Es war in der Vorweihnachtszeit, als in den Medien die Wortmeldungen für oder gegen Straffreiheit der aktiven Sterbehilfe sich noch einmal häuften. Einen Tag, nachdem derStaatsrat den Err-Huss-Gesetzesvorschlag abgelehnt hatte, schenkte am 19. Dezember d’Wort seine ganze Seite 2 dem Erzbischof für eine „Stellungnahme“, in der Fernand Franck unter anderem schrieb: „Wem gute palliative Pflege und Medizin zugesichert wird, der braucht keine Angst zu haben, in den letzten Momenten seines Lebens alleingelassen zu werden. Er braucht den hoffnungslosenAusweg der Euthanasie nicht...“
Das sind ziemlich große Worte. Aber es gehört zu den Merkwürdigkeiten der schon seit Jahren geführten Debatte um die Palliativbetreuung, dass sie nie frei war von Kulturkampf, immer im Zusammenhang mit der Euthanasie stand und die Palliativbetreuungkaumallein als ein Angebot des Gesundheits- und des Pflegewesensauffasste. Vielleicht stehen vor allem deshalb noch so viele Antworten zur Frage aus, wie „gut“ palliative Pflege und Medizin künftig sein sollen.
Dabei geht Lydia Mutsch (LSAP), die Vorsitzende des parlamentarischen Gesundheitsausschusses und Berichterstatterin zum Palliativ-Gesetzentwurf der Regierung, davon aus, dass der Entwurf bis Ende Februar in der Abgeordnetenkammer zur Abstimmung kommt. In dem Fall träte das Gesetz vermutlich am 1. April in Kraft. Unmittelbar wirksam würden dann jedoch im Wesentlichen nur die Festlegungen zur Patientenverfügung sowie die ausdrückliche Strafbefreiung für den Arzt beim Verzicht auf vergebliche Therapien. Erst sieben Monate später sollen die geplanten Ausnahmeregeln im Sozialversicherungsgesetzbuch für Palliativpatienten in Kraft treten: der Wegfall der Beschränkungder Zahl der Arztkonsultationen zum Beispiel und die Zuerkennungdes Maximums an Pflege- und Unterstützungsleistungen durch diePflegeversicherung.
Bis dahin müssten allerdings auch jene großherzoglichen Verordnungen in Kraft sein, an die der Gesetzentwurf alle Einzelheiten delegiert: die „modalités relatives à la coordination et la délivrance des fournitures et des actes et services par les différentes catégories de prestataires intervenant auprès de la personne soignée“, zweitens die „formation adéquate du personnel médical et soignant“, drittens eine eventuelle zentrale Aufbewahrung der Patientenverfügungen, viertens Kriterien, wann und wie das Recht auf Palliativversorgung zuerkannt wird. Also eigentlich so gut wie alle Einzelheiten zur künftigen Palliativversorgung.
Aber noch liegen die Verordnungen nicht mal als Entwurf vor. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Ministerien, Sozialversicherungsorganen, Leistungsträgern und vielleicht derasbl Omage 90, die Palliativ-Weiterbildungskurse für Pflegekräfte anbietet und das derzeit in Hamm entstehende Hospiz betreiben soll, gibt es nicht. „Wir konnten unser Gutachten zum Gesetzentwurf abgeben und wurden später nur noch einmal vomGesundheitsausschuss zu einem Hearing gerufen, das war alles“, bedauert Omega-Direktor Roland Kolber. Lydia Mutsch hat für den 24. Januar eine letzte Sitzung des Ausschusses anberaumt und will dort mit Gesundheits- und Sozialminister Mars Di Bartolomeo und zwei Juristen aus dem Gesundheitsministerium diskutieren lassen, welche Ausführungsbestimmungen überhaupt in Verordnungengefasst werden sollen und welche es nur können. Teilweise gibtes darüber Dissens mit dem Staatsrat, und einen formellen Einwand aus dessen zweitem Gutachten vom 18. Dezember hat der Ausschuss noch am Hals: Dass der Staat verpflichtet werden soll, die Palliativ-Weiterbildung zu bezahlen, aber nur eine Kann-Verordnung regeln soll, wer wie ausgebildet würde, akzeptiert der Staatsrat nicht, der für das Pflegepersonal, aber auch für Ärzte feste Standards bevorzugt.
Droht die gesetzlich garantierte Palliativbetreuung, die eigentlich schon vor vier Jahren angekündigt wurde, als der damalige Gesundheitsminister Carlo Wagner ein Vierteljahr vor den Wahlen einen ersten Gesetzentwurf vorlegte, zu einem leeren Versprechenzu werden? – Das wohl nicht. Schließlich gibt es in allen großen Krankenhäusern entweder eigene Palliativstationen oder, wie im CHL, eine Stationen übergreifende Schmerzbehandlung, oder, wie in der Zitha-Klinik, ein Palliativ-Team, das im Bedarfsfall in sämtliche Stationen geht. Alten- und Pflegeheime haben Palliativkonzepte, und die beiden mobilen Pflegedienste Help– Doheem versuergt und Hëllef doheem haben schon seit Jahren ihreLeistungen um Palliativbetreuung ergänzt. In Ettelbrück unterhält das Saint-Louis-Krankenhaus eine „Antenne mobile“ zur Zuhaus-Palliativversorgung.
Aber nachdem schon der Wagner-Entwurf vom Februar 2004 ausdrücklich nichts zur Struktur, Organisation und Finanzierung der Palliativbetreuung sagen wollte und der seines Nachfolgers zwei Jahre später in dieser Hinsicht ebenfalls nicht präziser ausfiel, sind nun ein paar pragmatische Antworten zu finden, und noch dazu schnell. Vor allem auf die Frage, wer künftig anspruchsberechtigt sein wird für Palliativleistungen, welche Leistungen das sein dürfen und was das alles kosten darf. Hinweise dazu gibt es. Seit Anfang des Jahres dürfen Krankenhausärzte an Palliativpatienten eine Tagespauschale abrechnen – maximal 35 Tage pro Patient. „Das ist schon in Ordnung“, meint der Onkologe Frank Jacob, der dieAntenne mobile des Ettelbrücker Krankenhauses leitet, „aber 35 Tage sind eher ein Durchschnittswert für die nötige Betreuungsdauer.“
Das ist auch die Erfahrung von Hëllef doheem, deren „Équipe de soins spécialisés à domicile“ zwischen 2001 und 2006 landesweit 578 Personen palliativ betreute: Im Schnitt dauerte das 26 Tage, bei 81 Prozent der Patienten unter 30 Tage, bei fünf Prozent mehr als 60 Tage. Die Konvention mit dem Familienministerium, auf deren Grundlage Hëllef doheem einen großen Teil der Palliativ-Leistungen finanziert bekommt, sieht zwei mögliche Verlängerungen auf bis zu 90 Tage vor. Mitunter aber kann die so genannte „Phase terminale“ sich monatelang hinziehen. „Das ist vor allem bei neurodegenerativen Erkrankungen nicht selten“, sagt Pierrette Biver, Pflegedirektorin der Stiftung Hëllef doheem. Dass Grenzen gezogen werden müssen, steht für sie jedoch außer Frage.
„Welche Grenzen, ist letzten Endes eine politische Frage“, sagt Jean-Marie Feyder, der Präsident der Krankenkassenunion UCM. Prinzipiell hält er das belgische Modell, das 30 Tage Palliativpflege bei zwei Verlängerungen auf bis zu 90 Tage vorsieht, für übertragbar auf Luxemburg. Doch wenn zunächst 30 Tage Betreuungszeit gelten sollen, „würden sich ein paar patientenrechtliche Fragen stellen“. Dass der ärztliche Kontrolldienstder Sozialversicherung künftig über das vom behandelnden Arztausgestellte Attest auf eine „phase avancé ou terminale d’une affection grave et incurable“, so die Definition im Gesetzentwurf, befinden soll als bekäme er einen Kostenvoranschlag für Zahnersatz geschickt, findet der UCM-Präsident „nicht so glücklich“. Denn „es sollte so wenig Bürokratie wie möglich geben, und man könnteauf das Attest hin die Palliativ-Rechte einfach auslösen“.
Die zweite große Frage ist die, wie man die Betreuung sinnvoll vernetzt. Immerhin verspricht der Gesetzentwurf Palliativbetreuung in Kliniken, Alten-, Pflege- und Behinderteneinrichtungen, im Hospiz und zu Hause, und der parlamentarische Gesundheitsausschuss hielt darauf, noch einmal klarzustellen, dass nicht etwa der Kliniksektor dominieren solle. Kooperationen gibt es bereits, wie die der mobilen Dienste mit den Spitälern, die gemeinsame Teambesprechungen ebenso umfassen wie „Brückenpfleger“ aus den Diensten und den Spitälern, die den Kontakt zu den Patienten halten, die jeweils vom Kooperationspartner betreut werden.
Leitende Ärzte von Klinik-Palliativstationen wie Frank Jacob aus Ettelbrück und Bernard Thill vom Centre hospitalier Emile Mayrisch in Esch würden sich eine noch stärkere Mitarbeit der Hausärzte wünschen. Was auch eine Frage der Disponibilität notfalls rund um die Uhr ist. Für die niedergelassenen Generalisten müsse ein Palliativ-Tarif geschaffen werden wie für den Klinikbereich, findet Frank Jacob.
Bernard Thill verweist auf „noch immer bestehende Kompetenzlücken bei den Hausärzten“: Leider habe es nur einmal, noch unter Carlo Wagner, eine organisierte Palliativ-Weiterbildung für Ärzte gegeben. Thill würde sogar so weit gehen, bestimmten Facharztdisziplinen wie Generalisten, Onkologen und Neurologen eine Palliativ-Weiterbildung vorzuschreiben. Und unbedingt müsse jedes Pflegeheim über einen Arzt verfügen:„Für mich sind Pflegeheime Palliativstationen bis unters Dach.“
Überlegungen wie diese reichen allerdings schon in Richtung struktureller Reformen im Gesundheits- und Pflegewesen: Ein Arzt pro Pflegeheim war vor Jahren ein Vorschlag des Familienministeriums gewesen, der aber bei der Mehrzahl der Heimbetreiber auf Ablehnung stieß, da man glaubte, Mediziner könnten den Betrieb dominieren. Heime mit eigenem Arzt sind bislang selten – das markanteste Beispiel ist die Zitha-Gruppe mit ihrer Klinik, die sich mehr und mehr auf geriatrische Betreuungspezialisiert, weil zur Gruppe Pflegeheime gehören, und die „vondiesen Heimen her die Funktionen der Klinik denkt“, wie Hans-Jürgen Goetzke, der Generaldirektor der Zitha-Gruppe, es beschreibt: „Kommt ein Demenzkranker in unser Pflegeheim,beginnt seine palliative Phase“, sagt Goetzke. „Nicht die Sterbephase, aber man muss anerkennen, dass sichsein Zustand wahrscheinlich nur noch verschlimmert.“ Dann gehe esum den Erhalt einer möglichst hohen Lebensqualität, und es sei am besten, das Pflegeheim habe einen Facharzt für Geriatrie im Haus.
Dass die „palliative Betreuung so früh wie möglich beginnen“ sollte, meint auch die asbl Omega 90 – im Sinne einer veränderten Betreuung unheilbar Kranker. Die Definition, was das praktisch sein könnte, beginnt hierzulande allerdings erst, und vielleicht weiß man mehr, wenn nach Inkrafttreten des Palliativ-Rahmengesetzes und allerAusführungsbestimmungen die ziemlich verschiedenen WeltenKliniksektor und Pflegewesen einander näher gebracht sein werden. Ersterer, der über Jahresbudgets verfügt, Letzterer, der sich nach geleisteten Akten aus den Tarifen der Kranken- und der Pflegeversicherung finanziert.
Für die mobilen Dienste bedeutet die neue Gesetzgebung einen Epochenwechsel, dessen Größenordnung noch nicht ganz klar ist: Konventionen mit dem Staat sichern derzeit pro Palliativpatient eine Tagespauschale. „Daraus finanzieren wir Leistungen, die weder im Katalog der Kranken-, noch dem der Pflegeversicherung stehen“, sagt Pierrette Biver von Hëllef doheem. Darunter fallen beispielsweise verschiedene Entspannungstechniken, aber auch psychosoziale Begleitung oder Nachteinsätze zwischen 22 und 6 Uhr. „Unserer Meinung nach sollte das neue Gesetz diese Pauschale dauerhaft einrichten.“ Wer sie bezahlt, ist freilich die Frage. Dass man andernfalls Leistungen abbauen müsste, will Biver nicht ausschließen.
Ähnliche Probleme stellen sich um das Hospiz, das derzeit in Hammentsteht und von Omega 90 betrieben werden soll. Es ist für diejenigen gedacht, „deren Angehörige durch den Sterbeprozess des Familienmitglieds überfordert werden oder für Alleinstehende ohne Angehörige“, sagtOmega-Direktor Roland Kolber. Voraussichtlich Anfang 2009 wird das Haus eröffnet. Es fällt in den Zuständigkeitsbereich des Familienministeriums, ist jedoch kein Pflegeheim. Andernfalls müsste im Hospiz ein monatlicher Unterkunftspreis gezahlt werden, der dem eines Pflegeheimsähnelt und mindestens 1 700 Euro monatlich betragen könnte. Doch dann wäre der Grundsatz der freien Wahl des Sterbeorts verletzt, den das neue Gesetz festschreiben wird. „Wir gehen davon aus, dass der Aufenthalt im Hospiz nicht teurer sein darf als der im Krankenhaus“, meint Kolber, „aber geklärt ist das noch nicht“.