Auch Krankenpfleger können manchmal grausam sein. Am Neuropsychiatrischen Krankenhaus CHNP in Ettelbrück gibt es welche, die ihren Gehaltszettel Kollegen zeigen und sagen: „Guck mal!“ Wer hinschaut, kann feststellen, dass der andere seit vergangenen Herbst mehr verdient. Der Unterschied kann bis zu 900 Euro im Monat ausmachen.
Grund dafür ist, dass das CHNP bis 1998 eine Staatsverwaltung war und heute eine gemischte Belegschaft hat; manche sind Staatsbeamte, manche sind privat Beschäftigte. Die Staatsbeamten kamen pünktlich zum 1. Oktober 2015 in den Genuss der jüngsten Reformen im öffentlichen Dienst. Durch Änderungen am Beamtenstatut wurden bestimmte Laufbahnen aufgewertet, unter anderem die von Gesundheitsberuflern im Staatsdienst. Außerdem gesteht ein Gehälterabkommen, das noch die CSV-LSAP-Regierung mit der Staatsbeamtengewerkschaft CGFP abgeschlossen hatte, dem öffentlichen Dienst eine Einmalprämie von 0,9 Prozent und eine Punktwerterhöhung um 2,2 Prozent zu. Im Prinzip müssten die Änderungen für die privat Beschäftigten im CHNP ebenfalls gelten. Doch das geht nur über einen neuen Kollektivvertrag für den gesamten Spitalsektor.
Das CHNP ist ein extremes Beispiel. Es zeigt aber, unter welchem Druck ihrer Mitglieder die Gewerkschaften OGBL und LCGB stehen, am besten schon gestern einen neuen Kollektivvertrag auszuhandeln. Und nicht nur einen für alle Krankenhäuser, sondern ebenfalls einen für die Sozial- und Pflegebranche: für Maison-relais, Altenheime, Pflegedienste oder Behindertenwerkstätten. Auch die sind dem öffentlichen Dienst „assimiliert“ und Kollektivverträge vollziehen mit gewisser Verspätung Änderungen „beim Staat“ nach. Doch wie die Dinge liegen, müssen die Gewerkschaften für ihre Forderungen auf die Straße gehen.
Was nicht selten geschieht, wenn es um Kollektivverträge für Spitäler oder für den Sozial- und Pflegesektor (abgekürzt SAS) geht. Diesmal aber sind nicht nur zwei Kollektivverträge gleichzeitig in der Schwebe. War dabei früher meist strittig, wie ein neues Staatsbeamten-Gehälterabkommen übernommen werden sollte, ist das diesmal nicht das große Problem. Zumindest vom Kranken-hausverband FHL haben es OGBL und LCGB seit Donnerstag vergangener Woche sogar schriftlich, mit dem Juni- oder dem Juli-Gehalt könne den Klinikmitarbeitern die Einmalprämie von 0,9 Prozent überwiesen werden. Der Gehälter-Punktwert könne rückwirkend zum 1. Januar steigen. Dagegen schlug die FHL vor, erst einmal nicht mehr über die Laufbahnaufwertung zu reden und den aktuellen Krankenhaus-Kollektivvertrag bis Ende 2017 in Kraft zu lassen. Vor allem vom OGBL war das zu viel verlangt: Für die Laufbahnaufwertung kämpft er seit gut zwei Jahrzehnten. Nachdem die beiden Gewerkschaften diese Woche erklärt haben, die Kollektivvertragsverhandlungen seien im Krankenhaus- wie im SAS-Bereich „in der Sackgasse“, ist die Laufbahnfrage bei der Regierung angekommen.
Eigentlich gehört sie da wegen der Tarifautonomie nicht hin. Aber andererseits ist sie ein politisches Problem. Nicht erst seit dieser Woche, als OGBL und LCGB bekanntgaben, dafür am 4. Juni auf die Straße zu gehen.
Politisch ist die Laufbahn-Frage, weil die Statutenreform beim Staat „kostenneutral“ ausfallen sollte. Das war für die CSV-LSAP-Regierung eine Prämisse und das Gehälterabkommen mit Einmalprämie und Punktwerterhöhung Teil des Deals und ein letztes Geschenk, ehe die Gehaltskosten erst einmal nicht mehr weiter steigen sollten. Für Kostenneutralität sollte sorgen, dass manche Staats-Laufbahnen stark aufgewertet wurden, andere weniger stark. Außerdem führte die Statutenreform für Karriereanfänger eine dreijährige Anwartschaftszeit bei geringerem Gehalt ein.
Stark aufgewertet wurde zum Beispiel die Laufbahn von Allgemeinkrankenpflegern: Vor der Reform war diese Karriere schlechter eingestuft als die eines Rédacteur, zu dem das Abitur die Zugangsvoraussetzung ist. Dagegen trägt die für beamtete Krankenpfleger am 1. Oktober in Kraft getretene Aufwertung dem Umstand Rechnung, dass Krankenpfleger neben dem Abitur auch einen Berufsabschluss besitzen, und hat sie dem Rédacteur gleichgestellt. Das macht fin de carrière statt 370 nunmehr 470 Punkte und hat zu den Änderungen geführt, für die manche CHNP-Pfleger sich beneiden lassen.
Doch weder in Krankenhäusern, noch in Pflegeheimen, noch in Maison-relais gibt es einen Stage mit geringerem Gehalt für Berufsanfänger. Sondern es gelten kontinuierliche Laufbahnen, sobald die Probezeit abgeschlossen ist. Und während der Staat nicht viele Gesundheits- und Sozialberufler beschäftigt und deren Karrierenaufwertung in der Gehaltsmasse der Staatsdiener wenig ins Gewicht fällt, betreffen Krankenhaus- und SAS-Kollektivvertrag zusammengenommen 25 000 Personen. Der vorigen Regierung war durchaus klar, dass „Kostenneutralität“ kaum zu haben wäre, würde die Staatslaufbahnen-Reform eines Tages auf die assimilierten Branchen übertragen. Im Gesetzentwurf zur Beamtenstatutsreform schrieb sie andeutungsvoll: „Il y a lieu de préciser que le reclassement des carrières de fonctionnaires et d’employés d’État pourraient, par l’intermédiaire de nouvelles révendications salariales, avoir un impact financier sur le secteur d’aides et de soins, le secteur social (SAS) et le secteur des établissements hospitalier luxembourgeois.“
Fragt sich nur, wie weit die „finanziellen Auswirkungen“ reichen dürfen. Personalkosten machen bereits rund zwei Drittel der Ausgaben von Krankenhäusern und von Sozial- und Pflegeeinrichtungen aus. Bezahlt werden sie entweder ganz oder zum großen Teil aus der Krankenversicherung, der Pflegeversicherung oder der Staatskasse. Dass der Krankenhausverband und die fünf Vereinigungen von Sozial- und Pflegeeinrichtungen lieber nicht über die Laufbahnverbesserungen reden wollten, hat viele politische Gründe. Etwa, dass eine Pflegeversicherungsreform ansteht, deren Text noch niemand gesehen hat, die aber für mehr „Effizienz“ sorgen soll. Oder dass die Gesundheitsministerin seit ihrem Amtsantritt an einem neuen Spitalplan laboriert, von dem aber noch keiner sagen kann, was er kosten wird.
Und dann war da noch das Zukunftspak getaufte Sparpaket, das bis 2018 die Staatsbeiträge zur Sozial-versicherung um über 300 Millionen Euro kürzen helfen soll. Zu dessen Begründung erzählte der Sozialminister beispielsweise den Pflegebetrieben, dass man sie finanziell an die kürzere Leine nehme, werde sich mit der Zeit durch eine wachsende Zahl von Pflegebedürftigen ausgleichen. Bis sich im Sommer vergangenen Jahres herausstellte, dass deren Zahl in Wirklichkeit stagniert. Weil die Regierung gleichzeitig angekündigt hatte, es werde in der gesamten Sozialversicherung keinen Leistungsabbau, keine erhöhten Eigenbeteiligungen der Versicherten und Beitragserhöhungen nur im Notfall geben, verkauften Krankenhausbetreiber lieber „unrentable“ Labors und Altenheimbetreiber hoben prophylaktisch ihre Unterbringungspreise an, statt sich über neue Kollektivverträge erhöhte Personalkosten einzuhandeln, von denen später nicht klar wäre, wie sie gedeckt würden. Dass die Regierung am 28. November 2014 in der Bipartite mit den drei großen Gewerkschaften erklärt hatte, die Ergebnisse von Krankenhaus- und SAS-Kollektivvertragsverhandlungen zu „respektieren“, und anerkannte, die Karrierenaufwertung werde „finanzielle Auswirkungen haben“, sahen Krankenhausverband und Sozial- und Pflegevereinigungen weniger als Zusicherung, dass dann für sie der Geldhahn wieder aufgedreht würde, sondern als Carte blanche einer unbeholfen taktierenden und von ihren eigenen Reformvorhaben überforderten Regierung an die Gewerkschaften.
An diesem politischen Durcheinander liegt es, dass OGBL, LCGB und Gesundheits-, Sozial- und Pflegepatronat sagen, innerhalb ihrer Tarifautonomie kämen sie nicht weiter. Nun warten alle auf das Verdikt der Commission paritaire. Das ist ein Gremium, das eigentlich darüber entscheidet, wie viel Geld aus der Staatskasse zur Verfügung stehen soll, um unmittelbar mit dem Staat konventionierten Sozial- und Pflegedienstleistern erhöhte Personalkosten zu finanzieren. Geht es um Kollektivverträge, sollen diese Übung die Vertragspartner selber vornehmen. Aber nicht zu Unrecht sagen die Gewerkschaften wie ihre Verhandlungspartner, dass diese Kommission längst hätte tagen müssen. Denn es ist schlecht vorstellbar, dass staatlich konventionierten Betrieben etwas anderes zugestanden würde als denen, die unter den SAS-Kollektivvertrag fallen, und damit es keinen Streit gibt, müssten dieselben Regeln anschließend auch in den Spitälern gelten. Vor allem wird erwartet, dass die Commission paritaire entscheidet, in welchem Zeitraum die Laufbahnen aufgebessert werden sollen. Die CNS hatte im Herbst 2014 ausgerechnet, würden allein die Karrieren sämtlicher Allgemeinkrankenpfleger in den Spitälern aufgebessert, werde das 50 bis 60 Millionen Euro jährlicher Mehrkosten verursachen. Das ist utopisch. Es unterstellt, alle Karrieren würden mit einem Schlag aufgewertet und obendrein rückwirkend zum Berufseinstieg. Das haben OGBL und LCGB nie verlangt. Aber solche Trajektorien ausrechnen wollte zum Beispiel der Krankenhausverband nicht ohne Zutun der Kommision.
Die Vorentscheidung über die Laufbahnaufbesserungen der Commission paritaire zu übertragen, macht das Thema noch politischer als bisher: Ihr gehören neben Vertretern von OGBL, LCGB und CGFP sowie von den fünf Sozial- und Pflegepatronatsverbänden Delegierte sechs verschiedener Ministerien an, darunter einer vom Finanzministerium. Die Gewerkschaften sind mit zwei Stimmen pro Delegiertem in der Minderheit in dem Gremium, das seine Beschlüsse mit einfacher Mehrheit trifft.
Und bisher schien die Regierung wenig erpicht, die enveloppes financières für die zwei Kollektivverträge wesentlich mitzubestimmen. Der Sozialminister berichtete erst vergangene Woche auf der Krankenkassen-Quadripartite, seine Generalinspektion der Sozialversicherung habe ausgerechnet, die Laufbahnaufwertung in den Spitälern lasse sich über 30 Jahre strecken und dann nehme die Lohnmasse der Häuser nur um ein Prozent jährlich zu. Doch dieses Kalkül verstanden weder die Gewerkschaften noch der Krankenhausverband und beide haben es angeblich auch noch nicht schriftlich. Das Familienministerium, das federführend ist in der Commission paritaire, ließ sich wiederum bis Ende vergangenen Jahres Zeit, um sie durch eine großherzogliche Verordnung leicht zu reorganisieren. Erst in den nächsten Tagen soll die Kommission neu benannt werden, um sich in den kommenden Wochen zum ersten Mal über die Laufbahnfrage zu beugen.
Vermutlich aber wird eine Entscheidung fallen, mit der auch OGBL und LCGB werden leben können. Dass die Sozialkassen zurzeit neue Überschüsse vorweisen, dürfte das erleichtern. Obendrein bekommen die Gewerkschaften schon Druck von Mitgliedern, die meinen, die Beamtenreform sei nicht weit genug gegangen, weil sie nur die in Luxemburg erlangten BTS-Abschlüsse berücksichtigt. Nicht aber die aus Belgien und Frankreich, wo Krankenpfleger Bachelor und spezialisierte Pfleger Master werden. Dass OGBL und LCGB am 4. Juni nicht nur eine Kundgebung abhalten wollen, sondern einen Protestmarsch durch die Hauptstadt, an einem Samstag, wie am 16. Mai im Krisen- und Wahljahr 2009 bei „Gemeinsam gegen den Sozialabbau“, könnte die Regierung womöglich ebenfalls beeindrucken. Und am Ende profitiert davon noch eine Gruppe, die bislang völlig durch das Raster fiel: In Pflegeheimen, die einst kommunal waren, sind noch Krankenpflegerinnen- und -pfleger mit Gemeindeangestelltenstatut beschäftigt. Sie finden auf ihrem Gehaltszettel am Monatsende Summen vor, die kleiner sind als die in Kollektivverträgen festgehaltenen. Im Herbst soll die Reform „beim Staat“ auch auf die Gemeinden ausgedehnt werden. Wie genau, muss sich noch entscheiden.