Films made in Luxembourg @ Berlinale: Naked Opera

The Opera Ain’t Over

d'Lëtzebuerger Land vom 15.02.2013

Was ist wahr? An der Liebe? Die man bezahlt? Don Giovanni hat sich diese Frage nie gestellt. Der Opernheld aus der Mozartwelt rannte durch das Leben und nahm sich all das, was er bekam. An Liebe. Echter. Falscher. Offenherziger. Vorgetäuschter. An Liebe aus Spiel. An Liebe aus Macht. An Liebe aus Einsamkeit, purer Einsamkeit. Don Giovanni führte Buch über seine vielen Liebschaften, auf dass sie nicht in Vergessenheit geraten. Das tut auch Marc Rollinger. Er fotografiert und archiviert seine Liebhaber, die er findet, die er bezahlt. Opernhelden haben es immer einfach, Rollinger ist in einer wenigen komfortablen Situation. Die Liebe drängt sich ihm nicht auf, sie verfolgt ihn nicht, sie bleibt oft nur eine Aktennotiz. Abgeheftet. So zeigt es der Film Naked Opera, eine Produktion der luxemburgischen Amour Fou, die am vergangenen Wochenende ihre Premiere auf der Berlinale hatte.

Das Libretto: Marc Rollinger liebt Don Giovanni und jettet um die Welt, um die Städte zu besuchen, deren Opernhäuser das Mozart-Werk auf dem Programm haben. Es sind für ihn Fluchten aus seinem Leben in der luxemburgischen Vorstadt, dem Job und seiner Krankheit. Zu diesen Eskapaden lädt er sich Liebhaber ein, die nicht unbedingt sein Faible für das Singspiel teilen, wohl aber seine Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit erfüllen. Für einen kurzen Augenblick. Irgendwann glaubt er sein Glück gefunden zu haben – in einem Pornostar. Blond, groß, gut gebaut. Doch auch das bleibt eine Liaison. Eine Notiz. Akkurat und abgeheftet. Die Liebe. Mit Belegen im Aktenordner. Als Diashow auf dem Computer. Das ist das, was bleibt. Von Don Giovanni – ob legendär oder besungen – ist es eine Oper. Von Marc Rollinger ist es ein Film. Intim. Ouvertüre. Offen. Arie. Ehrlich. Heldenbariton. Hart. Schräg. Sopran. Verlogen. Verletzend. Duett. Verliebt. Allegretto. Zart. Finale. Alles nur Theater, gesungenes Theater.

Was ist also wahr? An der Liebe? Im Theater? Der US-amerikanische Soziologe Erving Goffman machte daraus ein Konzept. Aus der darstellenden Kunst. Nicht aus der Liebe. „Wir alle spielen nur Theater“, war seine Grundannahme. Auf der Vorderbühne geben wir den Menschen, den wir gerne sein wollen, den wir vorgeben, zu sein. Es ist die öffentliche Person, die wir darstellen, wann immer wir in sozialen Kontexten agieren. Auf der Hinterbühne bleibt die Persönlichkeit zurück, die der Mensch mit all seinen Erfahrungen, seinen Erfolgen und Niederlagen ist, geworden ist. Dazwischen ein Vorhang, der die Hinterbühne vor allzu viel Aufdringlichkeit schützt. Marc Rollinger wollte in Naked Opera stets und immer, in jedem Bild, in jeder Einstellung auf der Vorderbühne bleiben und sein eigenes Ich vor allzu großer Zudringlichkeit schützen. So hebt der Film an als Ouvertüre zu einer Persönlichkeit, die am Ende mehr preisgibt, als sie eigentlich will. Dies geschieht nicht in einer hämischen Art und Weise, indem sich der Film über den Protagonisten erhebt, ihn aber doch zur Schau stellt. Das ist das Metier.

Der Filmemacherin Angela Christlieb gelingt es, in wichtigen Momenten des Films den Schleier zwischen Vorder- und Hinterbühne zu heben, um den wahren Marc Rollinger zu zeigen. Abseits jeder Aufschneiderei, jedes prätentiösen Darstellens, jeden Scheins. Sie nutzt dazu Katalysatoren, die helfen, den Schleier zu heben. Ob das in einer Dokumentation erlaubt oder verboten ist, ist ein weites Thema, ein großes Feld. Cineastische Puristen werden sich gegen jedwede Regieanweisung in filmischen Dokumentationen wehren, dem Film alle Authentizität absprechen. Es ist ein schmaler Grat, den Christlieb geht. Die Erkenntnis, dass so mehr Hinterbühne ins Scheinwerferlicht kommt, mag diesen Schritt rechtfertigen und den Protagonisten vordergründig verletzen, weil dieser hintergründig nicht mehr die Deutungshoheit über sein eigenes Bildnis hat. Oder wie Rollinger es ausdrückt: „Wenn es der Wahrheitsfindung dient!“ Ob es dem Film an sich schadet, obliegt dem Betrachter. Das Berliner Publikum interpretierte Rollinger als das Klischee vom Luxemburger, das man in der deutschen Hauptstadt hegt und pflegt: Reich, in jeder Situation einen Crémant zur Hand, vielsprachig und – jetzt kommt’s – beziehungsunfähig.

Doch dieses Bild wird brüchig, als der Darsteller nach einer Berlinale-Vorführung ruft: „Das bin nicht ich!“ Vielmehr: „Das will ich nicht sein“, wenn er reklamiert, dass Szenen aus ihrem Kontext gerissen worden seien. Nicht jeder dieser Ausrisse ist gerechtfertigt, das bleibt als Kritikpunkt an dem Film zurück. Doch ist es auch selbstverständlich, dass eine Filmemacherin eine Auswahl treffen muss. Diese Auswahl ist immer subjektiv und mit jedem Filmschnitt, mit jeder Entscheidung für eine Einstellung entfernt sich der Film immer weiter weg von der Objektivität, die auch Naked Opera für sich beansprucht. Es ist die Frage nach der Authentizität, der dieser Film zu viel Raum lässt.

Jeder Mensch versucht etwas auf dieser Welt zu hinterlassen, weiterzuleben, sei es in seinen Kindern, wie mancher Berlinale-Beitrag zeigte, in seinen Werken oder indem er einen Baum pflanzt. Marc Rollinger entschied sich, einen Film zu hinterlassen, weil er sein Leben für filmreif befindet. Nun muss er damit leben, dass jetzt die Zuschauer dieses Leben interpretieren. Das ist der Preis dafür. Der Film frisst seine Darsteller. Der Zuschauer entscheidet über Erfolg und Niederlage, Liebe oder Verrat. Er hat den letzten Ton im Singspiel, den Applaus. Oder – wie es in der Oper heißt: The Opera ain’t over, until the fat lady sings. So ist es auch in der Naked Opera, von der zumindest bleibt, dass sie ein kurzweiliges Singspiel ist.

Naked Opera von Angela Christlieb, mit Marc Rollinger; 85 Minuten. Premiere in Luxemburg am 1. März, im Discovery Zone Filmfestival
Martin Theobald
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