„Hätten sie uns doch damals nur in Ruhe gelassen.“ Die Person am Telefon weint. „Sie haben Wunden aufgerissen und was kommt jetzt dabei raus? Ich bin mega-enttäuscht!“ Die verzweifelte Stimme ist eine von mehr als hundert, die sich 2010 bei der katholischen Meldestelle für Opfer sexueller Übergriffe gemeldet hatten, um zu bezeugen, was ihr und anderen damals als Kind in einem katholischen Kinderheim an Gewalt widerfahren war.
Dass sie zum Telefon greift, liegt an der Aussage von Generalstaatsanwalt Robert Biever am Mittwoch vor der parlamentarischen Justizkommission. Er hatte den Abgeordneten erklärt, dass von allen von seiner Behörde untersuchten Missbrauchsfällen kein einziger juristische Folgen haben würde. Sie sind alle verjährt, „archi-verjährt“, wie Biever auf RTL mitteilte. Hintergrund des Besuchs des Generalstaatsanwalts war ein Fehler im neuen Gesetz zum Kindesmissbrauch, wo versehentlich die Strafe für „attentat à la pudeur“ auf Kinder unter elf Jahren auf ein Maximum von fünf Jahren reduziert worden war. Zuvor betrug das Strafmaß fünf bis zehn Jahre.
Was für juristische Experten nachvollziehbar ist, die Taten liegen 30 Jahre und mehr zurück und sind nach dem Gesetz nicht mehr zu belangen, ist für die Opfer gar nicht leicht zu schlucken. Für X (Name der Redaktion bekannt), die sich beim Land gemeldet hat, ist es ein Schlag ins Gesicht. „Warum haben sie uns reden lassen? Ich hatte vor 19 Jahren geschrieben, dass ich im Heim geschlagen wurde“. Sie hatte damals einer Luxemburger Zeischrift von ihrem Leid berichtet – ohne Folgen für die Täter. Die allgemeine Entschuldigung, die der damalige Erzbischof Fernand Franck im November 2010 vortrug, reicht ihr nicht.
Der liberale Abgeordnete Xavier Bettel richtete nach Bievers Besuch in der Kommission eine parlamentarische Anfrage an den Kultusminister, François Biltgen (CSV). Ob nicht eine moralische Verpflichtung gegenüber den Opfern kirchlicher Gewalt bestehe, diese trotz Verjährung zu entschädigen, fragt er. Und wie viele Opfer seit der Veröffentlichung des Berichts von der Kirche entschädigt worden sein.
Die Antwort kennt Théo Péporté. Der Pressesprecher des Erzbistums kündigte gegenüber dem Land an, ein Text zur Entschädigungsfrage liege vor und solle in den nächsten ein, zwei Wochen publiziert werden. Allerdings: Die Veröffentlichung des Abschlussberichts ist mehr als ein Jahr her – seitdem ist es im Dossier still geworden. Zu den Empfehlungen, welche die vom verstorbenen CSV-Abgeordneten Mill Majerus geleitete Opfer-Hotline der Kirche auf den Weg gab, gehört eine finanzielle Anerkennung der Leiden, aber die zieht sich bis heute hin. Ein Grund für das lange Schweigen sind wahrscheinlich interne Beratungen: Mit dem begriff der Entschädigung tut sich die katholische Organisation schwer, weil diese persönliche strafrechtliche Schuld impliziert, die schon wegen der Verjährungsfrist nicht gegeben ist.
In Belgien liegt die Entschädigungssumme zwischen 2 500 und maximal 25 000 Euro. In Deutschland hatte die Bischofskonferenz im März 2011 nach langen Verhandlungen minderjährigen Opfern sexueller Gewalt bis zu 5 000 Euro Entschädigung zugesprochen, für die der Täter persönlich aufkommen soll – je nach Schwere des Falls. Das Angebot zur finanziellen Entschädigung bezieht sich auf Fälle, bei denen wegen Verjährung kein durchsetzbarer rechtlicher Anspruch mehr auf Schadensersatz und Schmerzensgeld besteht. Um Opfern, bei denen die Fälle noch nicht verjährt sind, einen Rechtsweg zu ersparen, sollen außergerichtliche Einigungen angestrebt werden. Um die Entschädigung geltend zu machen, müssen Opfer die Richtigkeit ihrer Aussage per Eid versichern, die Kirche prüft den Einzelfall. Die Hilfen, so die Bischofskonferenz, sollten „zur Heilung der Folgen sexuellen Missbrauchs“ beitragen. Opfervertreter hatten das Angebot als „Unverschämtheit“ zurückgewiesen und der „reichsten Kirche der Welt“ vorgeworfen, sich aus der Affäre zu ziehen, indem „die Täterorganisation selbst festlegt, was ihr die Angelegenheit wert sei“. Opfer sexuellen Missbrauchs kämpfen oft ein Leben lang mit den Spätfolgen der Übergriffe ihrer Peiniger.
In Luxemburg übernimmt die Kirche Therapiekosten für Opfer sexueller Gewalt. Vermutlich wird sie in punkto Entschädigung einen ähnlichen Weg gehen. Details vermochte Péporté zwar nicht zu nennen – er kenne das Papier nicht -, aber eine „Anerkennung des Leids“ wird es geben, versicherte er. Man orientiere sich bei der Entschädigungsprozedur an dem, was die „Nachbarkirchen gemacht haben“.
Für X ist das kein Trost: „Es geht mir nicht um das Geld. Ich will, dass die Gesellschaft das Unrecht anerkennt.“ Ob der Staat diese Verantwortung übernehmen sollte, etwa bei Übergriffen, die in staatlich überwachten Heimen geschahen, ist laut Kommissionspräsident Gilles Roth (CSV) eine komplexe Frage. Laut einem Gesetz von 1988 ist das theoretisch möglich. Der Grüne Felix Braz warnte davor, den Staat zu früh in die Pflicht zu nehmen: „Es ist klar, dass der Staat sich nicht seiner Verantwortung entziehen darf dort, wo Übergriffe in staatlichen Heimen geschieht sind.“ Man dürfe aber nicht „alle Verantwortlichkeiten auf eine Stufe stellen“, so Braz, der darauf hält, für den moralischen Schaden hätten jene aufzukommen, die ihn verursacht haben. Das Bistum dürfe nicht so tun können, als seien es die Taten Einzelner gewesen. Juristische Gerechtigkeit, so fügt der Abgeordnete bedauernd hinzu, sei in den Fällen nicht mehr möglich.