Die Weichen für die Eröffnung der Unisec in Dreiborn sind gestellt. Zufrieden ist mit dem knastähnlichen Bau eigentlich niemand

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d'Lëtzebuerger Land vom 21.07.2017

58 Abgeordnete auf dem Krautmarkt, alle außer déi Lénk, stimmten in der letzten Parlamentssitzung vor den Sommerferien am vergangenen Donnerstag mit Ja und gaben so grünes Licht, die Unité de securité (Unisec) für Jugendliche in Betrieb zu nehmen. Drei Jahre schon ist der Zehn-Millionen-Euro-Bau betriebs- und bezugsfertig, aber weil die gesetzliche Grundlage fehlte, konnte er nicht genutzt werden. Das dürfte sich ab diesem Herbst ändern.

Vor allem eines stellten die Abgeordneten in ihren Reden in den Mittelpunkt: Dass es damit vorbei sein würde, Minderjährige in die Strafvollzugsanstalt für Erwachsene in Schrassig einzusperren. Dabei es ist gar nicht so sicher, dass Negativschlagzeilen diesbezüglich tatsächlich für immer der Vergangenheit angehören. Denn das Gesetz, für das die Abgeordneten stimmten, regelt zwar grundsätzliche Rechte und Pflichten im Umgang zwischen Personal und Insassen. Doch um der von Menschenrechtlern europaweit geächteten Haft-Praxis einen Riegel vorzuschieben, müsste das Jugendschutzgesetz geändert werden – und diese Reform lässt auf sich warten: Die Jugendrichter wehren sich mit aller Macht und wollen eine Hintertür offenhalten, jugendliche Straftäter notfalls weiterhin in Schrassig unterbringen zu können. Mit der Begründung, die Unisec sei zu klein, nicht sicher genug und bei kriminellen Mehrfach-Straftätern brauche es ein richtiges Gefängnis. Schon um die Gesellschaft vor ihnen zu schützen.

Daran, dass die Jugendrichter argumentativ so mauern können, haben sie und die Politiker einen erheblichen Anteil: Weil der Justizminister Félix Braz den Umgang mit straffällig gewordenen, schwer erziehbaren Jugendlichen nicht von Grund auf überdenken will und sich die Richter gegen die Einführung eines Jugendstrafrechts wie in Deutschland oder Frankreich sperren, sondern auf den im Jugendschutzgesetz verankerten Schutzgedanken beharren, darf die Jugendanstalt in Dreiborn – trotz Sicherheitszaun und Videoüberwachung – kein Gefängnis sein. Obwohl sie so aussieht und die Abgeordneten mahnen, dass dort nur die schweren Fälle, jugendliche Mehrfachtäter und Jungen und Mädchen mit einer kriminellen Vergangenheit, eingewiesen werden sollen.Stattdessen steht im Motivenbericht und im Bericht zum Gesetz ausdrücklich, dass die Unterbringung „sozio-edukativen und pädagogischen“ Zielen „im Kontext des Jugendschutzes“ diene. Entsprechend dürfen maximal zwölf Jugendliche in dem Gebäude untergebracht werden und auch nur für drei Monate plus einer Verlängerung, die gerichtlich angeordnet sein muss. Aber wie sollen binnen drei Monaten renitente jugendliche Straftäter resozialisiert und auf den rechten Weg gebracht werden, wenn zuvor alle anderen Erziehungsmaßnahmen versagt haben?

Die Unisec ist, so gesehen, eine Art Hybrid: Als ultima ratio soll sie besonders schwer erziehbaren straffällig gewordenen Mädchen und Jungen vorbehalten bleiben und unter dem Label des Jugendschutzes eine Betreuung im Schnellverfahren bieten. Wer sich vor Ort umschaut, wird meterhohe Mauern, viel Beton, Zäune und Wärter vorfinden. Der Vater des Projekts, der christlich-soziale Abgeordnete und frühere Berater im Familienministerium, Mil Majerus, nannte den Bau selbst freimütig ein Gefängnis. Für die Erzieher unter der neuen Direktion des Heims in Dreiborn, Ralph Schroeder, der die Arbeit in der Unisec beaufsichtigt, ist das eine kniffelige Aufgabe: Weil im Gesetz nicht präzise definiert ist, wer aufgrund welcher Straftaten in der Unisec eingesperrt werden soll, könnte es theoretisch sein, dass sie am gleichen Ort gleichzeitig Sexual- und Gewalttäter sowie deren Opfer betreuen. Diese Unklarheit wurde vom Kinder-Ombudskomitees der Menschenrechtskommission sowie den Kontrolleuren des Service du contrôle externe des lieux privatifs de liberté (CELPL) wiederholt bemängelt, aber aller Mahnungen zum Trotz vom Parlament nicht behoben. Weil zudem keine Altersbegrenzung für die Unterbringung vorgesehen ist, weder nach oben, noch nach unten, könnten im Prinzip Acht- bis Zwanzigjährige in ein- und derselben Anstalt nebeneinander untergebracht sein. In der Vergangenheit hat es das sowohl in Dreiborn als auch im Gefängnis in Schrassig gegeben.

Diese strukturellen Schwächen sind allseits bekannt. Erziehungsminister Claude Meisch (DP) räumte in seiner Rede gleich mehrfach ein, die Unisec sei keine „glückliche Lösung“. Als Minister hat er das Projekt von seinen christlich-sozialen Vorgängern geerbt. Er habe „Fakten vorgefunden, die in Beton geschaffen waren“, rechtfertigte sich Meisch vor den Abgeordneten. Jetzt gelte es, „das Beste“ daraus zu machen. Was genau das Beste ist für die betroffenen Jugendlichen ist, ist indes nicht sicher. Ob es gelingen wird, sie ausgerechnet in einem gefängnisähnlichen Ambiente von der Unredlichkeit ihres Handelns zu überzeugen und ihnen neue Lebensperspektiven aufzuzeigen, hängt unter anderem von der dortigen erzieherisch-therapeutischen Qualität ab.

Im Gesetz wurde der pädagogische Teil nachträglich eingefügt, ein Umstand, den der Fachverband für Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung (Ances) in seinem Gutachten scharf kritisierte. Der Gesetzestext regelt ausführlich Disziplinarstrafen, wie das Einsperren im gepolsterten Isolierzimmer, das künftig von zehn auf drei Tage maximal begrenzt wird, oder Körperdurchsuchungen. Als erzieherische Maßnahmen sind die schriftliche Abmahnung, Mediation, der zeitliche Ausschluss aus der Gruppe, sowie Aktivitäten und gemeinnütige Arbeiten aufgeführt; außerdem wurde der individualisierte Ansatz festgeschrieben: Jeder Heiminsasse soll seinen Taten, seinem persönlichen Entwicklungsstand und seiner Vorgeschichte entsprechend eine passgenaue Betreuung sowie schulische Ausbildung bekommen.

Gleichwohl stellt das Gesetz insofern eine Zäsur dar, als es den Jungen und Mädchen in der Unisec, aber auch in den staatlichen Heimen in Schrassig und Dreiborn, längst überfällige gerichtlich einklagbare Rechte einräumt, wie sie etwa der Europarat in seinen Leitlinien zur Unterbringung von minderjährigen Delinquenten empfiehlt. Es könnte der Endpunkt eines düsteren Kapitels Luxemburger Heimgeschichte sein. Die staatlichen Kinderheime habe „eine Geschichte, und die ist nicht glorreich“, hatte Meisch in seiner Rede eingeräumt, allerdings ohne konkret zu benennen, worin diese besteht: in der jahrzehntelangen, gesellschaftlich und politisch geduldeten Rechtlosigkeit und Unterdrückung schutzbedürftiger Heimkinder. Die Regierung wolle „nicht in diese Zeiten zurückgehen“. Wie traumatisch eine Heimunterbringung ist, die Umerziehung und Unterordnung im Fokus hat statt therapeutische Behandlung, lässt sich in Berichten ehemaliger Heimbewohner nachlesen oder in im Ausland angefertigten Studien über die Folgen. Eine solche öffentliche Aufarbeitung durch unabhängige Wissenschaftler und mit Beteiligung der Betroffenen fehlt in Luxemburg bis heute.

Es spricht einiges dafür, dass mit dem Chamber-Votum ein neues Kapitel in der Jugendhilfe aufgeschlagen wird, obwohl das Umdenken nicht allen gleichermaßen leicht fällt und es teils kräftig von außen angestoßen werden musste: Es waren Kontrolleure des CELPL, die dafür sorgten, dass die skandalösen Missstände in Dreiborn aufgedeckt wurden und die darauf pochten, die Grundrechte der Bewohner gesetzlich zu verankern. Anders als den Strafgefangenen im Centre pénitentiaire, die gegen ungerechte Strafen oder Übergriffe klagen können, blieb den Jugendlichen dieses Recht all die Jahre verwehrt.

Während der parlamentarischen Beratungen wollte die CSV die Disziplinarmaßnahmen durch sogenannte mesures d’ordre ergänzen, ohne Einspruchsrecht, angeblich damit Erzieher mehr Handlungsspielraum hätten, auf akute Situationen zu reagieren und „viel klarere und direktere Konsequenzen“ auf Fehlverhalten der Insassen folgen könnten. Die Opposition konnte sich aber nicht durchsetzen; zu groß war die Sorge der Koalition, ein solcher Freiraum könnte erneut missbraucht werden. Ohnehin bedeutet ein Rekurs nicht, dass eine Strafe solange ausgesetzt wird. Sie kann sich im Nachhinein aber als illegal entpuppen; ein wichtiger Schutz vor individuellem und institutionellem Machtmissbrauch. Mittlerweile sollen viele im Gesetz festgehaltene Auflagen im Heimalltag umgesetzt worden sein. Es sei üblich, Jugendliche in Dreiborn nicht mehr als eine Nacht wegzusperren, ist zu hören. Eigentlich müsste ein aktualisierter Kontrollbericht der CELPL dies bestätigen können, er wurde von der neuen Ombudsfrau Claudia Monti bisher aber nicht veröffentlicht.Vorgängerin Lydie Err hatte außerdem angemahnt, die Dezentralisierung voranzutreiben und mehr Bewohner in kleinen, dezentralen Wohnstrukturen unterbringen. Jugendliche, die aufgrund von Sucht- oder Gewaltproblemen daheim die Schule schwänzen, brauchen eine andere Betreuung als renitente Gewalttäter, die sich allen erzieherischen Maßnahmen verweigern. Die Unterbringung in Mehrbettzimmern zu dritt oder viert ist nicht mehr zeitgemäß. Eine Arbeitsgruppe aus Beamten des Erziehungsministeriums und der staatlichen Kinderheime überlegt derzeit, wie eine Dezentralisierung aussehen könnte. Direktor Ralph Schroeder hofft, eines Tages Jugendliche, die nach Dreiborn oder Schrassig kommen, zunächst in einer kleinen Gruppe zu empfangen, wo Erzieher und Psychologen sich mit ihnen befassen, bevor sie in einer Wohngruppe untergebracht werden. „So könnten wir passgenauere Lösungen finden“, sagte er dem Land am Telefon.

Damit das geschehen kann, braucht es dringend mehr Ressourcen – und schrittweise einen Abschied von der klassischen Heimerziehung, die in der Öffentlichkeit zu oft immer noch als Umerziehung denn als – komplexe – Resozialisierung und Therapie verstanden wird. Auf rund 45 Personen beziffert Direktor Schroeder den zusätzlichen Personalbedarf. Die Mitarbeiter arbeiten seit Jahren am Limit, wegen der Überbelegung und weil die harten Arbeitsbedingungen die Personalsuche erschweren. Trotzdem ist die Stimmung im Heim optimistisch: Mit dem Jugendamt ONE und dem erweiterten ambulanten Angebot könnte sich, das hoffen die Experten, ein Hilfenetz spannen, das flexibler auf die unterschiedlichen Lebenssituationen der Jugendlichen eingeht und zudem früher ansetzt, bevor das Kind in den berühmten Brunnen gefallen ist und nur noch die Heim- oder geschlossene Unterbringung bleibt. Die Weichen dazu sind gestellt, allerdings gilt es mit der bevorstehenden Pensionierung des ONE-Direktors Jeff Weitzel und René Schmit, Leiter der staatlichen Kinderheime, den Über- und Fortgang zu sichern. Land-Informationen nach steht die Nachfolgerin für Schmit fest, beim ONE ist die Suche komplizierter: Nicht nur muss die Nachfolge ein Beamter sein, der/die über die nötige Sachkenntnis verfügt, zudem handelt es sich um eine strategische Schlüsselposition: Das Jugendamt bewilligt die Erziehungshilfen, hier entscheidet sich, wie präventiv Jugendsozialarbeit wirken kann und welche Fälle schlussendlich vorm Jugendgericht landen. Und eines Tages womöglich in der Unisec.

Ines Kurschat
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