Enthüllungen über die Terroranschläge der Achtzigerjahre rhythmisieren bis heute zuverlässig das politische Leben. Als beispielsweise die Koalition im Frühjahr 2010 zusammen mit der Tripartite über neue Sparmaßnahmen zu stolpern drohte, durfte die Nation sich plötzlich darüber entrüsten, dass vor Jahren hochgestellte Polizeibeamte die Ermittlungen gegen die Attentäter nach besten Kräften verhindert hätten. Als die Regierung sich im Frühjahr dieses Jahres mit Händen und Füßen gegen den Verdacht wehren musste, beim geplanten Bau eines Einkaufszentrums mit angegliedertem Fußballstadion einen Promotor begünstigt, einen anderen unter Druck gesetzt zu haben, durfte die Nation sich plötzlich darüber empören, dass vor Jahren das Gros der Beweisstücke für den geplanten Bommeleeër-Prozess verschwunden sei. Heute, da die Regierung vor den Scherben ihres viel kritisierten Cargolux-Geschäfts mit dem Katar steht, darf die Nation plötzlich sprachlos dem Premier zuhören, der erzählt, wie vor Jahren der Direktor des Nachrichtendienstes heimlich ein gemeinsames Gespräch mit einer präparierten Armbanduhr aufnahm. Die bloß noch an diverse Bananenrepubliken erinnernde Ungeheuerlichkeit letzteren Vorgangs wirft ein bezeichnendes Licht auf das Vertrauensverhältnis zwischen dem Nachrichtendienst und seinem obersten Dienstherrn. Doch so wie es der Staatsanwaltschaft bisher nicht gelungen ist, überzeugend zu erklären, in wessen Auftrag in den Achtzigerjahren Elitegendarmen mit anderthalb Dutzend Terroranschlägen den starken Staat herbeizubomben versuchten, so macht es wenig Sinn, sich in für die Branche übliche Spekulationen zu verlieren, wer im Nachrichtendienst von welchen in- und ausländischen Diensten und Seilschaften, sehr rechten Ideologien und Korps-Rivalitäten manipuliert oder ferngesteuert wird. Schließlich schienen die Beamten des Nachrichtendienstes selbst vorübergehend den Überblick verloren zu haben, als die alten Kalten Krieger in Rente gehen sollten, um dank der Terrorhysterie von 9/11 dem Dienst eine zweite Jugend zu ermöglichen. Die Reform von 2004 baute den Nachrichtendienst großzügig aus und sollte ihn im Gegenzug zur einer modernen Verwaltung verfassungstreuer und parlamentarisch kontrollierter Spezialisten machen. Die nun bekannt gewordenen Alleingänge und Gesetzesverstöße gehen aber auf das Konto des neuen, reformierten Nachrichtendienstes, der damit in Wirklichkeit eine beachtliche Kontinuität und Traditionsverbundenheit an den Tag legt. Wenn aber der Nachrichtendienst nicht vor dem Regierungschef zurückschreckt und spätestens bei der nächsten TVA-Erhöhung wohl noch ungeheuerlichere Abhöraktionen publik werden dürften, dann stellt sich wieder die alte Frage, wie ein solcher Nachrichtendienst überhaupt mit der parlamentarischen Demokratie vereinbar ist. Immerhin stellte der parlamentarische Geheimdienstkontrollausschuss dem Nachrichtendienst seinen lächerlichen Persilschein in Sachen Bommeleeër im Frühjahr 2008 aus – also zeitgleich mit dem Wanzenangriff auf den Regierungschef. Wie ließe sich der alte Verdacht besser bestätigen, dass der Nachrichtendienst in Wirklichkeit den parlamentarischen Ausschuss kontrolliert? Dass der Premier bis nach dem Scheitern seiner Bewerbung um den Europäischen Ratsvorsitz seinen Geheimdienstchef noch ein halbes Jahr, nachdem ihm von dem Lauschangriff berichtet wurde, im Amt beließ, um ihn dann in Ehren in die Privatwirtschaft abziehen zu lassen, scheint Beobachter überrascht zu haben. Dabei zeigt so viel Rücksichtsnahme nur, wie bedrohlich selbst nach seinem Abgang ein nationaler John Edgar Hoover für die Polltik und damit auch für die parlamentarische Demokratie bleiben kann.
Véronique Poujol
Kategorien: Affäre Srel
Ausgabe: 23.11.2012