Von wegen babylonische Sprachverwirrung! Rund 150 Teilnehmer aus Andorra bis Ungarn diskutierten vergangene Woche in den Räumen der Abtei Neumünster auf English, Deutsch oder Französisch darüber, was professionelle Mehrsprachigkeit in der Hochschulausbildung bedeutet, welche Probleme, aber vor allem auch welche Chancen, nicht zuletzt im Beruf und auf dem Arbeitsmarkt, damit verbunden sind.
Mittendrin Gastgeberland Luxemburg, für das der Zeitpunkt der vierten internationalen Mehrsprachigkeitskonferenz kaum günstiger hätte sein können: Vor zwei Wochen erst haben Universität und Regierung den neuen Vierjahresplan 2010-2013 unterzeichnet, von denen einer der fünf Prioritäten „l’éducation et l’apprentissage en contexte multilingue et pluriculturel“ heißt. Pünktlich zur Konferenz liegt zudem ein noch unveröffentlichtes achtseitiges Sprachenkonzept vor, das die Universitätslei-tung ebenfalls in Bälde verabschieden möchte. Sein Ziel: die Dreisprachigkeit als „ökologische Nische“ fördern und professionalisieren.
Obwohl das Universitätsgesetz von 2003 den „caractère multilingue de son enseignement“ als Grundprinzip festhält und die meisten Bachelor- und Masterstudiengänge inzwischen, wenn nicht dreisprachig, so doch zweisprachig angeboten werden, existiert eine durchkonzipierte Sprachenpolitik an der Luxemburger Hochschule lediglich in Ansätzen. Dabei standen von Anfang an die mehrsprachige Uni Freiburg in der Schweiz und die Freie Universität aus Bozen als Vorbild und Paten zur Seite; ein 2007 unterzeichnetes Partnerabkommen zum Ideen- und Studentenaustausch läuft im Mai aus und wird nicht mehr verlängert. Die Zusammenarbeit geht dennoch weiter, wie Gespräche am Rande der Konferenz sowie das Rundtischgespräch am Ende der Konferenz zwischen den Rektoren der drei Universitäten belegen.
Ähnlich wie die Freiburger Uni hat Luxemburg eine Quote eingeführt, um seinem selbstgewählten Anspruch auf Mehrsprachigkeit gerecht zu werden: 25 Prozent der Studienkurse sind in der zweiten Sprache zu absolvieren; bei dreisprachigen Studiengängen kommen 20 Prozent auf Englisch hinzu. „Die Quote bezieht sich aber nur auf die Studienprogramme“, gab Gudrun Ziegler, Sprachforscherin und Leiterin des Master-Studiengangs Learning and development in multilingual and multicultural contexts, in einem Vortrag zu bedenken. Nicht näher bestimmt ist zudem, welche Arbeiten die Studenten in der zweiten Sprache schreiben müssen – und welchen Stellenwert die Mehrsprachigkeit beispielsweise in der Forschungsarbeit haben soll. Absolventen bekommen den Besuch zweisprachiger Kurse mittels Bologna-konformen ECTS-Punkten bescheinigt, aber ein regelrechtes Mehrsprachigkeitsdiplom, wie es in Freiburg existiert, fehlt hierzulande.
Nicht nur das soll sich mit dem Sprachenplan ändern. „Wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, wo wir klarere Regeln brauchen“, erklärt Guy Poos, geschäftsführender Generalsekretär der Uni und verantwortlich für die Entwicklung des Sprachenkonzepts. In den Anfangsjahren der Uni habe man sich in erster Linie auf die Zusammenführung der Forschungsinstitute und den Aufbau von Forschungsbereichen sowie Studieninhalten konzentriert. Dabei „haben wir bewusst nicht zu viel regulieren wollen, um uns nicht zu sehr einzuengen“, sagt Poos. Inzwischen steht die junge Uni etwas fester auf den Beinen. Seit etwas mehr als einem Jahr feilt eine Arbeitsgruppe, unter Mitarbeit des Freiburger Professors Michael Langner, intensiv an einem Sprachenkonzept, von dem ein Vorentwurf bereits im März 2009 uniintern vorgestellt wurde.
Im überarbeiteten Entwurf sind die Schwerpunkte dieselben geblieben. Es geht darum, eine kohärente Sprachenpolitik für die gesamte Uni einzuführen. Stichwort Rekrutierung: Die zuvor überwiegend frankophon ausgerichtete Verwaltung umzubauen, sei „ein langer, aber erfolgreicher Prozess“ gewesen, sagt Guy Poos. Dass man sich für eine deutsche Pressesprecherin entschieden habe, sei eine bewusste Entscheidung und ein Signal dafür gewesen, die Mehrsprachigkeit zu stärken. Inzwischen ist das administrative Personal weitgehend zweisprachig. Wer in direktem Kontakt zu luxemburgischen Studenten steht, muss, so will es der Sprachenplan, zusätzlich Luxemburgisch können.
Auch beim akademischen Personal ist die Universität bemüht, die Mehrsprachigkeit zu fördern. Neben den Luxemburgern (77) haben die Deutschen (43) hier zahlenmäßig die Nase vorn, gefolgt von Franzosen (19) und Belgiern (16). Doch Nationalitäten sagen nicht viel aus: „Entscheidend sind die Sprachkompetenzen“, betont Michael Langner. Der Fremdsprachendidaktiker weiß, wie schwierig es ist, eine mehrsprachige Kultur zu etablieren: „Wir müssen die Leute sanft dahin führen.“ Der Vorwurf etwa der „Germanisierung“ ganzer Fachbereiche, wie er zuletzt an die Fakultät Gesellschaftswissenschaften gerichtet wurde, erklärt sich nicht nur, aber auch durch (fehlende) Sprachenkompetenzen: Während die deutschen Mitarbeiter offenbar eher eine zweite Sprache mitbringen oder bereit sind, diese zu erlernen, tun sich viele Franzosen oder Belgier damit schwerer. Auch da will der Sprachenplan Bewegung bringen und eine informelle Regel offizialisieren: Spätestens nach zwei Jahren Einarbeitungszeit sollen Luxemburgs Dozenten auch in der zweiten Sprache unterrichten. Wer das nicht macht, dem drohen zwar (noch) keine Sanktionen, er oder sie könnte aber eines Tages zu einem Mitarbeitergespräch in die Unileitung gebeten werden.
Doch auch wenn unter Sprachforschern zunehmend Einigkeit darüber herrscht, dass die Mehrsprachigkeit professionalisiert werden muss und dass es dafür gute Konzepte braucht: Über das Wie gibt es konroverse Auffassungen. Auf der Konferenz erklangen auch skeptische Stimmen, die vor zu viel Regulierung und vor ungewünschten Nebenwirkungen einer allzu strikten „language policy“ warnten. Hinter Sprachenplänen, so der britische Sprachwissenschaftler Robert Phillipson, Autor des Buches Linguistic imperialism, a conspiracy or a conspiracy of silence?, stehe meist ein bestimmtes Mehrsprachigkeitskonzept, das die einen einschließe und andere außen vorlasse. Phillipson warnte vor einem „globalen Siegeszug des Englischen“. Europas Vorreiter-Unis in punkto Mehrsprachigkeit haben mit „Englisch als Hegemonialsprache“ wohl weniger zu kämpfen, aber sie bekommen ihre Sprachenpolitiken zu einem erheblichen Teil von ihren Landesregierungen auferlegt. Der Fokus auf Deutsch und Französisch – in Bozen zusätzlich Italienisch – sowie Englisch hängt eng mit der geografischen Lage, historischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen zusammen. Bewerben kann sich jeder, ob aus Spanien, Polen oder anderswo. Aber wer die drei offiziellen Unterrichtssprachen nicht beherrscht, muss nachsitzen – vielleicht sogar auf Kosten der Inhalte.
Im vom Land moderierten Rundtischgespräch zum Abschluss der Konferenz beteuerten die drei Rektoren aus Bozen, Freiburg und Luxemburg zwar, die „Disziplin“ und das „Fachwissen“ stünden an erster Stelle. Die Sprache einfach hintan zu stellen, können diese Universitäten aber auch nicht, wollen sie mit ihrem Mehrsprachigkeitsanspruch ernst genommen werden. Dass nicht überall Mehrsprachigkeit drin ist, wo Mehrsprachigkeit drauf steht, ist eine internationale Erfahrung: Auch nach Luxemburg kommen viele Studenten wegen des Sprachenangebots, ohne deshalb immer die nötigen Sprachkenntnisse mitzubringen.
Eine Möglichkeit, den schwierigen Spagat zwischen Anspruch und Realität zu bewältigen, über die auch in Luxemburg nachgedacht wird, sind Sprachentests: Studienbewerber müssten dann gewisse Vorkenntnisse in den anerkannten Unterrichtssprachen nachweisen. Standardisierte Sprachanforderungen sind unter Experten jedoch umstritten, weil sie dazu beitragen können, Potenziale zu verkennen und fachlich fitte, sprachlich aber nicht so guten Kandidaten von vornherein den Weg zu versperren. Guy Poos hofft, derlei Nebeneffekte dennoch eindämmen zu können: „Wir müssen die Tests so gestalten, dass auch Studenten, die in einer der Unterrichtssprachen noch nicht sattelfest sind, sie bestehen und sich weiter entwickeln können.“ Das allerdings setzt voraus, dass sie ihre Sprachkompetenzen während des Studiums ohne größere organisatorische Schwierigkeiten verbessern und vertiefen können.
„Wir brauchen auf längere Sicht ein Sprachenzentrum“, ist Michael Langner überzeugt. Nur dort könnten Sprachkurse und Übersetzungen in der Kontinuität, Qualität und inhaltlichen Ausrichtung gewährleistet werden, wie die einzelnen Fakultäten sie brauchen. Der Haken: Ein Sprachenzentrum ist sehr personal- und ressourcenaufwändig, also kostspielig – und das ist, zumal in Krisenzeiten, nicht so gut gesehen. Wohl deshalb steht im Kapitel Le multilinguisme des Vierjahresplans recht unverbindlich: „(...) l’université promeut le renforcement des connaissances linguistiques de ses nouveaux étudiants ainsi que de ses nouveaux enseignants-chercheurs“.
Mit der Kostenfrage eng zusammen hängt noch ein anderes Problem, welches Konferenzteilnehmer angeregt debattierten: Wie lässt sich der Mehrwert von Mehrsprachigkeit beziffern? Dass Kompetenzen in mehreren Sprachen sich im späteren Berufsleben mit barer Münze auszahlen, darüber herrschte allgemein Einigkeit, und das leuchtet angesichts der globalisierten Arbeitswelt auch ein. Aber: „Mehrsprachigkeit bedeutet nicht, zwei oder drei Sprachen zu beherrschen“, betonte Walter Lorenz, Rektor der Freien Universität Bozen. Es gehe um interkulturelle Verständigung, darum, über die Sprache andere Kulturen kennen und verstehen zu lernen – ein „added value“, der sich, das warf der Physiker und Unirektor Rolf Tarrach ein, zwar „empirisch kaum messen lässt“, „den aber nur mehrsprachige Absolventen haben“.
Multiplikatoren und Garanten dieses ganzheitlichen Verständnisses von Mehrsprachigkeit, „commitment“, wie es der Freiburger Vizerektor Jean-Luc Gurtner nennt, sind nicht zuletzt die Dozenten. Die triliguale Luxemburger Lehrerausbildung richtet besonderes Augenmerk auf die kritische Auseinandersetzung mit sozio-kulturellen Kontexten und historisch-politischen Hintergründe der hiesigen Mehrsprachigkeit. Statt sich auf das Erlernen von Einzelsprachen, mit ihrer jeweiligen Rechtschreibung, Wortbildung und Grammatik zu beschränken, soll die Ausbildung die künftigen Lehrer dazu befähigen, im mehrsprachigen Kontexten unterschiedlichster Art zu unterrichten; nicht die Einzelsprache, sondern der Prozess des Sprachen-Lernens steht im Mittelpunkt. Ein neues Verständnis eines mehrsprachiges Sprachenunterrichts, das dem European Profile for Language Teacher Education zugrunde liegt, welches der britische Sprachforscher Michael Kelly entwickelt hat und auf der Konferenz kurz vorstellte. Es soll als „Referenzrahmen für die Ausbildung der Fremdsprachenlehrer im 21. Jahrhundert“ in Europa dienen.
Wie neuartig und brisant dies ist, zeigte sich nach der Konferenz: Die Teilnehmer waren noch nicht alle zu Hause angekommen, da meldete sich schon ein besorgter Abgeordneter zu Wort: Wie die Regierung die Überlegungen zur Mehrsprachigkeit und zur Lehrerausbildung der Konferenz bewerte, fragt der CSV-Deputierte Gilles Roth in einer parlamentarischen Anfrage die Unterrichtsministerin. Auf deren Antwort darf man gespannt sein.