Bommeleeërprozess

Terroristen in Uniform

d'Lëtzebuerger Land vom 22.02.2013

Weil die außenpolitischen Mittel beschränkt und die Gesellschaft weitgehend befriedet ist, sind politische Verbrechen hierzulande eher selten. Der letzte politische Mord wurde möglicherweise im Dezember 1945 unter einer Regierung der nationalen Einheit am gefangenen Gauleiter Gustav Simon begangen. Das letzte bekannt gewordene Staatsverbrechen war unter einer CSV/DP-Koalition im April 2003 die Auslieferung des vermeintlichen Terroristen Salmi Taoufik Kalifi an tunesische Folterer.

Am nächsten Montag soll der größte politische Prozess seit den 1952 beendeten Kriegsverbrecher- und Kollaborationsprozessen beginnen: Zwei ehemalige Beamte der Brigade mobile de la Gendarmerie stehen unter anderem wegen Mordversuchs, Körperverletzung und Brandstiftung vor Gericht, weil sie von Mai 1984 bis März 1986, zusammen mit anderen, nicht überführten Kollegen, an 20 Terroranschlägen beteiligt gewesen sein  sollen.

In der Mitte der Achtzigerjahre lag einer der Höhepunkte des Kalten Kriegs, und wie in Luxemburg wurden auch in den drei Nachbarstaaten Terroranschläge verübt, um die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzten und so einen autoritäreren und repressiveren Staat politisch durchsetzbar zu machen. Bis heute ist in den verschiedenen Ländern nicht restlos geklärt, welche Anschläge auf das Konto linksextremer oder rechtsradikaler Gruppen geht und wie diese von in- oder ausländischen Geheimdiensten manipuliert wurden. In ihrer Anklageschrift gegen die Bommeleeërten kommt die Staatsanwaltschaft nach einer hundertseitigen Beweisführung zur Schlussfolgerung:
„­[O]n peut retenir que par la manière d’agir de façon militaire, la structure des lettres, les connaissances en maniement d’explosifs les connaissances des lieux d’attentats, les auteurs ou une partie de ces auteurs sont à rechercher parmi les membres de la Force Publique. Une analyse des différentes infractions et du contenu des lettres démontre que les auteurs avaient des connaissances qui permettaient d’exclure une participation de membres de l’armée. Il résulte de l’ensemble du dossier que les informations les plus pointues à caractère interne dont disposaient les auteurs ne pouvaient pas provenir de la Police, mais uniquement de la Gendarmerie.“

Auch wenn die individuelle Schuld der in ihren ersten Verhören alles andere als geschickt argumentierenden Angeklagten erst Gegenstand des Prozesses sein wird, gilt in der Justiz, der Politik und den Medien seit Jahren als allgemein akzeptiert, dass die Brigade mobile de la Gendarmerie in die Terroranschläge verwickelt war, dass jene, die Gewalt für den Staat, gleichzeitig Gewalt gegen den Staat ausübten. Wobei, wie die Armee im Äußeren, das schnelle Einsatzkommando der Gendarmerie das gewalttätigste Staatsorgan im Innern war.

Wie selbstverständlich Gesetzeshüter gleichzeitig Gesetzesbrecher sein können, erklärte der Philosoph Walter Benjamin in seinem 1920 veröffentlichten Aufsatz Zur Kritik der Gewalt damit, dass bei der in der Polizei oder Gendarmerie ausgeübten Gewalt „die Trennung von rechtsetzender und rechtserhaltender Gewalt aufgehoben ist“. Denn die „Behauptung, dass die Zwecke der Polizeigewalt mit denen des übrigen Rechts stets identisch oder auch nur verbunden wären, ist durchaus unwahr. Vielmehr bezeichnet das ‚Recht’ der Polizei im Grunde den Punkt, an welchem der Staat, sei es aus Ohnmacht, sei es wegen der immanenten Zusammenhänge jeder Rechtsordnung, seine empirischen Zwecke, die er um jeden Preis zu erreichen wünscht, nicht mehr durch die Rechtsordnung sich garantieren kann. Daher greift ‚der Sicherheit wegen’ die Polizei in zahllosen Fällen ein, wo keine klare Rechtslage vorliegt, wenn sie nicht ohne jegliche Beziehung auf Rechtszwecke den Bürger als eine brutale Belästigung durch das von Verordnungen geregelte Leben begleitet oder ihn schlechtweg überwacht. Im Gegensatz zum Recht, welches in der nach Ort und Zeit fixierten ‚Entscheidung’ eine metaphysische Kategorie anerkennt, durch die es Anspruch auf Kritik erhebt, trifft die Betrachtung des Polizeiinstituts auf nichts Wesenhaftes. Seine Gewalt ist gestaltlos wie seine nirgends fassbare, allverbreitete gespenstische Erscheinung im Leben der zivilisierten Staaten.“ So wie Walter Benjamins Beobachtung für Polizei und Gendarmerie im Allgemeinen zutrifft, so gilt sie auch für die Brigade mobile de la Gendarmerie, nur eben aufs Extremste und Brutalste zugespitzt, wie es sich für eine Eliteeinheit gehört, die für extremste und brutalste Einsätze aufgestellt wurde.

Daraus ergibt sich, dass die Sicherheitskräfte während Jahren die Aufklärung der Terrorwelle zu verhindern versuchten, die Untersuchungsrichter hintergingen und die Mehrheit der Beweismittel beseitigten. Weil diese Komplizität allzu offensichtlich wurde, musste Justizminister Luc Frieden (CSV) im Januar 2008 auf Druck der Staatsanwaltschaft den Generaldirektor und den Generalsekretär der Polizei abberufen; beim Nachrichtendienst musste im Dezember 2003 eine Hausdurchsuchung durchgeführt werden. Die Behinderung der Justiz durch die Polizeihierarchie und den Nachrichtendienst brachte das Parlament schließlich dazu, im Sommer 2011 den neuen Straftatbestand der Justizbehinderung in die Strafprozessordnung aufzunehmen.

Während die Sicherheitskräfte die Aufklärung der Terrorwelle zu verhindern versuchten, bemüht sich die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift ausführlich, den terroristischen Charakter der Anschlagserie zu leugnen: „Il n’y a eu à aucun moment ni revendication des auteurs se réclamant d’un groupe idéologique (par exemple : R.A.F. en Allemagne, Action Directe en France ou encore les C.C.C. en Belgique, les Brigades Rouges en Italie, l’IRA en Irlande) ou d’un groupe réclamant une action politique déterminée de la part du Gouvernement (par exemple : dissolution de l’Armée, libération de prisonniers, l’engagement du Gouvernement de ne pas acheter de l’électricité provenant de centrales nucléaires). Donc pas d’attentat à connotation terroriste ou politique“ (d’Land, 10.2.12).

Weil zum Tatzeitpunkt Terrorismus noch gar nicht als eigenständig definierter Straftatbestand Eingang ins Strafgesetzbuch gefunden hatte, wäre die Argumentation der Staatsanwaltschaft überflüssig, verfolgte sie nicht eher politische als strafrechtliche Ziele: Wenn 20 Bombenanschläge auf öffentliche Einrichtungen kein Terrorismus waren, dann können Terroranschläge durch Angehörige staatlicher Sicherheitskräfte zwangsläufig auch kein Staatsterrorismus sein. Weil die Angeklagten weder Links-noch Rechtsextremisten, also Extremisten unserer aller christkatholischer, sozialliberaler Mitte sein sollen, sind sie für die Anklage auch, anders als bärtige ausländische Bombenleger, keine Ennemi im „Krieg gegen den Terrorismus“. Weil nationaler Terrorismus im Vergleich zum internationalen  ein zum Schmunzeln anregendes Kavaliersdelikt zu sein scheint, wären die Marc, Jos und anderen selbst im Fall ihrer Verurteilung nicht einmal richtige Verbrecher, sondern eher verirrte Schafe.

Da die Staatsanwaltschaft auf dem rechten Auge blind ist und nur linksradikalen Terrorismus aufzuzählen weiß, bescheinigt sie den Terroristen in Uniform, dass sie nicht auf höheren Befehl, sondern aus eigenem Antrieb Bomben legten, auf eigene Rechnung einen Untergrundkrieg gegen den Staat führten, dass sie Partisanen waren. Denn sie „agissent dans un but idéaliste, cest-à-dire quils veulent obtenir quelque chose de positif qui ne peut être atteint que par les moyens choisis par eux; il en résulte quils nont pas conscience quils agissent dans le tort [...] Il est évident quun enrichissement peut être exclu comme mobile. Toutes les personnes participants aux attentats devaient donc avoir un autre mobile mais en tout état de cause, une motivation idéaliste“.

So sah das auch der Staatsrechtler Carl Schmitt in seiner 1963 veröffentlichten Theorie des Partisanen: „An dem intensiv politischen Charakter des Partisanen muss schon deshalb festgehalten werden, weil er von dem gemeinen Räuber und Gewaltverbrecher unterschieden werden muss, dessen Motive auf eine private Bereicherung gerichtet sind. Dieses begriffliche Kriterium des politischen Charakters hat (in exakter Umkehrung) dieselbe Struktur wie beim Piraten des Seekriegsrechts, zu dessen Begriff der unpolitische Charakter seines schlimmen Tuns gehört, das auf privaten Raub und Gewinn gerichtet ist.“

Wobei Schmitts Bewunderung selbstverständlich dem französischen Armeegeneral Raoul Salan und dessen rechtsradikalen Terroristen in Uniform der Organisation armée secrète (OAS) galt. Nach dem Putschversuch von 1961 „versuchte die OAS planmäßige Terroraktionen sowohl gegen den algerischen Feind wie gegen die Zivilbevölkerung in Algier und die Bevölkerung in Frankreich selbst; planmäßig im Sinne der Methoden einer sogenannten psychologischen Kriegführung des modernen Massenterrors“. Nämlich als, tragisch verstrickt wie ein antiker Held, „Salan sich gezwungen sah, die für einen Soldaten verzweifelte Position zu beziehen, sich gegenüber der Regularität auf die Irregularität zu berufen und eine reguläre Armee in eine Partisanenorganisation zu verwandeln.“

Romain Hilgert
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