„Es kommt ganz darauf an, auf was für einen Berater man trifft“, berichtet Francine*. Soeben hat die 23-jährige Sekretärin zusammen mit ihrer Freundin die Administration de l’emploi in Luxemburg-Stadt verlassen. „Die behandeln uns dort wie den letzten Dreck“, schimpft ihre Begleiterin, ebenfalls gelernte Sekretärin, erbost. Wegen einer Ausbildung, die ihr das Arbeitsamt anbietet, muss sie im Adem-Hauptsitz in der Rue Bender vorstellig werden, normalerweise sitzt ihre Betreuerin in der Zweigstelle in Wasserbillig. „Da sind sie noch freundlich, dort nehmen sie sich Zeit für uns“, lobt die junge Frau, die zuletzt in einem Büro im Bauwesen gearbeitet hatte. Die Firma hat im November Insolvenz angemeldet.
Am Dienstag waren sie und ihre Freundin deshalb in die Hauptstadt aufgebrochen, um in der Frühe eine Stunde Schlange zu stehen und dann fünf Minuten mit dem persönlichen Berater über Weiterbildungsangebote zu reden. „Ich war vor drei Jahren bereits einmal für drei Monate arbeitslos. Damals unterstellte mir der Berater, ich wolle nicht arbeiten. Dabei hatte ich unzählige Bewerbungen geschrieben“, erinnert sich Francine.
Dass die Gespräche im Arbeitsamt nicht sehr lange dauern, berichten auch andere Arbeitslose, die das Land vor dem Gebäude angetroffen und zum Service befragt hat. „Ach, meistens zwei bis fünf Minuten“, sagt ein junger Mann. Sein Begleiter wirft ein: „Maximal.“ Die Männer sind seit drei Monaten respektive sechs Monaten arbeitslos gemeldet. Beide hatten die Schule mit 15 Jahren ohne Diplom verlassen, und direkt angefangen zu arbeiten. „Damals gab es Arbeit für alle“, sagt Tom*, 33. Dennoch waren nicht wenige seiner Verträge befristet. Vom Fensterputzer über den Kellner bis hin zum Baustellenleiter reichten die beruflichen Stationen, die beide durchlaufen haben. In der Vergangenheit klappte der Übergang von einem Job zum nächsten recht reibungslos. Aber dieses Mal ist die nächste Station nicht in Sicht. „Die Betreuer hier haben nichts anzubieten. In drei Monaten schlugen sie mir zwei Stellen vor, auf die ich mich bewerben sollte“, erzählt der Junggeselle entnervt. „Ich suche selbst, vor allem im Internet. Da findet man mehr.“
Davon dass die Adem reformiert werden soll, haben die beiden nichts gehört und, das sagen sie, noch weniger bemerkt. „Eine Zeit lang mussten wir nur noch alle zwei Monate kommen, jetzt ist es wieder einmal im Monat“, erzählt Germain*, der sich in die Diskussion einmischt. Er ist 59 Jahre alt und seit rund vier Jahren ohne Arbeit. Seitdem hat er viele Betreuer kommen und gehen sehen. Nur einen neuen Job, den hat der ehemalige Leiter einer Putzfirma noch immer nicht. Seitdem er sich bei einem Einsatz die Schulter verletzt hat, kann er keine schwere handwerkliche Tätigkeit mehr ausüben. Und seit er seine Bezüge teils aus der Pensionskasse bekommt, so ist zumindest sein Eindruck, habe das Interesse seines Betreuers, ihn in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, deutlich nachgelassen. „Er wollte mich bei Pro Actif unterbringen, aber die Angestellten dort haben psychische Probleme oder waren drogensüchtig. Was soll ich da?“, fragt er und fügt fast verständnisvoll zu: „Wer will jemanden kurz vor der Rente engagieren?“ An Interesse oder Engagement fehle es nicht, sagt er: Zuhause zu sitzen, sei „langweilig“. Zudem seien mit 1 600 Euro aufgestockten Pensionsansprüchen keine großen Sprünge zu machen. Seinen Lebenslauf aktualisiert Germain, wenn er mal wieder einen Kurs der Adem besucht hat. Zwei Computerkurse hat ihm das Amt schon bezahlt sowie ein Training, um besser auf Vorstellungsgespräche vorbereitet zu sein. Genutzt hat es bisher nichts. Bloß kürzlich bekam er ein Stellenangebot vom Amt geschickt: eine Hunde-Sitting-Firma suchte einen Mitarbeiter. Germain mag Hunde, aber sie zu waschen, zu trimmen und an der Leine auszuführen, war für seine chronisch schmerzende Schulter eine zu starke Belastung. „Spätestens daran scheitert es dann“, sagt der gebürtige Italiener enttäuscht.
Andere haben die Hoffnung ganz aufgeben. „Ich komme hier nur noch hin, um mitzuteilen, dass ich noch keine Arbeit gefunden habe“, sagt eine 50-jährige Französin achselzuckend. Sie war zuvor Kassiererin bei einer größeren Luxemburger Supermarktkette. Aber nach einem schweren Bandscheibenvorfall konnte sie nicht mehr auf dem Stuhl sitzen. „Zum Glück arbeitet mein Mann, sonst sähe es für mich und meine Familie schlimm aus“, so die Frau, die nur Französisch spricht. Dauer ihrer Unterredung im Amt: zwei Minuten, so viel, wie es braucht, um eine Unterschrift abzuleisten.
Dass die Betreuer nicht ausreichend Zeit für Gespräche haben, hört man übrigens öfters. „Und was sollen sie uns auch sagen? Viele sind jünger und haben selbst nicht viel Berufserfahrung. Manche haben noch nie irgendwo anders gearbeitet als beim Amt. Was wissen die von der Arbeitswelt?“, lästert einer.
Dass die Adem-Berater nicht immer auf dem Laufenden scheinen, was auf dem Arbeitsmarkt los ist, berichtet auch eine französische Akademikerin. Sie war zuletzt bei der Uni Luxemburg angestellt. Weil ihr befristeter Vertrag nicht verlängert wurde, sucht die Neurowissenschaftlerin nun eine neue Anstellung. Auch sie muss monatlich bei der Adem vorstellig werden. Sehr hilfreich seien die Unterredungen aber nicht. „Sie fragen mich, ob ich mich bewerbe, aber es gibt für meinen Fachbereich in Luxemburg kaum Stellen“, so die Postdoktorandin, die sich auf eigene Faust über internationale Netzwerke auf dem Laufenden hält und sich über spezielle Akademiker-Webseiten bewirbt.
Was aber keineswegs heißt, dass die Adem nichts unternimmt. Die meisten der vom Land befragten Erwerbslosen, die bereits länger bei der Adem eingeschrieben sind, haben einen oder mehr Kurse besucht. Oft geht es um die Selbstdarstellung bei der Bewerbung, einige nutzen Weiterbildungsangebote. Der Tätigkeitsbericht für 2012 der Adem liegt noch nicht vor, aber laut Jahresbericht 2011 investiert die Adem verstärkt in Weiterbildungskurse und Umschulungsmaßnahmen. Sie sollen ausgebaut werden, hat Arbeitsminister Nicolas Schmit (LSAP) versprochen, als Teil einer verbesserten Beschäftigungspolitik. Die Reform für das Reclassement soll diesen Freitag durch den Regierungsrat gehen. Dann soll auch die Adem weiteres Personal erhalten. Die Verwaltung wurde in den vergangenen drei Jahren personell deutlich verstärkt, aber Mitarbeiter erzählen hinter vorgehaltener Hand, die neuen Kräfte würden durch den großen Ansturm rasch wieder aufgezehrt. „Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit und wir, beziehungsweise die Arbeitslosen, sind am Ende die Verlierer“, sagt ein Mitarbeiter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Auch Adem-Mitarbeiter sind offenbar nicht frei von der Angst, ihren Job verlieren zu können.