Am 26. Februar gab der Schöffenrat von Junglinster bekannt, sich mit der Robert-Schuman-Klinikstiftung über den Bau eines „Centre de radiologie et de soins médicaux plurisdisciplinaire“ geeinigt zu haben. Der Ärzteverband AMMD war entrüstet: Diese Art Ärztezentrum wolle man verhindern. LSAP-Sozialminister Romain Schneider erklärte, die Pläne würden „eine Rote Linie überschreiten“ und „in keines der Szenarien passen, die am Gesondheetsdësch diskutiert werden“.
d’Land: Herr Dr. Hirsch, Sie sind bei der Fondation Hôpitaux Robert Schuman (FHRS) der Verantwortliche für das Projekt Junglinster. Demnach sind unter anderem Sie es, der das Luxemburger Gesundheitssystem umstülpen will.
Marco Hirsch: Das ist Unsinn.
Aber der Sozialminister ist gegen das Projekt in seiner derzeitigen Form. Und der Präsident des Ärzteverbands hat gesagt, „so etwas wollen wir verhindern“.
Romain Schneider kennt das Projekt nicht. Ihm haben wir es noch nicht vorgestellt. Wir haben es im Gesundheitsministerium präsentiert, weil es in erster Linie dieses Ressort betrifft. Ministerin Paulette
Lenert war damals leider erkrankt, aber ihre Beamten haben es gesehen. Wir haben bei dieser Gelegenheit betont, dass wir uns als Partner des Ministeriums verstehen. So war das übrigens immer.
AMMD-Präsident Alain Schmit sagte noch vergangene Woche, das Vorhaben werde vorangetrieben „von Leuten, die nicht genau wissen, was gebraucht wird“. Es müsse „von Ärzten ausgehen“, nicht von einer Stiftung.
Also, ich bin Arzt! Bis April war ich Mitglied im Verwaltungsrat der Fondation Hôpitaux Robert Schuman. Der Verwaltungsrat hatte mich schon 2017 beauftragt, Überlegungen zu leiten, wie die Schuman-Kliniken einen Teil ihres medizinischen Angebots näher zu den Leuten bringen könnten. Das Projekt Junglinster hat also eine Vorgeschichte. Man kann aber nicht behaupten, dass wir etwas Geheimes aushecken. Als Arzt spreche ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen darüber. Auch die AMMD kennt unsere Überlegungen.
Wie kann sie dann derart dagegen sein?
Ich denke, vor drei Monaten interpretierte sie den Wortlaut der Pressemitteilung des Junglinster Schöffenrats falsch. Er war auch etwas missverständlich. Geplant ist im Moment, dass unsere Stiftung nicht mehr tun würde, als Bauherr für Gebäude zu werden. Die würden auf einem Grundstück entstehen, das die Gemeinde zur Verfügung stellt. Die fertigen Gebäude würden zum einen von den Schuman-Kliniken genutzt, zum anderen an die Ärzte verkauft oder vermietet, die dort aktiv werden möchten. Die genauen Modalitäten müssen noch definiert werden, nicht zuletzt aufgrund der Entscheidungen am Gesondheetsdësch. Leider konnte man die Pressemitteilung auch so lesen, als werde die Stiftung dort selber ein medizinisches Zentrum betreiben. Dass dies die AMMD beunruhigte, verstehe ich. Aber das war nie unsere Absicht. Ich betone: nie.
Und was genau ist geplant?
Genau wissen wir das selber noch nicht. Insofern hat der AMMD-Präsident nicht Unrecht. Wir können es noch nicht wissen, weil das von den Diskussionen am Gesondheetsdësch abhängt, und am Ende von politischen Entscheidungen.
2019 sagte der damalige Generaldirektor der Schuman-Kliniken, Claude Schummer, in Grevenmacher werde eine „Krankenhaus-Antenne“ eingerichtet. Gibt es zwei Projekte?
2017 wurden wir von einem Unternehmer kontaktiert, der in Potaschbierg aktiv ist. Er bot an, mit verschiedenen Ärzten etwas Gemeinsames aufzubauen. Das lief zunächst nicht über die Schuman-Krankenhäuser oder unsere Stiftung, sondern auf individueller Ebene. Ich bin einer der Ärzte, die damals kontaktiert wurden, denn ich wohne im Osten. Später fanden Gespräche mit unserer Klinik statt. Die Frage war, ob es möglich wäre, einen Teil der Klinikaktivitäten auszulagern. Unter der vorigen Regierung konnte die Antwort nur Nein lauten. Es gab dafür keine politische Bereitschaft.
Das ist nun anders.
In der Tat. Anfang 2019 erklärte der neue Gesundheitsminister Etienne Schneider mehrfach, dass er offen für Dezentralisierungen sei. Also legten wir im Mai 2019 dem Gesundheitsministerium unsere
Ideen für ein Projekt Potaschbierg vor. Die Reaktion war ganz positiv. Das Ministerium gab zu verstehen, dass unsere Ideen seinen Vorstellungen sicherlich entgegenkämen. Wir stellten uns vor, dass ein Teil unserer Ärztinnen und Ärzte, sofern sie wollten, auch in Potaschbierg hätte arbeiten können. Sie hätten dort nicht nur Konsultationen angeboten, sondern auch Diagnostik und leichte Behandlungen. Für Letzteres hätten die Schuman-Kliniken medizinische Infrastruktur und Personal bereitgestellt. Das machte Sinn: Die medizinische Versorgung im Osten ist nicht optimal. Es gibt dort hervorragende Allgemeinmediziner, aber für Spezielleres oder in dringenden Fällen, die komplexer sind, müssen die Patienten nach Luxemburg-Stadt fahren. Dort aber erstickt sowohl die Notaufnahme des Hôpital de Kirchberg als auch die des CHL an Patienten.
Ist Potaschbieg vom Tisch?
Ja, aus verschiedenen Gründen. Zum einen existieren die Rahmenbedingungen für Auslagerungen nach wie vor nicht. Wir mussten unseren Partner immer wieder vertrösten. Zum anderen hatte er seine eigenen Vorstellungen. Er betreibt in Potaschbierg bereits ein Fitness-Zentrum und eines für Kinesitherapie. Er bot uns vor allem die Versorgung von Patienten mit Problemen am Bewegungsapparat an. Wir dagegen hätten das Spektrum am liebsten erweitert.
Was nun in Junglinster geschehen soll?
Im Prinzip, aber noch haben wir lediglich ein avant-avant-projet, würde ich sagen. Junglinster ist eine der Gemeinden, die ich kontaktierte, nachdem Potaschbierg nicht geklappt hatte. Manche Gemeinden reagierten gar nicht. Andere boten nicht die nötigen Voraussetzungen. Damit meine ich vor allem das Verkehrliche: So ein Centre médical braucht eine gute Anbindung an den öffentlichen Transport, aber auch genug Parkmöglichkeiten. Ein 75-Jähriger mit einem kaputten Knie kann nicht mit dem Bus zum Arzt kommen, er muss im Auto gebracht werden. Junglinster kann uns genug Parkplätze bieten. Und diese Gemeinde hat ein Einzugsgebiet von an die 40 000 Menschen. Junglinster wächst rasch; die Einwohnerzahl soll in recht kurzer Zeit von 8 300 auf über 10 000 zunehmen. Das Lyzeum ist groß. Von Junglinster ist es nicht weit nach Echternach, ins Müllerthal oder nach Grevenmacher. So gesehen, ist Junglinster ziemlich optimal.
Aber wieso dann all diese Widerstände – wenn Ihre Ideen so gut sind, der Standort toll ist und bei Schuman nichts Geheimes ausgeheckt wird?
Der AMMD-Präsident hat auch nicht ganz Unrecht, wenn er sagt, das Projekt gehe nicht von Ärzten aus. Ich kann keine Schuman-interne Ausschreibung machen und fragen: „Wer hat Lust?“, denn ich weiß noch nicht, was wir konkret werden anbieten können und in welchem Umfang. Das ergibt sich, wenn entschieden ist, welches Angebot es außerklinisch überhaupt geben darf. An diesem Punkt sind wir noch nicht. Ich weiß aber, dass unsere Pläne viele Ärzte interessieren.
Alain Schmit scheint vor allem zu stören, dass keine Ärztegesellschaft Initiator des Projekts ist und Betreiber des Junglinster Zentrums werden soll. Und die Rolle der Stiftung scheint noch vage: Bei einer Debatte im Parlament vor zwei Wochen über die Spitäler sprachen so manche Abgeordnete von „Immobiliengeschäften“, die nicht erlaubt sein dürften. Sie nannten zwar die FHRS nicht beim Namen, aber sie stand im Raum.
Das ist eine lange Frage. Zweck der Stiftung ist der Einsatz für die Gesundheitsversorgung. Sie ist die alleinige Aktionärin der Hôpitaux Robert Schuman S.A., also dient sie dieser Gesellschaft, die die Schuman-Kliniken betreibt. Außerdem fördert die Stiftung Innovation und Forschung.
In Junglinster würde die Stiftung bauen, sagen Sie. Und wenn sie dabei verdient?
Verdienen ist nicht das Ziel. Wir werden uns an das halten, was vom Gesondheetsdësch vorgegeben wird. Die Stiftung könnte Bauherr sein, sich also um den Bau kümmern. Angesiedelt würden anschließend zum einen ausgelagerte Klinikaktivitäten, zum anderen medizinische Aktivitäten, die Ärzte in ihren Praxen anbieten. Ich wiederhole: Die Klinikaktivitäten sollen von den Hôpitaux Robert Schuman betrieben werden. Die Praxisräume in Junglinster könnten an die Ärzte verkauft oder, wenn verschiedene dies vorziehen, vermietet werden. Es würde eine Besitzergemeinschaft von Ärzten entstehen, mit Syndic und allem, was dazugehört.
Die Stiftung könnte am Verkauf und an der Vermietung der Praxisräume verdienen.
Das ist nicht ihr Zweck. Falls sie verdienen würde, würde dieser Erlös reinvestiert, vor allem in die Hôpitaux Schuman. Die FHRS verdient kein Geld, um Geld zu verdienen. 2015 bezahlte sie zum Beispiel den Operationsroboter Da Vinci. Am Hôpital de Kirchberg werden 90 Prozent aller Prostatakrebse im Land behandelt. Bei radikalen Prostataresektionen kommt der Roboter immer zum Einsatz.
Der Kauf des Roboters war 2013 ein Vorstoß von Stiftung und Hôpital de Kirchberg, der nicht mit der CNS abgesprochen war. Um den Ersatz der chirurgischen Instrumente nach jeder zehnten Operation zu bezahlen, bat das HKB die CNS später um Geld.
Gut, es gibt solche Vorstöße, und die CNS hat Recht, wenn sie bei hochtechnischen Investitionen ihre Ausgaben im Griff zu halten versucht. Aber man muss die Realität sehen: Die Roboterchirurgie bewährt sich und erlaubt Resultate, die vorher nicht möglich waren. Das wird durch Studien und Referenzen belegt. Ein anderes Beispiel für Investitionen in innovative Technologie durch die FHRS ist der Kauf des Makko-Roboters vor zwei Jahren. Er bringt in der Endoprothetik für Knie und Hüfte ein erhebliches Plus an Genauigkeit.
Also könnten in Junglinster gewisse Immobiliengeschäfte stattfinden, aus deren Erlösen die Schuman-Krankenhausgesellschaft Spezialinvestitionen tätigen würde?
Wenn die FHRS verdient, dann fördert sie damit anschließend Aktivitäten. Wenn sie in Junglinster etwas aufbaut, dann garantiert nicht auf dem Rücken der Ärzte, und nicht mit der Absicht, das Centre médical eines Tages weiterzuverkaufen.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sollen nur Schuman-Ärzte an einem Centre médical in Junglinster tätig werden, keine von außen?
Im Moment denken wir nur an unsere Ärzte. Falls wir Ärzte von außen hinzunähmen, müssten sie sich vertraglich an die Hôpitaux Robert Schuman binden.
So dass die Freiheit Grenzen hätte. Vielleicht meint der AMMD-Präsident ja auch das?
Die Technik-Plattform in Junglinster würde von den Schuman-Spitälern bereitgestellt. Sie zu nutzen, wäre eine Klinikaktivität. Dabei würden die Schuman-Spitäler die Einhaltung von Qualitätsregeln und Behandlungsstandards garantieren und es stünde Klinikpersonal nach den Regeln des Kollektivvertrags bereit. Auf der anderen Seite würde es medizinische Aktivitäten geben, die die Ärzte als Freiberufler erledigen. In die würde keine Klinik ihnen reinreden. Zusammengedacht damit, dass die Ärzte keine Räume mieten müssten, wenngleich sie es könnten, wären sie in ihren Praxen so unabhängig wie alle anderen niedergelassenen Ärzte in Luxemburg. Die Vertragsbindung an die Schuman-Kliniken wäre aus verschiedenen Gründen wichtig. Einerseits sollten alle Ärzte in Junglinster Zugang zum IT-System der Klinik haben. Dafür muss man Vertragsarzt sein. Die Vernetzung mit der Klinik ist auch für die Behandlungskontinuität wichtig: Bekäme man es in Junglinster mit einem schwierigeren Fall zu tun, ließe sich problemlos ein Transfer in die Stadt organisieren.
Könnte in Junglinster für den Teil, der keine Klinikaktivitäten umfasst, auch eine Ärztegesellschaft tätig werden?
Noch gibt es keine Rechtsgrundlage für Ärztegesellschaften. Ich habe nichts gegen sie. Im Gegenteil: Ich finde es skandalös, dass unser Beruf einer der wenigen ist, die sich noch nicht in Gesellschaften zusammenschließen dürfen. Kann sein, dass die Ärzte in Junglinster sich eines Tages zu einer Gesellschaft zusammentun. Aber: Selbst wenn es eine Ärztegesellschaft schon gäbe, würde sie sich kaum um einen Bau kümmern. Dazu hätte sie die Zeit gar nicht.
Die AMMD spricht, wenn sie sich zu Dezentralisierung äußert, unter anderem von außerklinischer Chirurgie. Planen Sie sowas?
Nein. Darüber diskutieren wir im Moment überhaupt nicht. Was wir anbieten wollen, ist eine spezialisiertere Primärversorgung. Inklusive spezialisierterer Diagnostik, vor allem Radiodiagnostik, also IRM, Scanner, Röntgen. Von der Auslagerung von Chirurgie wird natürlich geredet. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass darüber noch in dieser Legislaturperiode entschieden wird, denn das könnte sehr umfangreiche Änderungen am Gesundheitssystem mit sich bringen. Das sind politische Fragen. Da halten wir uns völlig raus.
Haben Sie sich zum Projekt Junglinster mit dem CHL abgestimmt? Die Konkurrenz zwischen CHL und Schuman ist legendär. Das CHL könnte sich durch Ihre Pläne herausgefordert fühlen.
Diese Konkurrenz ist eine produktive. Wir wünschen uns ein starkes CHL, das CHL wünscht sich starke Schuman-Kliniken. Ich fände es gut, wenn alle Spitäler gemeinsam überlegen würden, was wer wo außerklinisch anbieten könnte. Mit dem Ausbau der Versorgung im Osten muss nicht Schluss sein. Im Westen des Landes ist sie auch nicht besonders gut.
Kann das Junglinster Zentrum zur Konkurrenz für Ärzte vor Ort werden? Die könnten ja denken: „Da kommt ein großer Akteur, der bietet viele Sachen unter einem Dach, sogar Radiologie. Da werden meine Patienten gleich dorthin gehen, statt zu mir.“
Solche Angstgefühle verstehe ich, aber eine Zusammenarbeit der Schuman-Kliniken mit den Kollegen im Osten besteht ja schon. Sie schicken uns ihre Patienten, wenn die Probleme haben, die spezialisierte Unterstützung brauchen. Es ist nicht mehr als das! Wir würden garantiert nicht nach Junglinster gehen, um Allgemeinmedizin zu machen. Es geht nicht darum, Patienten abzuzweigen. Die Terminkalender unserer Ärzte sind voll ausgebucht. Wir wollen einen Service näher bei den Leuten anbieten, auch näher bei den Generalisten.
Die staatliche Spitalplanung und der starke Krankenhaus-Kollektivvertrag dienen bisher als ein Bollwerk, das die Konkurrenz aus dem Ausland von Luxemburg fernhält. Sollte das Bollwerk bleiben?
Ja, denn unser Gesundheitssystem hängt davon ab. Würden wir die Tür öffnen, bekämen wir Privatmedizin. Das müssen wir verhindern. Es mag seltsam klingen, dass ich als liberaler Mediziner so einen sozialistischen Standpunkt vertrete. Aber ich möchte nicht, dass wir dahin kommen, dass wer es sich leisten kann, einen Arzttermin bekommt, wann es ihm passt, während ein Bauarbeiter ein halbes Jahr warten muss. Ich möchte den Sozialhilfeempfänger genauso gut behandeln wie den Bankdirektor, und ich meine, dass 90 Prozent meiner Kolleginnen und Kollegen das auch so sehen.