Die Aufregung um die geplante Verschärfung von Anti-Terror-Maßnahmen teilt Justizminister Félix Braz nicht. Er habe sich über das negative Echo auf seine Gesetzesinitiative „etwas geärgert“, gestand der Grüne im Gespräch mit dem Land am Rande einer Pressekonferenz am Mittwoch. Sei er es doch gewesen, der die Datenschutzkommission und die Menschenrechtskommission um eine Stellungnahme gebeten habe. Dass deren kürzlich vorgelegte Gutachten reichlich kritisch ausfielen, findet Braz „nur richtig und gut“.
Dass seinem Gesetzentwurf 6921 einige Medienaufmerksamkeit zuteil wurde, dürfte den Medienprofi, Braz war einst Chefredakteur einer portugiesischen Nachrichtensendung, aber nicht wirklich überraschen. Vor fast genau einem halben Jahr, Anfang Dezember, hatte Staatsminister Xavier Bettel (DP) in einer emotionalen Rede vor der Abgeordnetenkammer die groben Linien eines neuen Anti-Terror-Maßnahmenpakets angekündigt. Da waren die tödlichen Anschläge islamistischer Gewalttäter in Paris gerade zwei Wochen her. Die Verschärfungen seien „dringend nötig“, um „uns zu schützen, wenn eine Bedrohung besteht“, hatte der Premier die Abgeordneten beschworen. Und im nächsten Atemzug jegliche Kritik, die Pläne der Regierung könnten über das Ziel hinausschießen, energisch zurückgewiesen. Auch „militärische Interventionen“ wollte Bettel mittelfristig nicht ausschließen.
Worum es beim verschärften Anti-Terror-Paket im Detail ging, konnte das Parlament da noch nicht wissen: Den Gesetzentwurf hatte Bettel erst zur Parlamentssitzung hinterlegt, die meisten Deputierten kannten den Text also nicht. Das erklärt vielleicht, weshalb die Kritik im Dezember überaus verhalten ausfiel. CSV-Fraktionschef Claude Wiseler begrüßte die Initiative grundsätzlich. Die Richtung stimme, er wollte aber die konkreten Vorschläge abwarten, bevor seine Partei sich näher äußere. Gilles Roth, rechtspolitischer Sprecher der Christlich-Sozialen, mahnte allgemein, dass Grundprinzipien des Rechtsstaats nicht in Frage gestellt werden dürften. Doch die CSV hat in der Vergangenheit den Sicherheitsapparat selbst mehr ausgebaut als eingeschränkt. Nur Serge Urbany von déi Lénk äußerte grundsätzliche Kritik.
Stefan Braum, Strafrechtsprofessor und Dekan der juristischen Fakultät der Universität Luxemburg, warnte drei Tage später in einem Interview mit Radio 100,7 die Regierung eindringlich davor, weitere Freiheitsrechte der Bürger für mehr Sicherheit aufs Spiel zu setzen – andere Strafrechtler haben sich hierzulande bisher nicht öffentlich geäußert. Braum verortete den Anti-Terror-Vorstoß im europäischen Kontext: Es sei „dieselbe Logik von Reaktion, dieselbe Eskalation von sicherpolitischen Mustern“, wie sie nach jedem Terroranschlag zu beobachten sei: Verfassungsrechtliche Prinzipien würden nach innen „geschleift“, nach außen gebe es „den Hang zu militärischen Aktionen“, so Braum.
Worum geht es konkret? Mit dem Entwurf 6921 soll die Polizei, deren Kernkompetenz eigentlich in der Verfolgung begangener Straftaten liegt, mehr Befugnisse bekommen, um Terroristen aufzuspüren und terroristische Aktivitäten zu verhindern. Dafür will der Gesetzgeber ihr ein ganzes Bündel an Instrumenten an die Hand geben. Inwiefern Polizei und Staatsanwaltschaft diese tatsächlich benötigen, oder ob die Initiative vor allem von den EU-Regierungschefs vorangetrieben wird, geht aus dem Motivenbericht nur indirekt hervor.
Polizei und Staatsanwaltschaft können heute schon bei Verdacht von Straftaten Autos von Verdächtigen verwanzen, Telefongespräche abhören und Wohnungen überwachen. Künftig sollen sie dies auch zur Gefahrenabwehr bei mutmaßlichen Terroristen tun können. Die Online-Durchsuchung, das gezielte Ausspähen von Computer und Smartphone mittels eines Trojaners, soll erlaubt werden. Polizeiliche Ermittler sollen überdies verdeckt unter Pseudonym im Internet ermitteln können, Hausdurchsuchungen rund um die Uhr durchführen und verdächtige Personen statt aktuell maximal 24 Stunden zwei Tage in Polizeigewahrsam nehmen können.
Die Instrumente sind keine Erfindung des Justizministers. Seine Vorschläge sind teils in identischer, teils in ähnlicher Form in Belgien, Deutschland und Frankreich bereits Gesetz und Praxis. Die DP-LSAP-Grüne-Regierung folgt einem sicherheitspolitischen Trend in der EU, der nicht erst seit den Anschlägen in Paris, sondern nach den Attentaten 2001 in New York seinen Anfang genommen hatte und bis heute anhält. Seitdem wurden Befugnisse für Polizei- und Sicherheitsbehörden kontinuierlich ausgedehnt, mit dem Argument, so die Strafverfolgung von Terroristen zu verbessern. Wenig wurde dagegen analysiert, ob die Maßnahmen greifen, ob sie wirklich zur besseren Terrorabwehr beitragen oder ob der Sicherheitswettlauf nicht rechtsstaatliche Prinzipien allmählich aushöhlt. Auch Luxemburgs Abgeordnete stellen kaum Fragen zu Einsatz und Wirksamkeit bestehender polizeilicher Maßnahmen, obwohl sie dies könnten.
Keine der vorgeschlagenen Maßnahmen sei von den Datenschützern und Menschenrechtlern als grundsätzlich verfassungswidrig verworfen worden, betont Félix Braz gegenüber dem Land. Er hat Recht – ein klares Veto haben beide Kommissionen nicht eingelegt und trotzdem haben es ihre Gutachten in sich: Sie kritisieren konkret, dass Einsatzbereich, Verwendungszweck und Zugang vieler Maßnahmen nicht präzise genug definiert seien, obwohl sie tief in die Freiheitsrechte des Einzelnen eingreifen. Das beginnt bei schwammigen Begrifflichkeiten wie „urgence“ und „extrême urgence“, gilt für massiv ausgedehnte Abhör- und Überwachungsmaßnahmen im privaten Domizil, am Arbeitsplatz, im Auto oder am Telefon, wobei teilweise unklar bleibe, wie unverdächtige Dritte vor allzu neugierigen Schnüffelnasen geschützt werden können. Dass es sie gibt, hat die Srel-Affäre gezeigt.
Staatsminister Xavier Bettel und die grüne Vorsitzende des parlamentarischen Justizausschusses, Viviane Loschetter, betonten in ihren Einlassungen im Dezember, die Maßnahmen richteten sich ausschließlich gegen mutmaßliche Terroristen, es gebe „keine Narrenfreiheit“ (Loschetter) und „keinen Polizeistaat“ (Bettel): Was mit Bürgern geschieht, die ohne ihr Wissen in Kontakt mit mutmaßlichen Terroristen stehen und so ins Visier der Ermittler geraten könnten, sagten sie nicht. Die Menschenrechtskommission sieht das Grundrecht in Gefahr, über gravierende Freiheitsbeschneidungen informiert zu werden. Die Datenschutzkommission bemängelt zudem, die Kommunikation von (nicht tatverdächtigen) Berufsgeheimnisträgern wie Medizinern und Anwälten, aber auch von Journalisten, sei nicht ausreichend geschützt, Fristen zur Speicherung von sensiblen personenbezogenen Daten fehlten, respektive die Kontrolle der Überwachungsmaßnahmen werfe Fragen auf.
Er werde punktuelle Änderungen vorlegen, versprach der Justizminister nach Veröffentlichung der Gutachten. Seine Beamten hätten die Vorschläge „nach bestem Wissen und Gewissen“ geschrieben, so Braz, der die Einwände der Datenschützer und Menschenrechtler nicht weiter schlimm findet, schließlich sei das deren Aufgabe. So als wäre es nicht bemerkenswert, dass ein Grüner an der Spitze der Verschärfungsoffensive von Strafrecht und Strafverfolgung steht und Braz ein Polizeigesetz mehr verantwortet, dem Kritiker vorwerfen, elementare Grundrechte zu untergraben. Erst im April vergangenen Jahres hatte der damalige Generalstaatsanwalt Robert Biever in einem beachtlichen Gutachten zum Gesetzentwurf der sogenannten Foreign Fighters vor dem „gefährlichen Trend“ gewarnt, die Befugnisse von Polizei, Justiz und Geheimdienst immer weiter auszudehnen und so eine „präventive Justiz“ zu schaffen.
Das deutsche Bundesverfassungsgericht äußerte 2008 massive Bedenken gegenüber dem Einsatz von Staatstrojanern und hat in seinem Urteil die Latte entsprechend hoch gelegt: Eine Online-Durchsuchung darf nur erfolgen, wenn damit überragend wichtige Rechtsgüter geschützt werden sollen und die Maßnahme erforderlich, zweckdienlich und verhältnismäßig ist. Weil Grundrechte wie der Schutz der Privatsphäre auf dem Spiel stehen, darf kein Komplettzugriff auf den gesamten Computer erfolgen und müssen besonders intime persönliche Daten als „Kernbereich privater Lebensführung“ vor Überwachung geschützt sein. Anders als bei der präventiven, also der Gefahrenabwehr im Vorfeld dienenden Online-Durchsuchung, ist der Einsatz von Staatstrojanern zum Zwecke der Strafverfolgung, also bei bestehendem Anfangsverdacht, in Deutschland verboten.
Diese Einwände kennt auch der Luxemburger Justizminister – und wohl erst recht seine Juristen – und dennoch fehlen im Entwurf Präzisionen, wie dieser Kernbereich und andere Persönlichkeitsrechte von Betroffenen geschützt werden sollen. Das kritische Urteil der Karlsruher Richter zum so genannten BKA-Gesetz, das dem Bundeskriminalamt ähnliche Rechte einräumt wie Braz’ Entwurf, lag noch nicht vor, als der Justizminister seinen Vorschlag präsentierte. Darin stehen dieselben Bedenken, die auch Datenschutz- und die Menschenrechtskommission gegenüber der Luxemburger Vorlage vortragen.
Braz und seine Mitstreiter verweisen als Rechtfertigung darauf, nur ein Richter dürfe die Maßnahmen anordnen, so würden Missbrauch und Willkür verhindert. Rechtsexperten wie der deutsche Strafverteidiger Egon Müller warnen allerdings schon länger davor, dass der Richtervorbehalt „ein zahnloser Tiger“ ist, dessen rechtsschützende Wirkung fraglich sei. Auch in Frankreich mehren sich Stimmen, die sich um das empfindliche Gleichgewicht zwischen effizienter Terrorismusbekämpfung und Wahrung elementare Freiheiten ernsthaft sorgen.
Wie sehr die Grünen mittlerweile in der Realpolitik angekommen sind, zeigt sich auch daran, dass sogar die geplante Verfassungsänderung, mit der der bislang auf internationale Krisen beschränkte Notstandsartikel in der Verfassung auf nationale Krisen ausgeweitet werden soll, kaum für Kontroversen sorgt. Weder in der Partei, noch in der Koalition. Nach außen zeigt man sich demonstrativ einig. Es ist ein grüner Justizminister, der die umstrittene Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene vorantreibt und einen neuen nationalen Entwurf zur massenhaften Telekommunikationsdatenspeicherung vorgelegt hat – obwohl Déi Gréng früher gegen Massenüberwachung waren. Braz betont zwar, er habe dabei versucht, die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs einzuhalten (die Luxemburger Richter hatten die EU-Vorlage wegen gravierender Verstöße gegen Grundrechte im April 2014 gekippt), aber jetzt wird unter seiner Führung ihre Neuauflage vorangetrieben.
Sonst um keine Prinzipien- und Wertedebatte verlegen, gehen Déi Gréng dieser eher aus dem Weg. Als der Premierminister im Dezember das umstrittenen Sicherheitspaket im Parlament präsentierte, wollte die Grüne Viviane Loschetter, den Terrorismus-Begriff nicht hinterfragen: „Für uns ist ganz klar, dass wir über das reden, was wir in Paris gesehen haben. Diese Definition, das ist für uns der Terrorismus, gegen den wir vorgehen wollen.“
Dabei sind es nicht nur déi Lénk, die ein Problem mit dem Konstrukt haben. Terrorismus sei nichts anderes als eine „abstrakte Bedrohungsvokabel“, die von Politikern genutzt werde, um sicherheitspolitische Maßnahmen zu rechtfertigen, so Rechtsprofessor Stefan Braum warnend. Weil Terrorismus „keine klar gefasste Katalogstraftat“ sei, sich vielmehr aus verschiedenen Einzeltaten zusammensetze, die mit einer bestimmten Motivation und einem Ziel, Angst und Schrecken zu verbreiten und „den Staat als Ganzes zu zerstören“, vorbereitet respektive begangen werden, tauge der Begriff nicht als „Leitlinie für eine nachhaltige, präzise und verhältnismäßige Gesetzgebung, die verfassungsrechtlichen Prinzipien genügt“, sagt Braum.
Anders ausgedrückt: Unter dem Deckmantel, den Terrorismus zu bekämpfen, schränken Politik und Sicherheitsbehörden elementare Freiheitsrechte der Bürger immer weiter ein. Bis zum Generalverdacht, in Form des anlasslosen massenhaften Speicherns auf Vorrat von Telekommunikations-Verbindungsdaten. Die Sicherheitshysterie kann so weit gehen, dass eine Regierung monatelang den Ausnahmezustand ausruft, wie es derzeit in Frankreich geschieht. Was aber wenn der Ausnahmezustand zur Regel wird? Was bleibt dann vom Rechtsstaat und den Freiheitsrechten der Bürger?
Amnesty international zufolge hat von 3 210 Hausdurchsuchungen, die die französische Polizei nach den Pariser Anschlägen unternommen hat, nur eine zu einer Anklage wegen Terrorismus geführt. Verhindert, dass offenbar mit den Attentätern von Paris in Verbindung stehende Islamisten in Brüssel erneut tödliche Sprengsätze zünden konnten, haben höchste Sicherheits-Alarmstufe, Ausnahmezustand und polizeiliche und geheimdienstliche Dauerüberwachung bekanntlich nicht.