Zum ersten Mal sei der Anteil von Frauen in den Verwaltungsräten öffentlich-rechtlicher Einrichtungen höher als die angestrebte Quote von 40 Prozent. Das sagten die Ministerin für die Gleichheit zwischen Frauen und Männern, Taina Bofferding, und Wirtschaftsminister Etienne Schneider (beide LSAP) am vergangenen Freitag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. Die Dreierkoalition hatte sich im Herbst 2014 dazu verpflichtet, den Frauenanteil in den rund 80 Entscheidungsgremien, in denen der Staat vertreten ist, auf 40 Prozent im Jahr 2020 zu erhöhen.
Neusten Daten zufolge ist dieses Teilziel erreicht: Um zehn Prozent, von 30,34 Prozent im Jahr 2015 auf nunmehr 40,19 Prozent, kletterte der Frauenanteil unter DP, LSAP und Grünen. Eine gute Nachricht für die frisch gebackene Ministerin Bofferding, die auf der Pressekonferenz betonte, es gehe nicht nur darum, das „Talent der Frauen zu fördern“, die bereit seien Verantwortung zu übernehmen. Es sei vielmehr eine „Frage der Fairness“ und Frauen seien eine echte „wirtschaftliche Kraft“.
Was die Ministerin und ihr Parteikollege nicht im Gepäck hatten, waren Details zu besagter Erfolgsmeldung, die noch am selben Tag von den Medien aufgegriffen wurde: Der 2014 eingeführte Mechanismus, frei werdende Leitungsposten zunächst im jeweiligen Ministerium und dann im Regierungsrat stets auch hinsichtlich der Geschlechterquote zu überprüfen und Unterrepräsentationen eines Geschlechts abzustellen, greift also; das zeigt der deutliche Frauenzuwachs. Unklar bleibt allerdings, was die einzelnen Ministerien dazu beitragen haben, ob es Musterschüler gibt, die sich besonders um Geschlechtergleichheit bemühen, und wer warum die Nachzügler sind. D’Land fragte deshalb im Gleichstellungsministerium nach, in welchen Politikbereichen und in welchen Funktionen, ob als Präsidentin, Vizepräsidentin oder einfaches Mitglied, die Frauen in den Gremien sitzen. Die Tabellen im Pressedossier geben darüber keine Auskunft.
Kaum Daten, wenig Transparenz
Die Anfrage blieb bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet und auch eine gleichlautende Anfrage beim Wirtschaftsministerium führte nicht wirklich weiter. Das Ministerium unter Führung von Etienne Schneider verantwortet besagtes Monitoring. Die Gesamtzahl der Verwaltungsräte, in die der Staat Vertreter entsendet, nennt der zuständige Beamte Luc Wilmes bereitwillig: Es seien 79. Eine Aufschlüsselung nach Ressort will er aber nicht geben, ohne zuvor grünes Licht von höherer Stelle bekommen zu haben. Er könne die Zahlen anderer Ministerien nicht herausgeben, so Wilmes am Telefon, der stattdessen auf die Daten des Schatzamts verweist. Immerhin: Die Pressestelle des Gesundheitsministeriums schickte umstandslos eine Auflistung der Zusammensetzung nach Geschlecht: In den Verwaltungsräten der Kliniken und des Labors sind die Männer zwar in der Überzahl, aber Frauen holen auf. Das Erziehungsministerium teilte mit, es führe keine „zentralisierte Liste“, und schickte stattdessen eine manuell erstellte Übersicht aller ihrer Vertreterinnen und Vertreter in Verwaltungsräten.
Vorreiter Frankreich
In Frankreich, wo Frauenförderung zu den Prioritäten der liberalen Regierung unter Emmanuel Macron zählt, ist das Geschlechter-Monitoring umfassend und transparent. Analysen sind im Internet einzusehen, ohne langes Suchen, als handele es sich um Staatsgeheimnisse. Frankreichs Kulturministerium veröffentlichte vergangenes Jahr eine detaillierte Analyse über Frauen und Männer in Kultur und Kommunikation, ihre Beteiligungen an der Belegschaft, an Jurys, Leitungsfunktionen, Wettbewerben. So etwas fehlt in Luxemburg bis heute.
Eine Ausnahme bildet das Kulturressort, wo der inzwischen zum Ersten Regierungsrat aufgestiegene Präsident des nationalen Kulturfonds, Jo Kox, eine Tabelle zu den Beschäftigungsverhältnissen in den Kulturinstitutionen angefertigt hat. Dabei fällt auf, dass weibliche Beschäftigte in Kultureinrichtungen wie den Rotondes, dem Casino oder der Abtei Neumünster recht gut vertreten sind. In zwei regionalen Zentren (Niederanven, Grevenmacher) bilden sie die Mehrheit der Beschäftigten. Kox analysierte auch die Verwaltungsräte: Der Aufsichtsrat der Philharmonie ist nahezu paritätisch besetzt, in Orchester, Technik und Verwaltung arbeiten insgesamt jedoch mehrheitlich Männer. Ähnlich ist es bei der Rockhal. Auch die Musikvereine tun sich mit der Gleichstellung schwer: Mit dem Rücktritt von Ugda-Präsidentin Martine Deprez schrumpft der (ehrenamtliche) Verwaltungsrat des Musikverbands auf vier Frauen gegenüber neun Männern, im vierköpfigen Vorstand des Gesanginstituts Inecc sitzt nur eine Frau, der Verwaltungsrat von MusicLX ist rein männlich. Die Analyse nach Geschlecht ebenso wie nach Hautfarbe und Herkunft in Statistiken und die Förderung von Frauen müsse „zum automatischen Reflex werden“, sagt Jo Kox. Im Kulturentwicklungsplan, den die grüne Kulturministerin Sam Tanson umsetzen will, steht die Förderung von Frauen in den Verwaltungsräten als erklärtes Ziel.
Musterschüler, Nachzügler...
Wer einen Gesamtüberblick über die Verteilung nach Geschlecht in den Verwaltungsräten öffentlicher Einrichtungen gewinnen will, der/dem bleibt derzeit nur die Liste des Schatzamtes. Sie zählt die Établissements publics, Stiftungen und Groupements d’intérêt économique auf, in denen der Staat vertreten ist, mitsamt zuständigem Ministerium und den Zusammensetzungen der jeweiligen Verwaltungsräte. Die Liste, die ausgedruckt mehr als 80 Seiten lang ist, ist alphabetisch geordnet und anders als die Datenbank im Wirtschaftsministerium nicht auf dem allerletzten Stand: So steht beispielsweise beim Radio 100,7 die alte Zusammensetzung des Verwaltungsrats mit Françoise Poos an der Spitze. Inzwischen sitzt im Präsidentensessel mit Laurent Loschetter ein erklärter Vertrauensmann des zuständigen Medienministeriums (siehe Seite 2-3).
Leider lässt sich die Auflistung nicht per Knopfdruck nach Ressort oder Funktion sortieren. Analysen im Ausland haben gezeigt, dass Frauen eher in so genannten „weichen“ Bereichen Karriere machen, wo Leitungsposten familienfreundlicher gestaltet sind und der Lohn niedriger ausfällt. Das liegt auch daran, dass die Zahl der weiblichen Beschäftigten in diesen Bereichen höher ist. Eine grobe Analyse der Liste der Schatzamts deutet darauf hin, dass dies tendenziell in Luxemburg ähnlich ist: Beim Fonds national de la solidarité beispielsweise sitzt mit Dominique Faber eine gediente Beamtin und Erste Regierungsrätin aus dem Familienministerium an der Spitze des Verwaltungsrats, ebenso bei Servior, wobei die anderen Mitglieder fast ausnahmslos Männer sind. Beim dem Mobilitäts- und Bautenministerium zugeordneten Fonds Belval und dem Fonds Kirchberg sind die männlichen Verwaltungsräte deutlich in der Überzahl; und wären da nicht Félicie Weycker und Michelle Steichen, würde die Bilanz des Ministerium ungünstiger ausfallen. In der Agrarwirtschaft, eine weitere Männerdomäne, im Verwaltungsrat des Fonds solidaire viticole bleiben die Männer unter sich. Ein reiner Männerclub ist auch der Verwaltungsrat des Fonds de Luxembourg mit Präsident Henri Grethen, ehemaliger DP-Wirtschaftsminister und luxemburgisches Mitglied am Europäischen Rechnungshof, oder der Aufsichtsrat des Centre de Ressources des Technologies et de l’Innovation pour le Bâtiment. Im Verwaltungsrat der Post sitzen mit Ginette Jones, Marie-Josée Ries, Anne-Catherine Ries und Betty Sandt immerhin vier Frauen, neben 13 Männern. Eine Ausnahme bildet ausgerechnet das Ressort Finanzen, wo mehrere gut dotierte Verwaltungsräte nahezu paritätisch besetzt sind, etwa der des Fonds souverain intergénérationnel du Luxembourg oder der Finanzaufsicht CSSF.
... und eine Überraschung
„Leitungsfunktionen einer Behörde oder eines Ministeriums sind oftmals mit Vertretungen in anderen Organen verbunden“, erklärt Maryse Fisch vom Gleichheitsministerium. Im Bereich Finanzen sind es mit Isabelle Goubin und Pascale Toussing zwei Finanzexpertinnen, die unter Minister Pierre Gramegna (DP) systematisch gefördert wurden, Karriere gemacht und mehrere Schlüsselpositionen haben. Ein anderes Schwergewicht ist Adem-Direktorin Isabelle Schlesser, die 2018 in den Staatsrat einzog und zudem im Verwaltungsrat der CFL sitzt.
Dass hohe Beamte nicht nur – meist gut bezahlte – Leitungen übernehmen, sondern daneben oftmals gleich in mehreren Verwaltungsräten sitzen, sorgt immer wieder für Kritik. Nicht nur wegen der damit verbundenen Machtfülle und naheliegender Zweifel, ob die Strategie- und Aufsichtsfunktion bei so vielen parallelen Mandaten überhaupt optimal ausgeübt werden kann. In der Vergangenheit waren diese Alpha-Menschen meist ältere, weiße männliche Beamte, die sich verdient gemacht haben und die nicht selten mit einem Verwaltungsratssitz belohnt wurden. Wie es scheint, zeichnet sich ein ähnlicher Trend zu Mehrfachmandaten nun bei den Frauen ab.
Eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, wäre, die Entsendung in Verwaltungsräten von der Leitungsfunktion zu entkoppeln, sagt Maryse Fisch vom Gleichheitsministerium. So könnten statt des Direktors – oder der Direktorin – andere stellvertretend in ein Führungsgremium geschickt werden. Denn an geeigneten Kandidatinnen fehlt es eher nicht: Nicht nur studieren Frauen ebenso wie Männer, sie haben oft die besseren Abschlüsse, wollen Karriere machen und bewerben sich auch beim Staat: 2018 traten 340 Frauen und 404 Männer ihren Stage im öffentlichen Dienst an.
Female Board Pool
Schon die ehemalige Gleichstellungsministerin Lydia Mutsch hatte, wie jetzt Taina Bofferding, ausdrücklich auf den Female Board Pool als Quelle für Bewerberinnen mit Ambitionen hingewiesen. Die Initiative der Finanzexpertin und erfahrenen Coachin Rita Knott fördert durch Netzwerke und Experten-Workshops gezielt Frauen für Führungsaufgaben. Ihr Pool besteht aus einer Datenbank von mittlerweile 540 Frauen allein in Luxemburg mit unterschiedlichen Profilen: „Bei uns können Unternehmen kostenlos anfragen und wir suchen dann jeweils passende Profile aus der Datenbank heraus“, sagt Knott. Derzeit verhandelt sie mit dem Gleichheitsministerium über eine neue Konvention zur weiteren Zusammenarbeit.
Allzu groß ist das Interesse bisher nicht: 29 Unternehmen und Organisationen haben den Service angefragt, neun Frauen wurden vermittelt. Eine derer, die die Hilfe des Female Board Pool beansprucht hat, dadurch Kandidatinnen fand, die dann erfolgreich vermittelt wurden, war Lydia Mutsch in ihrer damaligen Funktion als Gesundheitsministerin. Ansonsten scheint die Plattform in den verschiedenen Ministerien nicht allzu bekannt zu sein – oder sie wird ignoriert. Laut Isabelle Wickler, im Gleichstellungsministerium mit der Weiterbildung beauftragt, wurde die Initiative wohl jungen Beamtinnen vorgestellt, aber offenbar geschieht das nicht systematisch, so dass jede Frau, die eine Karriere im öffentlichen Dienst anstrebt, darüber auf jeden Fall Bescheid wüsste. Vier höhere weibliche Beamte, die für ihr Ministerium in Verwaltungsräten sitzen und die das Land befragte, haben von der Initiative nichts gehört. Eine vernetzte Strategie, um Anwärterinnen gezielt für Leitungsfunktionen in öffentlichen Behörden und Verwaltungsräten aufzubauen und vorzubereiten, fehlt bis heute. Wer im öffentlichen Dienst eine Karriereberatung will, muss sie sich selbst organisieren.
Wohl bietet das Institut national d’administration publique (Inap) Schulungen zu Diversität und Chancengleichheit an, die sind aber fakultativ. Noch bis 2018 mussten noch alle rund 800 Beamte im Praktikum den vom Gleichheitsministerium gehaltenen Kurs zu „Chancengleichheit“ im Rahmen der 60-stündigen Grundausbildung besuchen. Seit diesem Jahr ist die Teilnahme an dem Kurs, der unter der Überschrift „Rechte und Pflichten“ angeboten wird, wegen einer Änderung des entsprechenden Reglement grand-ducal freiwillig. Eine Änderung, die unter Bofferdings LSAP-Parteikollegen Dan Kersch, damaliger Minister für den öffentlichen Dienst, erfolgte. Insgesamt besuchten vergangenes Jahr 3 322 Frauen und 5 706 Männer Fortbildungen des Inap. Aber nur 134 Beamte, 81 Frauen und 53 Männer, besuchten die Schulungen zu „Diversität“ und „Chancengleichheit“.
Kein Anlass also für Freudensprünge oder Zurücklehnen in Sachen Gleichheit von Frauen und Männern für die Feministin Taina Bofferding, zumal da, wie es die deutsche Autorin Ingrid Strobl einmal treffend formulierte, Frau sein allein kein Programm ist. Wem nützt es, wenn immer mehr Frauen die gläserne Decke durchstoßen, um dann wie manche Kollegen schlechte, autoritäre, launische Chefs und Kontrolleure zu werden, die nur Profit oder den eigenen Aufstieg im Blick haben? Oder wie es eine Kolumnistin der Berliner Tageszeitung angesichts des Weltwirtschaftsforums in Davos formulierte: „Es wird sich für alle nichts ändern, wenn der Typus Davos-Mann nicht demontiert wird. Es wird sich nichts bessern, solange erfolgreiche Frauen Davos-Männer in Bleistiftröcken geben.“