Rheinhausen. Früher war der Duisburger Stadtteil vor allem durch seine Montan-Tradition bekannt, durch die Proteste von Bergarbeitern und ihren Familien gegen die Schließung von Zechen und Hochöfen im nördlichen Ruhrgebiet. Duisburg-Rheinhausen war ein Symbolort. Das war in den Achtzigerjahren. Heute hat die Montanindustrie der Stadt und dem Stadtteil den Rücken gekehrt. Sozialbrachen und Bevölkerungsrückgang prägen die Stadt, die vor ihrer eigenen Zukunft resigniert. Ein Symbol blieb sie dennoch.
In Rheinhausen steht das so genannte Romahaus. Der Besitzer eine Größe aus dem Rotlichtmilieu, die Bewohner sind ausschließlich Rumänen und Bulgaren. Das einzige Hochhaus im Rheinhausener Ortsteil Bergheim wurde zum Symbol für die Schrecken der Armutszuwanderung aus Südosteuropa stilisiert. Mit den Bewohnern verkomme das Haus endgültig, heißt es unter den Nachbarn. Von Müllbergen wird berichtet, von Lärm, von Bräuchen, die nicht so Recht ins Stadtbild von Duisburg passen wollen. Von Männern, die ihre Notdurft im Freien verrichten und ihre Frauen auf den Strich schicken. Braucht es Fernsehbilder, die die Armutszuwanderung nach Deutschland schildern sollen, halten die Kameras auf das Romahaus in Rheinhausen – und die deutsche Volksseele, die davor steht und kocht. Mit allen Ressentiments.
Lange Zeit wurde das Thema Armutszuwanderung von der Regierung in Berlin kleingeredet. Es gäbe keinen Sozialbetrug, es gäbe keine Zuwanderung in die Arme der Sozialversicherungen, es gäbe kein zunehmender Zuzug vor allem aus Südosteuropa. Das Land steckt in der Zwickmühle: Schließlich herrscht in Deutschland ein Mangel an Fachkräften, pardon, an billigen Fachkräften und vor allem diesen möchte man sich als weltoffenes Land mit Willkommenskultur präsentieren. Schlagzeilen wie Armutszuwanderung passen nicht ins Bild. Auf der andere Seite sitzt die Rechts-außen-Partei CSU in Berlin mit am Regierungstisch. Diese muss Bundeskanzlerin Angela Merkel hin und wieder mit einem Stammtischthema bedienen. So will die Bundesregierung nun mit schärferen Gesetzen gegen den Sozialmissbrauch durch ökonomisch-bedingte Zuwanderung vorgehen.
Zunächst setzte die Bundesregierung eine Staatssekretärsrunde ein, um die Lage zu analysieren, die nach der Ausweitung der Arbeitnehmer-Freizügigkeit auf die EU-Staaten Rumänien und Bulgarien zu Beginn des Jahres entstanden ist. Der Bericht dieser Runde wurde am Mittwoch von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) präsentiert. Der Titel des Berichts: „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedsstaaten“. Das Ergebnis zusammengefasst: Ja, es gibt Armutszuwanderung. Indiz: Von den 14,4 Millionen Kindergeldberechtigten in Deutschland stammen rund 660 000 aus anderen EU-Ländern, viele davon aus südeuropäischen Krisen- und den neuen osteuropäischen Mitgliedsstaaten. Manches Kind, das aus Deutschland Kindergeld erhält, lebe zudem in seiner Heimat. Von polnischen und tschechischen Kindern seien dies fast jedes dritte, von rumänischen Kindern jedes zehnte. Das Kindergeld sei „häufig die einzig erkennbare Einnahmequelle der Familien“ und biete womöglich zusätzliche Anreize für eine Zuwanderung – so der Bericht unter Berufung auf entsprechende Angaben der Kommunen. Viele EU-Zuwanderer meldeten ihre Kinder mehrfach an oder erfänden sogar welche.
Dennoch: Die Freizügigkeit von Arbeitnehmern innerhalb der Europäischen Union stellt der Bericht nicht in Frage. „Es kann nur darum gehen, Fälle von betrügerischer oder missbräuchlicher Inanspruchnahme zu verhindern.“ Geht es nach den Autoren des Berichts, so sollen Kindergeldanträge künftig an die Vorlage der Steuer-Identifikationsnummer geknüpft werden. Wird das Kindergeld ins Ausland überwiesen, würden die Kontrollen verschärft. In Fällen von nachgewiesenem Sozialmissbrauch sollen auch „befristete Wiedereinreise-Sperren“ möglich sein. Auch das Aufenthaltsrecht für Arbeitssuchende, das bisher unbefristet gilt, soll nach den Vorschlägen der Staatssekretärsrunde befristet werden. De Maizière will vor allem auch diejenigen ins Visier nehmen, die „aus eigenen, niederen Interessen Zuwanderer hierher holen“, wie er in der Düsseldorfer Tageszeitung Rheinische Post angekündigte. Es könne nicht sein, so de Maizière, dass Menschen, die kein Wort Deutsch sprächen, mit perfekt ausgefüllten Anträgen auf dem Amt erschienen und Kindergeld oder gar einen Gewerbeschein beantragten. „Da geht es um gezieltes Anlocken von Zuwanderern zur Ausbeutung ihrer Arbeitskraft in Deutschland.“
Neben diesen Vorschlägen will die Bundesregierung auch handeln und denjenigen Kommunen, die von der Zuwanderung besonders betroffen sind, in den nächsten Jahren Finanzmittel in Höhe von insgesamt 200 Millionen Höhe zur Verfügung stellen. Unter anderem in Duisburg, Berlin und München sollen damit Integrationsangebote geschaffen werden, die „an den besonderen Bedarf der Zielgruppe“ angepasst werden sollen.
Der Sachstandsbericht der Stadt Duisburg zur Zuwanderung aus Südosteuropa zeichnet ein Bild, das zeigt, dass es nicht nur an Integrationskursen mangelt. Duisburg ziehe vor allem wegen zahlreicher renovierungsbedürftiger, leer stehender Immobilien Armutszuwanderer an. Darüber hinaus könne, so die Duisburger weiter, nicht jedem Zuwandererkind ein Schulplatz geboten werden, weil Räume und Lehrkräfte fehlen. Außerdem ist zu lesen, dass viele Jugendliche und Erwachsene nicht lesen und schreiben können. Dass es Zwangs- und vermutlich Kinderprostitution gibt. Auch steht in dem Bericht, dass das Zusammenleben von Anwohnern und Zuwanderern befriedet werden muss – nicht nur zwischen Deutschen und Zuwanderern, sondern auch zwischen einzelnen Migrationsgruppen. Gegenmaßnahmen kosten Geld – von der Gesundheitsvorsorge, über Bildungsangebote bis hin zu Qualifizierungsmaßnahmen für den Arbeitsmarkt. 18,7 Millionen Euro, haben die Verantwortlichen in Duisburg ausgerechnet. Geld, das die Stadt aufgrund ihrer Verschuldung nicht aufbringen kann.