Wenn eine Organisation wie der Gemeindeverband Syvicol es nötig hat, wegen eines Gesetzes-Vorentwurfs, über den die Regierung sich selber noch nicht einig ist, eine Pressekonferenz einzuberufen, dann muss eine Menge auf dem Spiel stehen. Denn schon wegen der vielen députés-maires ist der Syvicol so gut mit der Politik vernetzt, dass für ihn die Wege zu jeder Regierung kurz sind.
Als der Vorstand des Gemeindeverbands am Montag vor die Presse trat, ging es vor allem um den Vorentwurf zum neuen Landesplanungsgesetz. Die Konferenzdramaturgie war eine spezielle: Um zwei weitere Gesetzentwürfe der Regierung, die ebenfalls an das Konfliktfeld aus staatlicher und kommunaler Planungshoheit rühren, ging es auch. Dadurch wuchs der Eindruck, der Staat wolle die Gemeinden gängeln.
Doch Syvicol-Präsident Dan Kersch betonte nachdrücklich, dass jener Text, der das elf Jahre alte Landesplanungsgesetz reformieren soll, „nur ein Vorentwurf“ sei. Er erwähnte mehrfach, dass er „noch von Jean-Marie Halsdorf“ stamme. Und er begrüßte so deutlich, dass Claude Wiseler, der neue, nun auch für die Landesplanung zuständige Nachhaltigkeitsminister, „Gesprächsbereitschaft signalisiert“ habe, dass die ganze Veranstaltung im Grunde nur an Wiseler gerichtet sein konnte, den Minister, der ausgesprochen ungern politische Fehler macht. Zumal Kersch noch etwas in den Raum stellte: Wenn alle Stricke reißen, werde man die députés-maires im Parlement mobilisieren müssen.
Mag sein, dass Kersch, der Monnericher Bürgermeister, die Auseinandersetzung um die Landesplanung auch als seinen politischen Einstieg als Syvicol-Präsident versteht und schon deshalb einen Ton anschlägt, der sich deutlich von dem seines eher konfliktscheuen Vorgängers Jean-Pierre Klein unterscheidet. Aber dass sich unter den Gemeindeoberen gleich welcher politischer Couleur gegenüber dem Reformentwurf zum Landesplanungsgesetz Entrüstung erhebt, ist gar nicht unwahrscheinlich. Auch nicht nach dem kleinen Krisentreffen zwischen Claude Wiseler und LSAP-Fraktions-präsident Lucien Lux vom Mittwoch Nachmittag.
An Lux hatten die Signale vom Syvicol-Vorstandstisch sich natürlich ebenfalls gerichtet. Seit November konnte die Koalition sich nicht auf einen gemeinsamen Landesplanungs-Gesetzentwurf einigen. Auch nach zwei Regierungsratssitzungen waren die Differenzen mit der LSAP, die sich in der vorigen Legislaturperiode bei der Diskussion um die Territorialreform als die Bewahrerin der Gemeindeautonomie empfohlen hatte, noch nicht ausgeräumt. Am Mittwoch kurz vor vier Uhr war die Einigung da: Gegenüber dem Land erklärte Lucien Lux, dass Claude Wiseler einverstanden sei, die Gemeinden um ihr Gutachten zu fragen, falls das Ministerium einen Flächennutzungsplan erstellen will. Dagegen bleibt es dabei, dass diese Plans d’occupation du sol, die im Planerjargon nur mit „POS“ abgekürzt werden, „gestärkt“ werden sollen. Was für Claude Wiseler „nicht bedeutet, dass ich neben dem Innenminister eine zweite Tutelle über die Gemeinden anstrebe“. Der Syvicol-Präsident hatte das am Montag provokatorisch unterstellt. Aber: „Alle sind der Meinung, der Landesplanungsminister sollte gestärkt werden, und wir müssen mit der Landesplanung voran kommen“, so der Nachhaltigkeitsminister zum Land.
Was Stärkung der POS konkret heißt, bleibt abzuwarten – die Endfassung des Gesetzentwurfs wurde erst gestern Mittag niedergeschrieben. Für den Syvicol stellten am Montag die POS den wichtigsten Stein des Anstoßes dar. Es gibt sie schon seit Inkrafttreten des aktuellen Landesplanungsgesetzes, und sie sind dessen mächtigstes Instrument. Gießt die Regierung ein staatliches Planungsvorhaben in einen POS, muss jeder kommunale General-Bebauungsplan sich dem POS unterordnen.
Dass künftig die Gemeinden bei jedem POS ein Recht auf ihren Avis erhalten, ist ein Zugeständnis – bisher gilt diese Regel nicht. Aber dafür schreibt das geltende Landesplanungsgesetz vor, dass POS nur dann erstellt werden sollen, falls „il échet d’arrêter avec un degré de précision suffisante les charges et les servitudes grevant les propriétés et les contraintes d’aménagement découlant d’utilité publique“. Ob Einschränkungen dieser Art auch weiterhin gelten sollen, ist eine spannende Frage – beim Gemeindeverband geht die Befürchtung um, POS würden „zur Regel“.
Das ist vielleicht nicht ganz unbegründet. Schon der damalige Landesplanungsminister Jean-Marie Halsdorf sprach vor drei Jahren davon, dass eine neue Form von POS hilfreich sein könnte, um auf lokaler Ebene die vier sektoriellen Pläne für Transportwege, Wohnungsbau, Gewerbezonen und schützenswerte Landschaften umzusetzen, mit deren Ausarbeitung durch die Regierung begonnen worden war. Die Sache ist nur die: Wer tatsächlich so weit gehen wollte, die sektoriellen Pläne durch POS durchzudrücken, würde sich eine Menge Ärger mit den Gemeinden einhandeln. Ganz abgesehen davon, dass sich Verfassungsbedenken stellen.
Letzten Endes ist das der springen-de Punkt der geplanten Gesetzesreform: Mittlerweile ist die Landesplanung durch den Staat so weit fortgeschritten, dass man eine pragmati-sche Umsetzungsmöglichkeit vor Ort braucht. Und vielleicht ist die Verzweiflung schon so groß, dass man einen Reformtext, von dem man weiß, dass er problematisch ist, einfach auf den Instanzenweg schickt und abwartet, was der Staatsrat daraus macht.
Mehr noch: Schon erhalten Gemeinden von der kommunale Bauplanungen begutachtende Commission d’aménagement im Innenministerium Vorgaben gemäß dem sektoriellen Wohnungsbauplan, obwohl von allen Sektorplänen bislang nur Vorentwürfe publik sind. Und bereits die vorige Regierung ging von so viel Umsetzungsstau in der Landesplanung aus, dass sie die Vorentwürfe der Sektorpläne für Transportwege und Gewerbe- und Indusriegebiete „katasterscharf“ erstellen ließ: Aus den grafischen Teilen der beiden Dokumente, die bezeichnenderweise noch nicht veröffentlicht sind, geht auf die Parzelle genau hervor, wo Korridore für Transportwege und Flächen für Gewerbe- und Industriegebiete verlaufen sollen. Schon das ist ein Eingriff in die Gemeindeautonomie. Dass beide Pläne unter der Federführung der beiden LSAP-Minister Lucien Lux (Transport) und Jeannot Krecké (Wirtschaft) erarbeitet wurden, zeigt nur, wie relativ politische Bekenntnisse zur Gemeindeautonomie werden können, wenn der Sachzwang nur groß genug geworden ist.
Allerdings kann die Regierung keine großen Konfrontationen mit den Gemeinden wollen. Sie kosten nur Zeit, und das sollte aus Erfahrung bekannt sein. Als im Frühjahr 1999 das derzeit geltende Landesplanungsgesetz in der Abgeordnetenkammer verabschiedet wurde, herrschte fraktionsübergreifende Erleichterung darüber, das Gesetz von 1974 hinter sich gelassen zu haben. Seinem Regelwerk nach hatte allein die Regierung von oben her Planungen dekretieren können, was „zu endlosen Reibereien führte“, wie der CSV-Abgeordnete Nicolas Strotz bei der Debatte in der Abgeordnetenkammer erinnerte.
Dennoch wird der neue Gesetzentwurf hinter das aktuelle Gesetz zurückgehen, wenn er die „Regionalplanung“ für nicht mehr obligatorisch erklärt. Was ebenfalls ein pragmatischer Ansatz ist, denn die Re-gionalplanung hat bisher noch nie funktioniert. Aber die Idee, die unter dem LSAP-Landesplanungsminister Alex Bodry entstand, und nach der es parallel zu der sektoriellen Planung der Regierung eine Bottom-up-Planung durch die Gemeinden in den sechs Planungsregionen geben sollte, war nicht nur als Übung in planerischer Demokratie gedacht. Sie sollte auch der „articulation optimale entre les plans au sens de la présente loi et les instruments d’aménagement communaux“ dienen, schrieb die damalige Santer-Poos-Regierung in ihrem Motivenbericht zu dem 1993 auf den Instanzenweg geschickten Gesetzentwurf.
Demgegenüber scheint die Novelle des Landesplanungsgesetzes, wenn nicht von zentralistischen Planungsgedanken, dann von der Hoffnung durchdrungen, dass Staat und Gemeinden sich schon irgendwie finden werden. Wie schnell das klappt, bleibt zu sehen – die Diskussionen zum aktuellen Landesplanungsgesetz dauerten über fünf Jahre, brauchten drei Staatsrats-Gutachten und 17 Sitzungen im parlamentarischen Ausschuss. Und die Gesetzesnovelle kündigt sich als ebenfalls umfangreiche politische Baustelle an: Nicht nur wurden noch andere neue Bestimmungen, die der Syvicol-Präsident am Montag „gegen die Verfassung“ gerichtet sah, anscheinend auch in die Endfassung des Gesetzentwurfs übernommen. Etwa die, dass es dem Minister künftig möglich sein soll, sich an die Ausarbeitung kommunaler General-Bebauungspläne „assoziieren“ zu lassen, falls, was die Gemeinden planen, eine interkomunale Bedeutung erhalten könnte. Der Gesetzentwurf enthält auch die im vergangenen Jahr schon mehrfach angedeutete „Spekulationsbremse“ zum Einfrieren von Baulandpreisen. Welche Debatten solche Eingriffe ins Privateigentum auszulösen vermögen, hat der Gesetzentwurf über den Pacte logement gezeigt.