Zerbrechlich steht sie mit nackten Füßen auf dem Lackholz des Flügels. Der Kopf ist von einem dumpfen Lichtkegel beschienen. Der Rest ihres Körpers verschwindet im Dunkeln. Ihr Pianist Anthony schlägt die Tasten zur zaghaften Melodie des Liedes Over the rainbow aus dem Filmklassiker Wizard of Oz an. Ebenso sanft haucht sie dazu Edgar Harburgs Worte kindlicher Sehnsucht ins Mikrofon:
“Somewhere over the rainbow, way up high
And the dreams that you dreamed of,
once in a lullaby
Somewhere over the rainbow, blue birds fly
And the dreams that you dreamed of, dreams really do come true”.
Die Illusion dieser Szene mit dem Weltstar Judy Garland zerbricht nicht nur am Titel End of the rainbow des Dramas von Peter Quilter. Denn der Ausklang wirkt wie aus einer entrückten, jenseitigen Welt, in die die Sängerin und Schauspielerin vor einer Existenz aus Geltungs-, Drogen- und Tablettensucht geflohen ist und die die bisherige Handlung geprägt hat.
Marion Poppenburg inszeniert End of the rainbow mit Sascha Ley in der Rolle der Judy Garland, dazu Tim Olrik Stöneberg als Clubbesitzer, Manager und Verlobter Mickey, sowie Daniel Große Boymann als Garlands Pianist. In dieser etwa 90-minütigen Performance entführt das Ensemble das Publikum in die manisch-depressiven Schlussmonate des Weltstars, die insbesondere vom ständigen Eiertanz zwischen beruflicher Contenance und körperlicher Dekadenz geprägt sind. Zwischen diese biografischen Episoden fügen sich ausgewählte und teils auf die Dramaturgie abgestimmte Hits: For once in my life, Get happy, Come rain or come shine und – eben – Over the rainbow. Ley und Boymann schwenken auch und gerade deswegen zwischen musikalischer Performance und darstellerischer Kunst hin und her, weil beide Bereiche ineinander zerfließen, die Konzerte zugleich Teil der Handlung sind. Zusehends steigt Garland dabei von der stimmsicheren Diva zur torkelnden Mitleidsnummer ab. Mehrere Selbstmordversuche und alkoholische Rückfälle werden dabei vom selbstsüchtigen Mickey abgefangen, bevor dieser merkt, dass seine Geldquelle ohne Aufputschmittel nicht mehr auskommt, und sie regelrecht damit vollpumpt. Letztlich bleibt der homosexuelle Anthony wahrhaft an ihrer Seite, bevor der 47 Jahre alte Weltstar am 22. Juni 1969 an einer Überdosis Schlafmittel stirbt.
Mag die Dramaturgie bisweilen von motivischer Repetitivität geprägt sein, so ist dieser Umstand auf das Wechselspiel von Künstlertum und Décadence zurückzuführen und findet seinen Reiz in der klimatischen Steigerung. Im Programmheft wird der West-End- und Broadway-Autor als „Dramatiker des leichten Genres“ vorgestellt. Ohne auf diese Chiffre genauer einzugehen, darf dieser Abend im TNL jedoch als solide gesangliche und künstlerbiografische Unterhaltung gewertet werden.