Das Problem war natürlich das Mikrofon. Alle Redner kämpften damit, dass es immer wieder ausfiel. Dazwischen rückkoppelte es herzerweichend. Das Problem war natürlich auch der Fotokopierer. Er streikte gerade, als er die Dutzenden von Änderungsanträgen vervielfältigen sollte. Dabei hatte der außerordentliche Parteitag schon mit satter Verspätung begonnen, so dass an eine geregelte Verabschiedung des Wahlprogramms bis zum Sonntagabend gar nicht zu denken war.
Aber richtig zu stören schien das niemand bei der derzeit mit einem Abgeordneten im Parlament vertretenen déi Lénk. Sie hat nur mitleidvolles Achselzucken dafür übrig, dass selbst die Parteitage der Grünen inzwischen perfekt durchchoreographiert sind. Immerhin pflegt déi Lénk manche Prinzipien der inzwischen auf Professionalismus schwörenden Grünen, die diese längst aufgegeben haben, wie Basisdemokratie und Rotationsprinzip. Vielleicht waren deshalb mit rund 70 Teilnehmern mehr Interessenten als bei einem Kongress der Grünen erschienen, die immerhin mit Fraktionsstärke im Parlament vertreten sind.
Bei der Kommunistischen Partei Luxemburgs, die noch zwei Stunden zuvor und nur vier Kilometer entfernt ihr Wahlprogramm besprochen hatte, waren halb so viel Mitglieder anwesend. Und während im lichtdurchfluteten Saal der Zolver École 2000 auch junge Männer mit Ponyfrisur im gemischten Publikum der Lénk saßen, waren in dem finsteren Backsteinbau des Differdinger Omnisportzentrums die meisten Kommunisten schon in Ehren ergraut.
Als "basisdemokratisches Sammelsurium" unterschiedlicher linker Tendenzen beschrieb David Wagner, der Berichterstatter zum linken Wahlprogramm, möglichst unverbindlich die eigene Bewegung, während die Kommunisten trotzig Hammer und Sichel an ihr Rednerpult geklebt hatten. Und verkündete das Spruchband der Linken vorsichtig "Eng aner Welt ass méiglech!", so rief das kommunistische stramm auf "Géint Krich an Imperialismus, fir Fridden a sozial Gerechtegkeet".
Déi Lénk wollte lieber ideologisch buntscheckig sein, und die Kommunisten beanspruchten weiterhin die Strenge der marxistischen Lehre. Doch in Wirklichkeit greift die Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse 2003 in Luxemburg bei beiden kaum tiefer als die Entlarvung von Neoliberalismus und Globalisierung. Denn nicht nur die LSAP sucht seit Jahren verzweifelt nach dem politischen Kompass. Und da waren sich David Wagner (déi Lénk), der die LSAP angesichts der "Herrschaft des Kapitals" für "alternativlos wie Gerhard Schröder hielt", und KPL-Präsident Aly Ruckert einig, der mit fast gleichen Worten bei der LSAP, "dieselbe kapitalfreundliche und neoliberale Politik" wie bei der Regierung ausmachte.
Eben auch links von der LSAP herrscht Ratlosigkeit. Deshalb bleiben in dem linken und dem kommunistischen Wahlprogramm unter dem Strich kaum mehr als Verbalradikalismus übrig und der Ruf nach sozialstaatlichen Reformen, die immer fünf Prozent weiter gehen als bei der LSAP. Und auch wenn Ruckert in Differdingen am Sonntag der Lénk in Zolver zurief, "ohne klares Konzept, ideologisch verworren und organisatorisch chaotisch" zu sein, und déi Lénk abgemacht hatte, die Kommunisten zu ignorieren, so gleichen sich die Wahlprogramme wie ein Ei dem anderen: Beide sind sogar genau 13 Kapitel lang.
KPL und déi Lénk treten unisono ein für eine Höchst- und eine Mindestindextranche, für die gesetzliche 35-Stundenwoche, eine Negativsteuer und die wieder stärkere Besteuerung der höheren Einkommen. Die KPL bevorzugt die Abschaffung des Bankgeheimnisses, déi Lénk eine Tobin-Steuer. Dass langfristig die KPL den Austritt aus der Nato und déi Lénk die Abschaffung der Monarchie verlangt, scheint austauschbar. Weder im Ende Januar von einem weiteren Kongress zu verabschiedenden Wahlprogramm der Lénk, noch im vom Zentralkomitee zu ergänzenden Wahlprogramm der KPL scheint es Punkte zu geben, die nicht genauso gut im anderen stehen könnten.
Um so unverständlicher für Außenstehende sind die bisher unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten beim Aufstellen gemeinsamer Kandidatenlisten. Denn die Fakten sind hartnäckig: Ab 1979 ging es bei den Wahlen bergab mit den Kommunisten, deren soziale Basis erst in den Bergwerken und dann in der Stahlindustrie zusammenrationalisiert worden war. Seit dem Zusammenbruch des Sowjetblocks und der Abspaltung der Nei Lénk von der KPL bleiben im industriellen und linken Südbezirk rund fünf Prozent Stimmen für Politik links von LSAP und Grünen übrig.
Laut den Wahlprognosen der ILReS für das Tageblatt wählen auch nächstes Jahr wieder fünf Prozent der Leute im Süden am linken Rand. Wie 1994 besteht also die Möglichkeit, dieses Stimmenreservoir aufzuteilen zwischen KPL (2,8 Prozent) und Lénk (1,7 Prozent) und damit keinen Sitz zu erhalten, oder, wie 1999, gemeinsam zu kandidieren und so einen Sitz (5,0 Prozent) zu erhalten. In den anderen Bezirken reicht es auch zusammen nicht für einen Sitz.
Dass das Naheliegende aber so weit liegt, hat mehr als eine Ursache. Zum einen gibt es auch am linken Rand jede Menge Leute, die sich einfach nicht leiden können. Schließlich gehören zu den aktivsten Leuten der Lénk ehemalige Kommunisten, die nichts mehr mit der KPL zu tun haben möchten und von dieser wiederum als Verräter angesehen werden, sowie ehemalige Trotzkisten, deren politischer Geschäftsfundus seit jeher aus der Entlarvung der "stalinistischen" Natur der KPL bestand und von dieser wiederum als Sektierer und Agenten beschimpft wurden.
Weil das für Außenstehende aber noch nicht kompliziert genug ist, spiegeln sich die unterschiedlichen Auffassungen auch in den Strukturen wider, und die, nicht inhaltliche Unterschiede, sind es, die am Ende zum Scheitern gemeinsamer Listen führen dürften. Nach der Spaltung der Partei hatten die KPL-Dissidenten zuerst die Nei Lénk gegründet, die 1994 auch erfolglos kandidiert hatte. Um auch Parteilosen eine Chance zu geben, gelang es der Nei Lénk durchzusetzen, dass zu den Wahlen 1999 kein Wahlbündnis zwischen Nei Lénk und KPL abgeschlossen, sondern déi Lénk gegründet wurde, in der nur Einzelpersonen Mitglieder werden können. Die KPL spielte bei den letzten Wahlen mit, und ihr ehemaliger Parteipräsident Aloyse Bisdorff rotierte auf diese Weise sogar vorübergehend wieder ins Parlament.
Diesmal will die KPL sich aber nicht mehr an die Abmachung halten und verlangt, dass ein fester Anteil Kommunisten bei déi Lénk kandidieren könne. Ohne diese Garantie will sie im Januar eigene Listen aufstellen, selbst auf die Gefahr hin, den gemeinsamen Sitz im Parlament zu verlieren. Die direkte Folge ist, dass die Kommunisten sich inzwischen aus déi Lénk zurückgezogen haben, die damit zu einer Art Neuauflage der sachte eingeschlafenen Nei Lénk geworden ist.
Über tiefes Misstrauen hinaus, in zweifelhaften Abstimmungen von den Partnern hereingelegt zu werden, prallen hier zwei unterschiedliche Kulturen aufeinander. In der Lénk sind vor allem Leute versammelt, die finden, dass die traditionellen Organisationsformen der Linken, militante, hierarchisierte Parteien auf der Grundlage präziser Grundsätze, gescheitert sind, und die deshalb vage umrissene basisdemokratische Vereinigungen unter Einbezug der nicht mehr ganz neuen sozialen Bewegungen bevorzugen. Was zu Diskussion innerhalb der Lénk selbst führt, wo manche befürchten, die Kräfte der wenigen Aktivisten in Gewerkschaften, im Sozialforum oder bei Globalisierungsgegnern zu verzetteln, statt am Aufbau der Lénk zu arbeiten.
Die Kommunisten leben dagegen im festen Glauben, dass Zeiten, in denen sie marginalisiert sind, Zeiten folgen, in denen sie wieder breiten Zulauf finden. Deshalb sei es in schweren Zeiten vorrangig, die Organisation zu retten, wie selbst im Kampf gegen das Maulkorbgesetz und in der Resistenz, um so für günstigere Zeiten gerüstet zu sein. Zudem hängen auch die kommunistische Tageszeitung und ihre Arbeitsplätze davon ab. Weil bei linken Wählern die jugendlicher und weltoffener wirkende Lénk derzeit aber ein besseres Image genießt, als die altmodischer und verstockter erscheinende KPL, befürchten die Kommunisten, sich in der Lénk aufzulösen, wenn sie sich einzeln hinein begeben.
Doch auch wenn die politischen Unterschiede gering sind, bestehen sie doch. Sie spiegeln sich auch in unterschiedlichen Wählerschaften wider - KPL wählen mehr aktive und pensionierte Arbeiter, déi Lénk mehr intellektuelle Mittelschichtler. Und auch in anderen Ländern verläuft eine ähnliche Trennung, die zur bevorstehenden Gründung zweier verschiedener europäischer Parteien am linken Rand führt.
Ganz unabhängig davon, wer Recht hat, sind aber schon die äußeren Umstände bei den nächsten Wahlen ungünstig genug. Denn erstmals seit 1984 ist die große Konkurrentin LSAP wieder in der Opposition, und viele linke Wähler dürften versucht sein, "nützlich" zu wählen, um mit Hilfe der Sozialisten wenigstens die derzeitige Rechtsregierung abzuwählen. Dabei dürfte manchen der Entschluss durch die Kandidatur von OGB-L-Präsident John Castegnaro bei der LSAP leichter fallen. Und die LSAP ist ganz wild auf den Sitz des derzeitigen déi Lénk-Abgeordneten Serge Urbany: er könnte nämlich entscheiden, ob die Sozialisten wieder vor der CSV stärkste Partei in "ihrem" Südbezirk werden.