In der Wahlnacht vor zehn Jahren hatte Jean-Claude Juncker angedroht, das Aktionskomitee für Demokratie und Rentengerechtigkeit von der politischen Bildfläche zu löschen. Seither bemüht er sich mit wechselnden Koalitionspartnern, die Wahlversprechen des Rentenkomitees zu erfüllen: erst die Abschaffung der Perequation, dann 1998 der 5/6-Pensionen im öffentlichen Dienst, 2001 die strukturellen Rentenerhöhungen im Privatsektor und die Mammerent. Aber er lief immer nur hinterher. Und während er die alte Tante CSV modernisierte, wuchs bereits bei den letzten Wahlen auf ihrer ungeschützten Rechten das Rentenkomitee zur rechtspopulistischen Protestpartei heran für all jene kleinen Geschäftsleute, Handwerker, Bauern und Angestellten, die sich benachteiligt und vom sozialen Abstieg bedroht fühlen. Von dort wird das ADR, einen Restsitz mehr oder weniger, auch am 13. Juni nicht verschwinden.
Dabei war der Rententisch in dieser Legislaturperiode auch eine Falle der anderen Parteien für das erstmals in der nationalen Verantwortung untergegangene ADR. Und tatsächlich spielen Renten diesmal keine Rolle im Wahlkampf. Sie stehen auch ganz am Schluss des ADR-Wahlpro-gramms, gerade noch vor den Frauen und Behinderten. Nach der Abschaffung des traditionellen Pensionssystems im öffentlichen Dienst unter der CSV/LSAP-Koalition und dann dem Rententisch der CSV/DP-Koalition hat das Thema Renten an Aktualität eingebüßt. So verspricht das ADR, das einst "5/6-Pension für jeden" forderte, in der Hauptsache ein Einheitsregime für den privaten und den öffentlichen Sektor als ideologisches Fernziel und bis dahin eine Runde Mammerent für alle (S. 51). Aber zu den aktuellen Wahlkampfthemen, wie Arbeitslosigkeit und Bildungspolitik, hat das ADR außer Polemischem wenig zu sagen und wird auch von den Wählern kaum für kompetent gehalten.
Deshalb ist es in diesem Wahlkampf vergleichsbar still um das ADR geworden, das verwzeifelt zwischen den Steinen des Pei-Museums, dem Kirchbergfonds und zuletzt dem Wohnungsbaufonds nach einem Skandal sucht, mit dem es sich wieder als Saubermann der Nation Gehör verschaffen könnte. Bis dahin ist die Partei mehr mit ihren Kandidaten als mit ihrem Programm im Wahlkampf präsent.
Etwa als Den neie Feierkrop am 7. Mai in einer eindeutig illustrierten Titelgeschichte berichtete, dass eine der ADR-Kandidatinnen für die Parlamentswahlen "einen Pornofilm gedreht" habe, der in der Homevideo-serie Privat veröffentlicht und "auch hierzulande im einschlägigen Handel erhältlich" sei. Denn irgendwie passt soviel Freizügigkeit nicht zur Parteilinie. Das ADR stellt sich als letzte Verteidigerin konservativer Familienwerte gegen Feminismus, Homoehe und andere Bedrohungen von Sauberkeit und Moral dar, um rechte CSV-Wähler zu ködern.
Obwohl Fraktionssprecher Gast Gibéryen im Parlament rettungslos ausrastete, als er von seinem liberalen Kollegen Xavier Bettel auf die Pornokandidatin angesprochen wurde, erzählen die führenden Männer der Partei inzwischen genüsslich herum, dass sie von dem Video wussten und es vor der Veröffentlichung der Kandidatenlisten inspizierten. Die Kandidatin habe dazu gestanden und den Vorschlag abgelehnt, die Öffentlichkeit zu meiden und sich sicherheitshalber zurückzuziehen. So dass das Ganze nun unter Jugendsünde" abgehakt wird, auch wenn der stolz zur Schau gestellte Intimschmuck eine ziemlich rezente Mode ist.
Allzu großen Schaden dürfte die Partei jedenfalls nicht nehmen, denn zumindest ihre männlichen Wähler dürften es als Pornokonsumenten eher lustig finden, wenn eine ihrer Kandidatinnen in einem Porno wirkte. Wenn der ADR-Abgeordnete Jean-Pierre Koepp wegen Alkohols am Steuer angeklagt wird, halten das ADR-Wähler, die es männlich finden, im Vollrausch ihr Auto zu bändigen, für den Ausdruck seiner Volkstümlichkeit.
Inzwischen ist jedoch ein weiterer Kandidat der Saubermännerpartei in die Schlagzeilen geraten, der seit Jahren in einen undurchsichtigen Prozess mit einem Kunden verstrickte Strassener Buchhalter und Steuerberater John Neuman. Er war 1999 im Zentrum als zwölfter gewählt worden, diesmal kandidiert er im Norden. Neuman hatte für eine im Lebensmittelhandel tätige Firma ein kompliziertes System von Beteiligungsfirmen konstruiert, das ihr vor allem erlauben sollte, Steuern zu sparen. Was politisch um so pikanter ist, als das ADR mit Wahlplakaten wie "Gläich Rechter fir all Bierger" sich ständig als Verteidiger des arbeitsamen Volkes gegen die Schlaumeier und Drückeberger darstellt.
Doch Neuman muss sich vor allem von seinem Kunden vorwerfen lassen, bei einem Hypothekardarlehen und einem Immobiliengeschäft 140 Millionen Franken unterschlagen zu haben. In erster Instanz bekam Neuman Recht, als das Gericht die Klage gegen ihn verwarf, weil sie zu obskur formuliert gewesen sei. Doch am Mitt-woch vergangener Woche berichtete RTL, dass das Berufungsgericht die Klage für prüfungswürdig hielt und der Prozess nun weiter geht. Für die Merkwürdigkeit der Geschäftsbeziehungen spricht jedenfalls, dass Neuman auch seinen Kunden vor Gericht zitierte, weil dieser ihn am 14. April 1999 um 14.20 Uhr in Schifflingen niedergeschlagen habe.
Das Erfolgsrezept des ADR bleibt die Gratwanderung zwischen Seriosität und dem berechneten Tabubruch, zwischen der staatlich anerkannten und subventionierten Partei und dem kontrollierten Verstoß gegen den guten Geschmack und die politische Korrektheit, damit es gleichzeitig zum politischen System gehören und es von außen kritisieren kann. Manchmal gelingt das, dann kommt es in das Kammerbüro und will sogar in den Staatsrat, manchmal misslingt das, wie mit der Valissen-Affäre oder dem kommunalen Ausländerwahlrecht in der Maastricht-Debatte.
Dass DP-Generalsekretär Henri Grethen in einem Interview die Frage nach einer möglichen Koalition mit dem ADR gestellt bekam und dann nach ihm auch alle anderen Parteien das ADR als Koalitionspartner öffentlich ablehnten, kommt dem ADR deshalb nicht nur ungelegen. Denn so konnte Gast Gibéryen auf dem Dommeldinger Wahlkongress am 24. April seine Partei als Opfer darstellen, die sich wieder von "Scheiterhaufen" und "Maulkorbgesetz" bedroht fühle. Und gleichzeitig bekommt sie ihr Image als etwas abseits stehende Antipartei bestätigt, mit der sich die wirtschaftlich und sozial zu kurz gekommenen, sich ebenfalls im Abseits fühlenden Protestwähler um so leichter identifizieren können.
Daneben bemüht sich die Partei, die sich immer wieder Demagogie vorwerfen lassen muss, aber auch, ihre Seriosität, wenn nicht gar Regierungsfähigkeit zu beweisen, indem sie dem Kongress ein umfassendes Wahlprogramm zur Kenntnisnahme - nicht zur Debatte und Abstimmung - vorlegte. Auch wenn es sich fleißig in allerlei Detailvorschlägen verheddert, bleibt der Grundton eine theatralisch düstere Beschreibung der Zustände im Land, einem Sumpf von Dekadenz und Korruption: "die etablierten Parteien kontrollieren die Institutionen", "selbst die Unabhängigkeit der Justiz (Staatsanwaltschaft) ist nicht ausreichend garantiert", und dann "die zahlreichen politischen Skandale" (S. 3) - "der Parteienklüngel hat viele öffentliche Verwaltungen überwuchert", und "die von den Altparteien CSV, LSAP und DP betriebene parteipolitische Vetternwirtschaft" sei verheerend (S. 5). An jedem Stammtisch herrsche die Überzeugung vor, "dass die Justiz nicht mehr unabhängig ist, dass die Dicken laufen gelassen und die Kleinen gehängt werden" (S. 7), während die Jugend "durch den Einfluss der elektronischen Medien, durch die Gefahren des Drogenkonsums" und natürlich Pädophile bedroht sei (S. 47). Doch "die Sicherheit der Bürger muss Vorrang vor einer falsch verstandenen 'Menschlichkeit' haben", und es "muß das Prinzip der Null-Toleranz' wieder zur Geltung kommen" (S. 9). Deshalb "werden wir die Prozedur des 'Schnellgerichts' einführen" - womit eine "comparution immédiate" und keine Fertigmahlzeit gemeint ist. (S. 10).
Natürlich ist man gegen den 700 000-Einwohnerstaat (S. 15), eine BTB-Straßenbahn (S. 16), die doppelte Staatsbürgerschaft (S. 37), "die Legalisierung von Drogen" (S. 51), "den PACS als Alternative zur Ehe" (S. 39) und "die unangemessene Vermischung" des Luxemburgischen "mit deutschen und französischen Wörtern" (S. 34), wie das ADR auch in seinem Europaprogramm "NEIN zum Beitritt der TÜRKEI!" (S. 5) schreit, um sich mit einigen beherzten Schlagworten von den anderen Parteien zu unterscheiden. Dafür ist es aber für "den Tierschutz als Staatsziel" (S. 25) und die Förderung "unserer bodenständigen Kulturvereine" (S. 33). Denn schlechte Menschen mögen keine Tiere und haben keine Lieder.
Das Wahlprogramm des ADR ist, wie die vorherigen, eine Mischung aus reaktionärer Ideologie und rechtsliberaler Wirtschaftspolitik. Vom Einfluss des NGL-Flügels der Partei ist trotz der Anwesenheit mehrerer NGL-Militanten auf den Kandidatenlisten kaum mehr etwas zu merken. Um so mehr verspricht das von Parteipräsident Robert Mehlen endredigierte Programm mittelständischen Unternehmern, Geschäftsleuten und Handwerkern, aber auch Landwirten und Winzern das Blaue vom Himmel. Deshalb ist das ADR gegen die Verallgemeinerung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (S. 28), und wer keine gemeinnützigen Arbeiten verrichtet oder sich weiterbilden lässt, soll keine Arbeitslosenunterstützung erhalten (S. 26).
Doch "der gesellschaftliche Stellenwert der familiären Kindererziehung [kann] gar nicht hoch genug eingeschätzt werden" (S. 38). Die Erziehungszulage soll verdoppelt werden, und Eltern sollen das Recht bekommen, "für ihre minderjährigen Kinder wählen zu dürfen" (S. 39). Nach der Mammerent das Mamme-Wahlrecht und alle Kinderstimmen für das ADR.