Der Dampf ist vorerst abgelassen. Jean-Jacques Rommes, der Direktor des Unternehmerdachverbands UEL, bemühte sich, kein Öl mehr ins Feuer zu gießen, als er am Montag in einem Quotidien-Interview erklärte, es sei „an sich kein Skandal“, wenn die Regierung politisch über die Arbeitszeit entscheide. Zwei Tage vorher hatte Handwerkerverbandspräsident Michel Reckinger sich in einer „Background“-Sendung im RTL Radio Lëtzebuerg vor allem am OGBL gerieben, dem er vorwarf, ein „Brandstifter“ zu sein, der es auf den „Frieden in den Betrieben“ abgesehen habe.
Verwunden aber haben die Unternehmer ihre politische Niederlage noch nicht. Anderthalb Jahre lang war im Ständigen Beschäftigungsausschuss die Reform des Nationalen Beschäftigungsplans von 1998 debattiert worden, mit dem damals die Arbeitszeit flexibilisiert wurde: Seitdem kann von der Vierzig-Stunden-Woche abgewichen werden. Wenn sich über eine Referenzperiode von einem Monat hinweg in der Summe Vierzig-Wochen-Stunden ergeben, können auch Zehn-Stunden-Tage gearbeitet werden, ohne dass Überstunden bezahlt werden müssten. Dazu muss ein Betrieb einen Plan d’organisation du travail (Pot) aufstellen, aus dem die Beschäftigten spätestens fünf Tage vor Beginn der Referenzperiode erfahren, wann sie wie lange arbeiten müssen. Auf Antrag eines Betriebs kann der Arbeitsminister die Referenzperiode auf bis zu sechs Monate verlängern, und in einem Kollektivvertrag können bis zu zwölf Monate vereinbart werden – das Maximum, das eine EU-Arbeitszeitrichtlinie zulässt. Die UEL wollte, dass künftig statt einem vier Monate Standard würden. Die Regierung aber knüpft das an zusätzliche Jahres-Urlaubstage: anderthalb Tage für bis zu zwei Monate Referenzperiode; drei Tage für zwei bis drei Monate und dreieinhalb Tage für drei bis vier Monate Referenzzeitraum. Der OGBL hatte im Beschäftigungsausschuss für eine Flexibilisierung auf vier Monate eine sechste gesetzliche Urlaubswoche gefordert.
Das war eigentlich nicht überraschend. 1998 hatten die Gewerkschaften in einer Tripartite der Arbeitszeitflexibilisierung nur zugestimmt, weil ihnen in Aussicht gestellt wurde, dass auch über Arbeitszeitverkürzungen gesprochen werde. Frankreich hatte in den Neunzigerjahren die 35-Stunden-Woche eingeführt, Belgien die 38-Stunden-Woche. In Deutschland kämpfte der Deutsche Gewerkschaftsbund zwar vergeblich für eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung, doch der VW-Konzern etwa führte eine Vier-Tage-Arbeitswoche ein. Es war die Zeit, als die EU sich auf die Währungsunion vorbereitete und klar war, dass Produktivitätsunterschiede zwischen den Euro-Ländern nicht mehr durch Wechselkursunterschiede, sondern durch den Preis der Arbeit ausgeglichen würden.
Doch zu den Diskussionen um Arbeitszeitverkürzungen kam es in Luxemburg nie. Déi Gréng, die sich damals noch für solche Themen interessierten, hatten 1997 eine 39-Stunden-Woche für Betriebe ab 20 Mitarbeitern vorgeschlagen. Politisch konsensfähig war ein Jahr später lediglich, im Pan-Gesetz, wie der Nationale Beschäftigungsplan abgekürzt wird, vorzuschreiben, dass in Kollektivvertragsverhandlungen obligatorisch unter anderem auch über Arbeitszeitverkürzungen verhandelt werden muss. Aber nur im Krankenhaus-Sektor gilt heute die 38-Stunden-Woche. In Kollektivverträgen anderer Branchen wurde, wenn überhaupt, festgehalten, flexiblere Arbeitszeiten, die über die Ein-Monats-Referenzperiode hinausgehen, durch mehr Urlaub zu kompensieren. In der Bankenbranche werden sechs Wochen Urlaub gewährt; die Referenzperiode liegt dort laut Kollektivvertrag bei einem halben Jahr.
Die UEL hat schon Recht, wenn sie grollend feststellt, dass die Regierung mit ihren Plänen zur Änderung des Pan-Gesetzes eher dem OGBL Recht gebe. Vor einem Jahr konnte man annehmen, sie neige eher den Vorstellungen der Unternehmer zu: In der Bipartite am 14. Januar 2015 hatten Premier Xavier Bettel (DP), Vizepremier und Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) und Justizminister Félix Braz (Déi Gréng) mit der UEL schriftlich abgemacht, mehr Flexibilität durch eine Pan-Reform zu „analysieren“. Nur zu analysieren zwar, und nicht durchzusetzen – doch die Analyse sollte mit der Maßgabe erfolgen, „die Produktivität der Betriebe zu steigern“ und deren Spielräume „an den wirtschaftlichen Kontext anzupassen, auch mit dem Ziel, Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten“. Weil die Regierung sich in dieser Bipartite unter anderem die Zustimmung der UEL zur Reform des Elternurlaubs aushandelte, der in Zukunft auch in kleineren zeitlichen Raten gewährt, besser vergütet und damit auch für Besserverdienende interessanter und insgesamt häufiger in Anspruch genommen werden sollte, konnte man annehmen, die Elternurlaubs-Reform werde die vorgezogene großzügige Geste sein, ehe später eine weitere Arbeitszeitflexibilisierung nicht zuletzt LSAP-Wähler verärgern könnte.
Und bei den Diskussionen um die Pan-Reform hatte der Arbeitsminister keineswegs auf der Seite des OGBL gestanden. Klar war für Nicolas Schmit, dass Überstunden künftig präziser definiert werden sollten, was eine zentrale Forderung von OGBL und LCGB war. Bislang gilt, dass vom Arbeitsorganisationsplan abgewichen werden kann, falls „unvorhergesehene“ Umstände eintreten und mehr gearbeitet werden muss als im Pot vorgesehen. Was „unvorhersehbar“ sein soll, hatte immer wieder zu Konflikten geführt und auch die UEL hielt die Beibehaltung der unklaren Regelung für „zu extrem“. Nun soll ein préavis den Beschäftigten bis zu drei Tage vor Start der Referenzperiode mitteilen, dass Unwägbarkeiten drohen.
Der christliche Gewerkschaftsbund allerdings hatte im Unterschied zum OGBL keine Gegenleistungen für die schon 1998 geltenden Arbeitszeitregeln verlangt. Der LCGB konnte sich vorstellen, weiterreichende Flexibilisierungen der Arbeitszeit und eventuelle Kompensationen innerbetrieblichen Absprachen zu überlassen, statt sie generell durch mehr Urlaub zu begleiten. Auch der Arbeitsminister hielt das eine Zeitlang für eine gangbare Piste. Zumal dadurch die Personaldelegationen aufgewertet worden wären, deren Zuständigkeitsbereich durch das neue Mitbestimmungsgesetz erst vor zehn Monaten erweitert wurde. Der UEL gefiel die Idee auch. Für sie stand fest: kein Urlaub. „Nur über meine Leiche“ hatte ihr CEO Jean-Jacques Rommes sich im Februar dazu zitieren lassen. Die UEL hoffte, nähme sie eine Position ein, die der LCGB und der Minister anscheinend teilen konnten, werde sich der OGBL mit seinen Urlaubsforderungen isolieren lassen. Doch das war ein Trugschluss.
Wie die Dinge nun liegen, hat der OGBL einen Sieg auf einer prinzipiellen Ebene errungen: Die Arbeitszeit ist der wichtigste Aspekt eines Arbeitsverhältnisses. Ihre Flexibilisierung nicht stärker an Absprachen im Betrieb zu binden, sondern an Regeln, die im Arbeitsgesetzbuch stehen werden, sorgt für mehr Sicherheit. Es ist auch ein Anreiz, Kollektivverträge abzuschließen, in denen ein ganzes Paket aus Geben und Nehmen vereinbart wird. Denn die Regierung plant, die „administrative“ Ausweitung der Referenzperiode, in der der Arbeitsminister einem Betrieb bis zu sechs Monate zugestehen kann, abzuschaffen.
Ihrem Ziel aus den Neunzigerjahren, über eine Arbeitszeitverkürzung reden zu lassen, kommt die größte Gewerkschaft allerdings nicht näher. Mehr Urlaub bei noch mehr Flexibilisierung ist nicht dasselbe wie weniger Arbeitszeit bei gleichbleibender Flexibilität. Doch eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich hat der OGBL sich seit dem Pan-Deal in der Tripartite 1998 nie mehr zu fordern getraut. Heute sind für so etwas die politischen Rahmenbedingungen noch schlechter als damals: In Deutschland wurde die Arbeitszeit durch Branchen-Tarifverträge weitgehend bis aufs Zwölf-Monate-Maximum flexibilisiert, die Vier-Tage-Woche bei VW ist Geschichte. In Belgien sind sechs Monate Referenzperiode häufig, im Rest der EU haben die meisten Regierungen die vier Monate genehmigt, die die Arbeitszeitrichtlinie per Gesetz zuzugestehen erlaubt. Abgesehen davon erleben Frankreich und Belgien derzeit Konflikte um von den Regierungen geplante Erhöhungen der Wochenarbeitszeit. Verglichen damit sehen vier Monate Referenzzeitraum bei dreieinhalb Tagen zusätzlichem Urlaub sozialpolitisch beinah revolutionär aus.
Eine Frage ist aber, inwiefern die neuen Regeln später auch angewandt werden. In erster Linie betrifft die Pan-Reform Betriebe, die keinem Kollektivvertrag unterliegen. Vor allem kleine Handwerksfirmen – was erklärt, dass der Vorsitzende des Handwerkerverbands so sauer ist auf den OGBL. Doch wie die Fédération des artisans die Lage schildert, halten selbst Firmen aus den 13 Handwerksbranchen, für die ein Kollektivvertrag gilt, dessen Bestimmungen zu Pan und Pot nicht unbedingt ein. Kleinbetrieben unter ihnen sind diese Regeln oft zu kompliziert, und so versuchen sie einen Deal innerhalb des Betriebs zu erreichen, selbst wenn der nicht unbedingt ganz legal ist. Am Dienstagabend bei einem Treffen des Handwerkerverbands hieß es schon, man werde lieber beim Status quo mit einem Monat Referenzperiode bleiben, statt sich durch Urlaubstage neue „Unwägbarkeiten“ einzuhandeln, und zahle lieber Überstundenzuschläge für Mehrarbeit. Das sei beim Personal ohnehin willkommener als mehr Urlaub. Irgendwie müssen die Mitarbeiter ihre Immobilienkredite ja abzahlen, und Handwerksfirmen sind nicht gerade Hochlohnbetriebe.
Mit einer Erhebung unter seinen Mitgliedern will der Handwerkerverband bis Ende Juni zeigen, wie deckungsgleich (oder nicht) die Pan-Reformpläne der Regierung mit der Realität der Betriebe seien. Dann dürfte dazu vermutlich auch ein Gesetzentwurf vorliegen und die Auseinandersetzung erneut beginnen, diesmal nicht im huis clos von Tripartite oder Ständigem Beschäftigungsausschuss, sondern in aller Öffentlichkeit.
Das ist nur zu begrüßen. Denn wenn es nun schon heißt, „dann bleiben wir beim Status quo“, dann klingt das, als habe bereits das Pan-Gesetz von 1998 die Betriebe gut bedient. Oder aber es wird, wie die Andeutungen aus dem Handwerkerverband suggerieren, in der Praxis mitunter so freizügig ausgelegt, dass man sich fragen kann, welche Reform man denn braucht, damit die Realität in den Betrieben nicht gar die Staatsanwaltschaft interessieren könnte. Leider weiß nicht mal das Arbeitsministerium genau, wie groß der Bedarf an mehr Flexibilität eigentlich ist: Man könne nur die Kollektivverträge zu Rate ziehen, und da sei über alle Branchen und Betriebsgrößen hinweg alles mögliche vereinbart worden – von zwölf Monaten bis lediglich eine Woche Referenzperiode, was in Kollektiverträgen ebenfalls zulässig ist. Die administrative Verlängerung durch den Minister auf sechs Monate werde selten angefragt, vielleicht zwanzig Mal pro Jahr, und „ganz wenig“ vom Handwerk, der Industrie, und gar nicht aus dem Einzelhandel. Es gibt nicht nur Ärger um Pan und Pot, sie geben auch Rätsel auf.