CSV-Wahlprogramm

Eine einmalige Mischung

d'Lëtzebuerger Land vom 01.04.2004

In der Schlussprozession vor vielen Jahren habe sein Vater, der Hüttenarbeiter aus dem Volk, mit dem Rosenkranz auf den wallfahrenden Staatsminister Pierre Werner gezeigt und ihn den bestverdienenden Mann im Großherzogtum genannt, erzählte CSV-Premier Jean-Claude Juncker am Samstag im ausschweifenden Plauderton seinem Parteitag in Niederanven. Daraufhin habe er sich verständlicherweise vorgenommen, selbst Regierungschef zu werden. Doch heute wisse er, dass noch 9000 Steuerzahler im Land besser verdienten als er. Er wolle aber nicht klagen und könne sich sogar vorstellen, dass Besserverdienende wie er ihre Gesundheitskosten erst einmal bis zu einem jährlichen Freibetrag von 750 oder 1000 Euro aus eigener Tasche trügen, bevor ihre Krankenkassen zu zahlen begännen.

Von einer derart drastischen Selbstbeteiligungspauschale und der sich dann mangels Masse abzeichnenden Ausweitung auf niedrigere Einkommensklassen steht kein Wort im am Samstag ohne Abstimmung den Kongressdelegierten vorgelegten Wahlprogramm CSV. De séchere Wee. Aber die Partei wird sich später einmal darauf berufen können, dass sie den Versicherten schon vor den Wahlen unauffällig reinen Wein eingeschenkt habe. Und auch die Wahlprogramme der Konkurrenz tun so, als würden nicht wenige Monate nach den Wahlen die Verhandlungen über die Sanierung der Krankenkassen wieder aufgenommen.

Vergebens sucht man im christlichsozialen Wahlprogramm nach dem Panikwort "Rentenmauer", der angeblich unausweichlichen Konsequenz des Rententisches. Damit die Rentenreserven nicht "für nichtfinanzierte Leistungsverbesserungen" aufgebraucht werden, werden "gegebenenfalls, nach der Ende 2005 gesetzlich vorgesehenen finanziellen Überprüfung, die sich aufdrängenden Anpassungen im Einklang mit den Beschlüssen des 'Rentendësch' vorgenommen" (S. 60).

1999 war das erste Kapitel des CSV-Wahlprogramms am Ende einer langen Koalition mit der Sozialpartei LSAP dem christlichsozialen Lieblingsthema Familienpolitik und verwandten Sachgebieten gewidmet. Fünf Jahre später geht eine Koalition mit der Wirtschaftspartei DP zu Ende, und nun beginnt das CSV-Wahlprogramm mit einem Kapitel Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Damit will die Partei sich aber nicht nur gegenüber dem Koalitionspartner positionieren, sie muss vor allem hastig die Bilanz der letzten fünf Jahre überspielen.

Denn die CSV ist mehr als die Erfinderin, sie ist die Verkörperung der Nachhaltigkeit. Seit fast einem Jahrhundert ist Sicherheit der Geschäftsfundus der Partei: die Sicherheit, dass alles beim alten und die Kirche im Dorf bleibt, und unter CSV-Herr-schaft nur soviel verändert wird, wie nötig ist, damit alles beim alten bleibt. Eine "einmalige Mischung aus Kontinuität und Innovation" nennt das Wahlprogramm (S. 5) diesen Gattopardismo. In diesem Sinn will die Partei notfalls sogar "das Scheidungsrecht fundamental erneuern" (S. 44), Fixerstuben einrichten (S. 55) und "die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften" respektieren (S. 44). Auch wenn Parteipräsident François Biltgen am Samstag ein antiklerikales Komplott ausgemacht hatte, bei dem die von Sozialisten, Liberalen und Grünen befürwortete "Homoehe das Fundament für eine Anti-CSV-Koalition" werden soll.

Doch das Vertrauen in die Sicherheit spendende CSV wurde während der zu Ende gehenden Legislaturperiode nicht von Mudschaheddin und Homejackern, sondern von a) Konjunktureinbruch und b) Arbeitslosigkeit nachhaltig erschüttert. Finanzminister Jean-Claude Juncker und Haushaltsminister Luc Frieden, die in der Tradition des harten "Werner-Frang" mit ihrer für das Land anscheinend unersetzlichen Finanzkompetenz wucherten, hatten die Stagnation und die dadurch verursachte Ebbe in der Staatskasse mehr als ein Jahr lang verschlafen.

Also verspricht das Wahlprogramm in einem Meer großspuriger Beteuerungen und voluntaristischer Detailreformen Steuerdumping, wie die Abschaffung der Vermögenssteuer für physische Personen zugunsten sich in Luxemburg niederlassender "Entscheidungsträger" (S. 13 und 20), Bedingungen zugunsten der "Niederlassung von ,Head-Quarter-Funktionen' in Lu-xemburg" (S. 13), eine staatliche Beteiligung an der Lehrlingsentschädigung (S. 14), die Umwandlung der Nationalen Kredit- und Investitionsgesellschaft SNCI in eine "Mittelstandsbank" (S. 16), "neue Passagierflugverbindungen", "weitere regionale und überregionale Gewerbezonen" (S. 9), die "Schaffung von mittelstandsspezifischen Gewerbezonen" (S. 16) und drei Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung (S. 10), damit die Wirtschaft wieder boomt. Für die Zeiten, wenn sie nicht boomt, sollen die Haushaltsüberschüsse nicht mehr alle in Investitionsfonds, sondern auch in einen "eigenen Reserverfonds" (S. 19) fließen, aus dem ordentliche Ausgaben bezahlt werden. Die mageren Jahre sollen also häufiger wiederkommen.

Als Volkspartei versucht die CSV seit jeher, es jedem recht zu machen. So bekommen die christlichsozial wählenden Geschäftsfrauen und Handwerkermeister im Mittelstandskapitel versprochen: "Die Lohnkosten dürfen nicht steigen, wenn Luxemburg in dieser Hinsicht konkurrenzfähig sein soll" (S. 18), so als gäbe es weder automatische Indexanpassungen, noch Tarifabschlüsse. Die Verkäuferinnen und Handwerker derselben mittelständischen Betriebe bekommen dagegen 17 Seiten weiter automatische Indexanpassungen, regelmäßige Mindestlohnanpassungen und eine an die "Produktivitätsentwicklung der Wirtschaft" gekoppelte Lohnentwicklung versprochen (S. 35). 

Zusammen mit der Wirtschafts- und Haushaltspolitik ist die Arbeitslosigkeit die andere große Schwachstelle der CSV-Bilanz. Angesichts des spektakulären Anstiegs der Arbeitslosenrate erweist sich das Gesetz von 1999 über den nationalen Beschäftigungsplan zu einem großen Teil als Reinfall. Auch das Wahlprogramm der CSV muss in gleich drei Abschnitten eingestehen, dass viele Maßnahmen des Gesetzes "nicht wirksam", "weitgehend unbekannt" seien und dass "noch nicht genügend Betriebe darauf zurückgreifen" (S. 30).

Also schlägt die CSV noch einige weitere Beschäftigungsmaßnahmen vor. Zur Erhöhung der beruflichen Mobilität unabhängig von der Qualifikation kündigt das Wahlprogramm an, "dass die ADEM spätestens ab dem 3. Monat einen Vertrag mit dem Arbeitssuchenden ab-schließt, in dem im Hinblick auf die persönliche Betreuung des Arbeitssuchenden die Rechte und Pflichten sowohl des Arbeitssuchenden wie auch der ADEM festgelegt werden" (S. 31). Was wohl soviel bedeutet, wie dass die Arbeitsuchenden nach drei Monaten vertraglich auf die Beanspruchung der gesetzlichen Zumutbarkeitsklausel verzichten sollen. Auch wird "eine Spezialprozedur eingeführt, welche verschiedene Berufsbereiche für jeweils ein Jahr für Nicht-EU-Bürger öffnet", deren Arbeitskraft in der Landwirtschaft, im Gaststättengewerbe, Sport oder der Forschung gebraucht wird. Um die "Abhängigkeit" von Grenzpendlern zu verringern, soll die "nationale Beschäftigungsquote […] durch gezielte Maßnahmen in Bezug auf Frauen und ältere Arbeitnehmer" erhöht werden (S. 32). Wie überhaupt das Rentenalter flexibel erhöht werden und der Staat Sozialaudits und Lohnzuschüsse bei durch Sozialaudits motivierten Lohnkosteneinsparungen finanzieren soll (S. 33).

Zur von der Tripartite diskutierten Verallgemeinerung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall heißt es lediglich, dass die CSV sich "auch weiterhin schrittweise zu einem einheitlichen Arbeitnehmerstatut privatrechtlicher Natur hinbewegen" wolle (S. 33). Ansonsten verspricht das Wahlprogramm wie sämtliche CSV-Wahlprogramme der letzten 20 Jahre irgendwie Reformen aller Arbeitsgesetze, die, ganz Volkspartei eben, gleichzeitig die Rechte der Beschäftigten ausweiten und die Rentabilität der Betriebe erhöhen sollen.  Schließlich wurde die Reform des Kollektivvertragsgesetzes oder der Gewerbeaufsicht auch in dieser Legislaturperiode nicht gestimmt.

 

 

 

 

 

Romain Hilgert
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