier denkt sich die katholische Wohlfahrtsorganisation Aktionen gegen Armut aus, aber auch Schulungsprojekte im Bereich der Kinderbetreuung wie das aktuelle Valiflex, für das die Caritas derzeit gemeinsam mit dem Arbeitsamt Adem Bewerber/innen aussucht.
Die Idee, insbesondere ungelernte, aber in Erziehungsfragen erfahrene Mütter (und Väter) mittels einer Schulung für die professionelle Betreuungsarbeit zu gewinnen, gibt es in ähnlicher Form seit fast 13 Jahren. Gestartet war die Caritas mit dem Projekt Fogaflex, einer vom Europäischen Sozialfonds und Beschäftigungsfonds kofinanzierten Schulung im Kinderbetreuungsbereich. Damals wollte die Caritas, und ihr damaliger Chefdenker Manuel Achten, einen Weg finden, wie man Beschäftigungspolitik mit den Bedürfnissen des Betreuungssektors sinnvoll verbinden könnte. Die Schulung wurde vor allem von Frauen genutzt, die wegen Schwangerschaft und Kindern beruflich pausiert hatten und eine Gelegenheit suchten, wieder ins Erwerbsleben einzusteigen. In zwei Kindergärten wurde das Modell getestet. Die Basisausbildung, die Grundkenntnisse über Kindesentwicklung, pädagogische Konzepte, Ernährung, Hygiene und Sicherheit vermitteln sollte, dauerte zu dem Zeitpunkt etwa ein Jahr und war als Training on the job konzipiert: Ungelernte wurden von professionellen Erziehern angelernt.
„Fogaflex war das Vorläufermodell für das Gesetz zu den Maisons relais von 2005“, präzisiert Jean-Paul Jerolim von Caritas Jeunes et Familles. Auf Fogaflex folgte Qualiflex, dann kam Formaflex und schließlich Valiflex. Allen Projekten ist gemein, dass sie von Geldern aus dem ESF und dem Beschäftigungsfonds finanziert werden – Valiflex erhält einen Zuschuss von 390 000 Euro vom ESF – und ein beschäftigungspolitisches Instrument waren beziheungsweise sind, das die Wiedereingliederung von erwerbslosen Frauen zum Ziel hat.
Genauso lange wie es die Schulungen gibt, gibt es aber auch Kritik daran. Größter Kritiker sind die Gewerkschaften. „Mit dem Gesetz zu den Maisons relais war es möglich, verstärkt Niedrigqualifizierte einzustellen. Das gefährdet die Qualität im Betreuungssektor und hat zu mehr unsicherer Beschäftigung geführt“ , warnt Nora Back vom OGBL. Dass die Qualität vor allem in den privaten Kindergärten, aber auch in etlichen konventionierten Häusern zu wünschen übrig lässt, warnten auch Berufsverbände wie die Erziehervereinigung Apeg. Das beschäftigungspolitische Motiv, mit Crashkursen à laValiflex Frauen mit Kindern den Wiedereinstieg in den Beruf zu ermöglichen, findet der OGBL ebenfalls bedenklich: „Die Hilfserzieher helfen anderen Müttern und Vätern vielleicht, Beruf und Familie zu vereinbaren. Aber sie selbst haben zunehmend Schwierigkeiten, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen“, sagt Carole Steinwachs vom OGBL. Die geringe Stundenzahl vieler Hilfserzieher führe zudem dazu, dass sie nicht voll sozialversichert seien und kaum Rentenansprüche aufbauen könnten, so die Gewerkschafterin. Viele der Niedrigqualifizierten kommen als Springerinnen in den Mittagsstunden zum Einsatz, wenn statt 50 auf einen Schlag bis zu 200 Kindern essen müssen. Dass das nicht gerade familienfreundliche Arbeitszeiten sind und der Lohn bei zehn bis 16 Stunden wöchentlich zu niedrig, um sich selbst, geschweige denn eine Familie zu unterhalten, versteht sich von selbst. Die Wohlfahrtsorganisation Caritas als Förderer der Working poor?
Die Kritik der Gewerkschaften blendet jedoch aus, dass es im Betreuungssektor eine große Nachfrage nach der Ausbildung gibt und sowohl Arbeits- als auch Unterrichtsministerium an die Unternehmen appellieren mehr Jobs für Niedrigqualifizierte zu schaffen. Seitdem mit dem Maisons relais-Gesetz der Betreuungssektor boomt, suchen Träger von Betreuungseinrichtungen händeringend nach Personal. Nach flexibel einsetzbarem, das vor allem die Stoßzeiten um die Mittagszeit abdeckt, aber auch höher qualifizierten Fachkräften. Mit den neuen Qualitäts- und Weiterbildungsstandards, die das Familienministerium per Gesetz im Sektor neu verankern will, wonach der Anteil der Hilfskräfte zurückgefahren würde, dürfte der Bedarf an pädagogischen Fachkräften zunehmen und die Nachfrage nach Schulungen und Weiterbildungen weiter steigen.
So groß ist der Personalmangel, dass manche Träger dazu übergegangen sind, unqualifiziertes Personal einzustellen, mit dem sie dann vertraglich vereinbaren, dass innerhalb eines bestimmten Zeitraums mindestens eine Schulung à la Valiflex oder ähnliches zu durchlaufen ist. Die Aussicht auf eine höhere Gehaltsstufe soll den Mitarbeitern zusätzlicher Anreiz sein. Die Arbeitgeberplattform Copas der Behinderten- und Alteneinrichtungen ist bei den Berufsorientierungstagen in den Sekundarschulen mit einem Stand vertreten, um junge Menschen zu beraten, die sich für Pflege- und Erzieherberufe interessieren.
Die Nachfrage drückt sich auch in Zahlen aus: Rund 160 Personen hat die Caritas durch ihre Schulungen wie Fogaflex, Qualiflex, Formaflex geschult, von denen viele heute als Hilfserzieherinnen und Hilfserzieher in Maisons relais arbeiten. Mit einer Vermittlungsquote um die 67 bis 77 Prozent sind die Projekte aus beschäftigungspolitischer Sicht durchaus erfolgreich. Rechnet man die Teilnehmer der aktuellen Ausbildung Valiflex hinzu, dürfte die Zahl gar die 200 übersteigen. Und das ist nur die Schulung der Caritas. Es gibt noch andere Anbieter ähnlicher Schulungen im Betreuungssektor.
Kritik, die Caritas unterlaufe mit den Hilfserzieher-Schulungen Qualitätsstandards, die sie an andere Stelle lauthals fordert, begegnen die Verantwortlichen mit einer Gegenfrage: „Wäre es denn besser Unqualifizierte einzustellen? So bestimmen immerhin wir, was die Hilfserzieher können müssen“, gibt Marco Da Silva zu bedenken. Es ist eine Tatsache: Mit Schulungen wie Fogaflex werden Menschen für die Betreuungsarbeit gewonnen, die vorher keine Arbeit hatten. In einer aktuellen Studie der Universität Luxemburg über die Qualität im (konventionierten) Kinderbetreuungssektor gaben befragte Hilfserzieher zwar an, sich nicht immer genügend vorbereitet zu fühlen, etwa um Kleinkinder von null bis vier Jahren zu betreuen. Aber das ist auch nicht das Ziel. „Die Basisausbildung ist als Einstieg gedacht, die in wirkliche Qualifizierung münden soll“, betont Danielle Schronen, die bei der Caritas die Hilfserzieher-Schulungen konzeptuell betreut. Die Caritas hat immer wieder selbstkritisch unterstrichen, „Hilfskräfte können nicht als qualifiziertes Personal gelten“. Angestrebt werde, dass Hilfserzieher sich im Laufe ihrer Betreuungstätigkeit weiterbildeten. Laut einer Studie, die die Caritas zu Formaflex veröffentlichte, war das bei rund der Hälfte der Absolventen der Fall. Allerdings ist unklar, wie viele den Weg in den qualifizierten Erzieherberuf gefunden und den beruflichen Aufstieg wirklich geschafft haben. Das wollen die Flex-Denker nun in einer weiteren Studie untersuchen, die im Oktober/November vorgestellt werden soll.
Die Politik scheint indes noch nicht ganz verstanden zu haben, wie groß der Druck im Kinderbetreuungssektor ist und wie wichtig flexible aufeinander aufbauende Weiterbildungsangebote, auch für SeiteneinsteigerInnen, sind. Wie sonst ist zu erklären, dass motivierten Seiteneinsteigern der Weg in den Sozialberuf schwer gemacht wird? Wer sich umschulen lassen und berufsbegleitend Erzieher werden will, muss ins Ausland gehen. Aber wer beschäftigt ist, wird Schwierigkeiten haben, einen so verständnisvollen Arbeitgeber zu haben, dass er der sie für zwei Tage in der Woche fernbleiben kann, um im Ausland Weiterbildungskurse zu belegen.
Trägerorganisationen fordern schon länger, diese Form der Erwachsenenfortbildung in Luxemburg anzubieten und den Einstieg durchlässiger zu machen. Als beschäftigungspolitische Maßnahme werden die Flex-Schulungen zwar seit Jahren mit Geldern aus dem Europäischen Sozialfonds und dem nationalen Beschäftigungsfonds unterstützt Aber in Anbetracht der Tatsache, wie lange es die Schulungen gibt, erstaunt, dass sie weiterhin über Brüsseler Gelder finanziert wird. „Die Projekte werden von einem Komitee ausgesucht. Das hängt von der inhaltlichen Ausrichtung ab“, erklärt Abilio Fernandes, der im Arbeitsministerium die vom Europäischen Sozialfonds kofinanzierten Projekte koordiniert. Fogaflex war anders konzipiert als Qualiflex, das als zehnwöchige Schulung funktioniert, aber das arbeitspolitsiche Ziel, die Wiedereingliederung von Arbeitslosen, war dasselbe.
Niedrigqualifizierten im Betreuungssektor einen Aufstieg zu ermöglichen, war auch das Ziel des aktuellen Projekts der Caritas, Valiflex, das vom ESF mit 390 000 Euro unterstützt wird. Das Vali im Namen steht für Validation des aquis de l’expérience und sieht vor, dass Teilnehmer sich voran gegangene Berufserfahrung oder informell gewonnene Lebenserfahrung mit Betreuungsaufgaben, etwa durch die Pflege eines behinderten Kindes oder pflegebedürftiger Eltern, zertifizieren lassen können. Somit sollen insbesondere Frauen, die für die Pflege eines behinderten Kindes oder pflegebedürftiger Eltern wertvolle Betreuungserfahrung gemacht, aber keinen Beruf haben, die Möglichkeit erhalten, doch zu einem Zeugnis beziehungsweise zu einem Berufsabschluss zu kommen.
Doch während die Organisatoren sich über Anfrage für die Valiflex-Basisausbildung nicht beklagen können – von rund 110 Bewerberinnen kommen 50 in die engere Auswahl und werden schließlich 20 die Schulung antreten –, sieht es bei den Kandidaten für die VAE-Prozedur eher mau aus. Das liegt vor allem daran, dass bei der Adem viele eingeschrieben sind, die eben keine Erfahrung im Betreuungsbereich vorweisen können. „Wir haben viele Umsteigerinnen“, erklärt Projektkoordinator Marco Da Silva von der Caritas. So habe sich das Profil der Bewerberinnen und Bewerber der Hilfserzieher-Schulungen im Laufe der Jahre geändert: Von überwiegend Frauen um die 40 bis 50 Jahre seien es nun Bewerberinnen aus allen Altersstufen und Berufsgruppen. Darunter auch einige Männer. „Wir haben sogar Akademikerinnen, die sich bei uns bewerben, die wir aber an andere Stellen weiterleiten“, sagt Danielle Schronen. Auch junge Leute, die die Schule abgebrochen haben oder unentschlossen sind, melden sich an. „Die versuchen wir auf andere Ausbildungsangebote zu vermitteln. Wichtig ist für uns, dass die Leute wirklich motiviert sind, im Erziehungsbereich zu arbeiten“, betont Schronen. Als Kandidaten für die VAE-Prozedur kommen die jungen Leute nicht in Frage: Sie haben meist keinerlei Erziehungserfahrung.
Die Erfinder von Valiflex hatten daher ursprünglich gehofft, Teilnehmer früherer Flex-Schulungen gewinnen zu können. 200 von ihnen hatten sie angeschrieben, 20 antworteten, genügend, um bei ihnen das VAE-Verfahren einzuleiten. Dass diese dann doch nicht teilnahmen, liegt an den Spielregeln und der Finanzierungsweise der Maßnahme: Valiflex erfüllt als neues Projekt zwar das Kriterium, innovativ zu sein, das es für die Finanzierung durch den ESF braucht. Für den nationalen Beitrag kommt der Beschäftigungsfonds auf. Und das setzt wiederum voraus, dass die Maßnahme sich an Leute ohne Erwerbsarbeit richtet. Damit scheiden Teilnehmer voriger Schulungen aus, wenn sie eine Anstellung haben. Und das ist die Mehrheit: „Obwohl sie über die nötige Erfahrung verfügen, kommen sie nicht in Frage“, fasst Danielle Schronen das Problem zusammen.
Wegen dem Mangel an geeigneten Bewerbern für die Validation soll das Valiflex-Projekt Ende 2013, wenn das aktuelle Programm des ESF ausläuft, nicht mehr angeboten werden. Was aber nicht bedeutet, dass es die Hilfserzieher-Schulung in Zukunft nicht mehr geben wird. Die Caritas schaut sich derzeit nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten um. Die Zusammenarbeit mit der Adem soll bestehen bleiben. Nachgedacht werde über Mischfinanzierungen, wobei der Arbeitgeber einen Teil der Schulungskosten übernehmen würde, deutet Marco Da Silva an. Das macht Sinn, schließlich profitieren sie vom Schulungsangebot. „Die Flex-Dynastie läuft langsam aus“, scherzt Da Silva.
Eine finanziellen Beteiligung der Arbeitgeber dürften auch die Arbeitnehmerverbände begrüßen. „Die Hilfserzieher haben eine Daseinsberechtigung“, bekräftigt Carole Steinwachs vom OGBL. „Aber sie brauchen eine Arbeit, von der sie gut leben können.“