Die Testudines genannte Formation der als kompakter Block hinter ihren Schildern verschanzten römischen Legionäre ist den Astérix-Lesern bekannt. So saßen die quasi vollzählig angerückten Minister am Dienstag stumm und mit versteinerten Mienen auf der Regierungsbank im Parlament. Jean-Louis Schiltz und Lucien Lux, die Fraktionssprecher von CSV und LSAP, erinnerten dagegen an den Barden Assurancetourix aus derselben Comic-Serie. Er wird im entscheidenden Augenblick von seinen Kollegen gefesselt und geknebelt, damit er den Mund nicht auftut.
Dabei hätte so gerne ein CSV-Sprecher gefragt, wie reagiert worden wäre, wenn ein CSV-Minister versucht hätte, eine Polizeibeamtin einzuschüchtern, damit sie auf ein Protokoll gegen seinen der Beamtenbeleidigung während einer Fahrzeugkontrolle verdächtigten Sohn verzichtete. Wäre in dem Fall nicht gleich wieder der Vorwurf zu hören gewesen, die sich allmächtig wähnenden Herren des CSV-Staats glaubten, über Recht und Moral zu stehen? Und dass Schmit vergangenes Jahr den CSV-Finanzminister öffentlich mit seinem Sparpaket desavouierte und mit der Arbeitsamtreform seinen christlich-sozialen Vorgänger als unfähig darstellte, hat ihm die CSV bis heute nicht verziehen. Aber die Staats- oder zumindest die Parteiräson hielt eine zweite Koalitionskrise binnen eines Jahres derzeit für inopportun. Deshalb durften bei den Christlich-Sozialen nur die Jugendorganisation und – nach einer kurzfristigen Kehrtwende – das Luxemburger Wort ihre Meinung sagen.
Selbst in der LSAP, wo er als Quereinsteiger etwas zu schnell Karriere machte, um Außenminister Jean Asselborn während des Luxemburger Ratsvorsitzes beizustehen, hat der ehemalige Schützling von Jacques F. Poos nicht nur Freunde. Wer in der Partei Schmit vorwirft, etwas großspurig und überheblich zu sein, kann sich dessen Auftritt auf der Polizeiwache um so lebhafter vorstellen.
Deshalb verhandelte Jean-Claude Juncker ganz allein mit den Sprechern der Oppositionsparteien über das Schicksal des Arbeitsministers. So als wäre der Premier nun der Vater gewesen, der seinen Sohn zum Verhör begleitet und an seiner Stelle das Wort ergriffen hätte. Er las dem Parlament vor, dass der stumm da sitzende Schmit Fehler begangenen und eingesehen habe und der Minister weiterhin sein Vertrauen genieße. Als die Oppositionssprecher das ein wenig dürftig fanden, wiederholte er sich noch einmal, meinte, „weiter kann man einen Minister nicht treiben“, und drehte für alle Fälle ein wenig den moralisch Entrüsteten auf.
Aber nur ein wenig. Denn niemand in der Mehrheit wollte die Opposition provozieren. Schließlich machte auch die Opposition nur leidenschaftslos ihre Pflicht. Sie glaubte selbst nicht richtig an die Berechtigung ihrer Rücktrittsforderung und schon gar nicht an deren Erfolg.
Vor allem respektierte die Opposition artig jenes Tabu, dessen Bruch dem Minister wirklich gefährlich geworden wäre. Bis zum Ende der Debatte blieben sich Mehrheit und Opposition einig, Schmit eine Stunde lang den einstweiligen Tiefpunkt seiner politischen Karriere durchleben zu lassen und nicht mehr. Den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn hatte der bis dahin als Technokrat geltende Minister im Sommer vergangenen Jahres erlebt, als er sich von einem außerordentlichen Parteitag etwas aufgesetzt als sozialdemokratischer Che Guevara im Kampf gegen die christlich-soziale Sparpolitik bejubeln ließ – und so die misstrauischen Kongressdelegierten überreden half, dem von den Gewerkschaften abgelehnten Sparpaket der Regierung zuzustimmen.
Ein halbes Jahr später plädierte DP-Fraktionssprecher Xavier Bettel am Dienstag routiniert als Anwalt: Niemand bestreite das Recht eines Vaters, seinen Sohn zur einem Polizeiverhör zu begleiten. Aber das sei nur „die ersten fünf Minuten eine Privatsache“ gewesen. Denn dann habe der Minister „seine Stellung missbraucht, um Druck auf die Polizeibeamtin“ auszuüben.
Auch François Bausch zögerte fast, um im Namen der Grünen den Rücktritt des Ministers zu verlangen, der sein Mandat missbraucht habe, um sich in einer Privatangelegenheit einen Nutzen zu verschaffen. André Hoffmann von déi Lénk konnte sich gar nicht entscheiden und stimmte deshalb im Zweifelsfall gegen den Rücktritt des Ministers.
Dabei war für Gast Gibéryen die Sachlage eindeutig: Der Bericht der Kommissarin wirft dem Minister Amtsmissbrauch vor, und weder der Minister, noch der Regierungschef hätten den Bericht bestritten. Wobei der ADR-Sprecher sich fragte, ob die CSV den sozialistischen Minister decke, weil die LSAP regungslos dem jahrelangen Versuch der CSV-Armeeminister zusehe, den Generalstabschef abzusetzen.
Mit der äußerst disziplinierten Abstimmung wäre der Fall einstweilen politisch abgeschlossen. Doch die Frage bleibt, ob er es auch juristisch und amtlich ist. Wenn eine Polizeibeamtin einen Bericht für ihre Vorgesetzen verfasst, hat das nämlich meist zur Ursache, dass der Verdacht eines Verstoßes gegen die Strafprozessordnung oder gar das Strafgesetz vorliegt.
In der mit 39 gegen 20 Stimmen abgelehnten Resolution, in der DP, Grüne und ADR Schmit zum Rücktritt aufforderten, heißt es: „notant qu’il s’ensuit que le Ministre du Travail, de l’Emploi et de l’Immigration a abusé de son pouvoir en tant que membre du gouvernement à des fins personelles“. Damit wird der Vorgang als „abus de pouvoir“, als Machtmissbrauch, in die Nähe des „abus d’autorité“, des Amtsmissbrauchs, gerückt, und das ist der Titel der Artikel 254 bis 259 des Strafgesetzbuchs.
Tatsächlich drohte der Minister laut Bericht der Polizeiinspektorin, „wenn es wirklich zu diesem Protokoll kommen würde, er höchstpersönlich dafür sorgen würde, dass die Polizei in Luxemburg keinen einzigen Beamten mehr bekommen wird”. Dies könnte dem Straftatbestand „des actes d’intimidation commis contre les personnes exerçant une fonction publique” entsprechen. Denn Artikel 251 des Strafgesetzbuchs verfügt: „Sera punie de la réclusion de cinq à dix ans et d’une amende de 500 euros à 187 500 euros, toute personne qui utilise des menaces ou des violences ou qui commet tout autre acte d’intimidation pour obtenir d’une personne, dépositaire ou agent de l’autorité ou de la force publiques, ou chargée d’une mission de service public ou investie d’un mandat électif public, soit qu’elle accomplisse ou s’abstienne d’accomplir un acte de sa fonction, de sa mission ou de son mandat, ou facilité par sa fonction, sa mission ou son mandat, soit qu’elle abuse de son autorité vraie ou supposée en vue de faire obtenir d’une autorité ou d’une administration publique des distinctions, des emplois, des marchés ou toute autre décision favorable.“ Wobei Artikel 252 noch ausdrücklich „des personnes, dépositaires ou agents de l’autorité ou de la force publiques, ou investies d’un mandat électif public ou chargées d’une mission de service public d’un autre État“ einschließt.
Obwohl keiner der Oppositionsabgeordneten nach einem möglichen strafrechtlichen Aspekt von Schmits herrischem Auftritt fragte, antwortete ihnen Premier Jean-Claude Juncker sicherheitshalber, dass der Minister „zu keinem Augenblick individuellen Druck auf die Beamtin ausgeübt“ habe. Das Gegenteil steht zwar ausdrücklich im Bericht, beruht aber auf einer „Interpretationsdivergenz“, die dem Minister leid tue, so der Premier, der die Polizeiinspektorin mit Lob überschüttete, damit sie auch an die „Interpretationsdivergenz“ glaubt.
Ein Vergehen, das mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet wird, wäre jedenfalls keine Lappalie, sondern ein wirklicher Rücktrittsgrund. Aber vielleicht ist auch schon dem einen oder anderen Abgeordneten der entrüstete Satz „Wësst Dir, ween ech sinn?“ herausgerutscht, so wie jeder Staatsbürger bei einer Verkehrskontrolle erst einmal versucht ist, die Polizeibeamten zu fragen, ob sie nicht besser daran täten, den Bombenleger zu jagen.
Es fragt sich also, was, unabhängig von Regierung und Parlament, die Polizeidirektion und der Staatsanwalt mit den Vorwürfen in dem Bericht der Polizeiinspektorin anfangen. Und was die Inspection générale de la police mit den Vorwürfen macht, dass ein oder mehrere Polizeibeamte bei der Kontrolle des Fahrzeugs, in dem sich der Sohn des Ministers befand, mit rassistischen Beschimpfungen ausfällig und damit auch strafbar geworden seien.