Die beiden CSV-Abgeordneten reagierten schnell: Zwei Tage, nachdem vergangenen Mittwoch am Europäischen Gerichtshof der „Showdown in Luxemburg“ im „Kampf um die Apotheke“ stattgefunden hatte, wie die Financial Times Deutschland anschließend etwas reißerisch schrieb, sandten Martine Stein-Mergen und Laurent Mosar eine parlamentarische Anfrage an Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo: „Est-ce que le jugement de la Cour de Justice aura des conséquences sur le droit d‘établissement d‘officines pharmaceutiques au Luxembourg?”
Über die Frage ist man im Gesundheitsministerium dem Vernehmen nach nicht sehr erbaut. In den zwei Streitfällen wurden letzte Woche die ersten Plädoyers gehalten, die Urteile werden erst Anfang kommenden Jahres erwartet. Politische Zukunftsoptionen zu formulieren fällt aber auch deshalb nicht leicht, weil nicht ganz fest steht, wo man dran ist mit der Luxemburger Apothekengesetzgebung im Verhältnis zu dem, was da am Boulevard Konrad Adenauer verhandelt wird.
Wieder einmal steht die Freiheit auf dem Binnenmarkt laut EG-Vertrag der den Mitgliedstaaten garantierten Regelungshoheit für ihre nationalen Gesundheitssysteme gegenüber: Ob auch Kapitalgesellschaften deutsche Apotheken führen dürfen, oder nur studierte Pharmazeuten, ist Thema der Auseinandersetzung zwischen dem niederländischen Apothekenbetreiber DocMorris und der saarländischen Apothekerkammer. Ob sich an solchen Unternehmen auch Arzneimittelhändler beteiligen dürfen, ist Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens, das die EU-Kommission Ende 2005 gegen Italien einleitete. In beiden Fällen geht es um „Fremdbesitzverbote“ an Apotheken, die in unterschiedlichen Ausprägungen in mehreren EU-Staaten existieren. Fallen sie, könnten Apothekenketten und Discounter, wie es sie schon in Großbritannien oder Holland gibt, EU-weit in die Märkte der etablierten Apotheken drängen.
Und mit dem Sektor hierzulande ist es so eine Sache: Sein Markt ist – von Grenzpendlerklientel abgesehen – auf eine potenzielle Kundenzahl von knapp einer halben Million beschränkt und die Branche folglich reguliert. Laut dem von 1973 datierenden Apothekengesetz ist die Eröffnung einer Apotheke nicht möglich ohne staatliche Konzession. Deren Vergabe an einen Interessenten, der ein studierter Pharmazeut sein muss, erfolgt in Abarbeitung einer Warteliste und nach einem Punktesystem, das Alter, Berufserfahrung, Qualifikation und wissenschaftliche Tätigkeiten erfasst. Es ist nicht unüblich, dass ein Pharmazeut mehr als 15 Jahre als Angestellter in einer Apotheke tätig gewesen ist, ehe er eine Konzession für eine eigene Apotheke erhält. So dass, ähnlich wie in Deutschland, ein klares Fremdbesitzverbot für Nicht-Pharmazeuten zu existieren scheint. Vielleicht hat allein die Tatsache, dass der Markt so klein ist, die EU-Kommission davon abgehalten, gegen Luxemburg ebenfalls ein Vertragsverletzungsverfahren anzustrengen?
Als DocMorris Anfang 2006 in der Saarbrücker City eine Apotheke übernahm, weil das saarländische Gesundheitsministerium fand, das deutsche Bundesrecht sei EG-vertragswidrig und die Niederlassung des Internet-Arzneimittelhändlers in einer ersten richtigen Offizin genehmigte, meinte Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo im August 2006, Anbieter wie DocMorris sähen den Luxemburger Markt „mit anderen Augen“ als den deutschen (Lëtzebuerger Journal, 10.8.2006). Schon die hierzulande geltende Mehrwertsteuer auf Medikamente von lediglich drei Prozent vermeide gravierende Preisdifferenzen wie etwa zwischen Deutschland und den Niederlanden.
Das dürfte zutreffen. Außerdem ist Luxemburg traditionell stark an den Vertrieb aus Belgien gebunden, wo eine strikte staatliche Preispolitik praktiziert wird, die der Handel nach Luxemburg weiter reicht. Im Gesundheitsministerium aber begegnet man auch der Auffassung, die EU-Kommission könnte Luxemburg zugute halten, dass sein Fremdbesitzverbot so klar gar nicht ist.
Denn von den zurzeit 91 Apotheken im Lande verfügen nur 65 über eine staatliche Konzession, die restlichen 26 sind „private“. Ganz hat das geltende Niederlassungsrecht für Apotheken sich nach wie vor nicht vom Recht des Ständestaats entfernt, nach dem Apotheker war, wer eine Apotheke besaß. Schon am 12. Oktober 1841, als Luxemburg die Königlich-großherzogliche Verordnung über die Organisation des Medicinalwesens erhielt und die Regierung „das Recht, die Zahl der Apotheken überhaupt oder an einzelnen Orten einzuschränken“, konnte das „nur in Folge des Aussterbens der Eigenthümer statt finden, d.h. wenn die Apotheke nicht mehr von dem Eigenthümer, oder dessen männlichen Descendenten oder für dessen Witwe oder unmündige Kinder von einem Provisor geführt wird.“ Das „Recht, die Apotheke zu halten“, fiel an die Erben, die es abtreten oder verkaufen konnten.
Diese mittlerweile 167 Jahre alten Bestimmungen sind nach wie vor in Kraft. Für die privaten so genannten „concessions réelles“ gilt das Apothekengesetz nicht. Ein Absolvent eines Pharmazie-Studiengangs, der einer Apothekerfamilie angehört, die eine private Konzession besitzt, muss sich kaum kümmern um Warteliste und Punktesystem. Auch eine Altersbegrenzung für die Ausübung der Apothekertätigkeit gibt es im Gegensatz zu den staatlich vergebenen Konzessionen natürlich nicht. Und keine Bestimmung regelt, an wen das „Recht, die Apotheke zu halten“, eventuell nicht verkauft oder abgetreten werden könnte. Dass ein Verkauf an Unternehmen wie DocMorris dennoch nicht möglich sei, davon ist Théo Thiry, der Präsident des Syndicat des pharmaciens überzeugt. Die juristischen Berater des Gesundheitsministers sind sich weniger sicher.
Daran schließt sich ein delikates Problem an: Würden die Märkte tatsächlich geöffnet für Ketten und Discounter, könnten die privaten Apothenerechte plötzlich nicht mehr viel wert sein. Noch sind sie es: Branchen-Insidern nach werden sie, da Knappheit an staatlichen Konzessionen herrscht, zum Preis von etwa einem Jahresumsatz einer Apotheke gehandelt, mitunter mehr. Damit können sie ohne weiteres zwei Millionen Euro kosten. Bereits 1905, als ein erstes Apothekengesetz verabschiedet wurde, hoffte die damalige Regierung, in absehbarer Zeit durch einen „rachat massif“ der privaten Rechte ein „régime unique“ schaffen zu können. Doch auch als 1973 das Votum des aktuellen Gesetzes anstand, hofften von der damaligen Regierung über den Staatsrat bis hin zum parlamentarischen Gesundheitsausschuss alle Beteiligten, „que le projet actuel ne représentera qu’une étape aussi brève que provisoire avant la réforme fondamentale“ zum „régime unique“. Damals aber fehlten nicht nur die Mittel zum Rechte-Aufkauf, man wollte auch das „statut futur de la pharmacie dans le cadre de la C.E.E.“ abwarten. Letztere Frage wird der EU-Gerichtshof Anfang nächsten Jahres voraussichtlich beantworten. Jene, ob Budgetminister Luc Frieden tatsächlich Staatsmittel zum Aufkauf bis zu 26 privater Apothekenrechte bereitstellen müsste, stellt sich komplexer dar. Er müsste es umso wahrscheinlicher, je deutlicher die Europarichter gegen eine Liberalisierung urteilen. Womöglich ist das ja auch ein Grund, weshalb sich unter den Regierungsvertretern von zehn EU-Staaten, die letzte Woche vor dem Gerichtshof Stellung nahmen, kein Luxemburger befand. Und es fragt sich, ob die CSV auf die Diskussion um die Zukunft der privaten Konzessionen so gut vorbereitet ist, wie es die schnell gestellte Anfrage Mosars und Stein-Mergens suggeriert.
Zumal eine Liberalisierung auch das Versorgungsschema mit Apotheken auf dem kleinen Markt obsolet machen würde. Wie in Österreich werden Staats-Konzessionen für neue Apotheken je nach territorialer Entwicklung vergeben. Doch zur Ausübung ihres Berufs sind Pharmazeuten vor allem vom Angebot an Apotheken abhängig: Von zuletzt 544 Pharmazeuten waren 390 in Apotheken angestellt. Und zwischen 1993 und 2008 wuchs die Zahl der Pharmazeuten im Lande viel schneller als die der Offizinen.
Neue Offizinen lässt das Gesundheitsministerium nach Studien einrichten, die die Entwicklung der Bevölkerung in den Gemeinden, deren Arbeitsplatz-Migration, den Umfang der medizinischen Tätigkeit und das Vereinsleben vor Ort erfassen. Nur als grobe Faustregel gilt „eine Apotheke auf 5 000 Einwohner“. Beschließt das Ministerium, eine neue Apotheke auszuschreiben, hat diese eine gewisse Garantie auf Rentabilität, aber auch auf einen Perimeter, in dem sie voraussichtlich ohne Konkurrenzstreit agieren kann. Dieses gewachsene Gleichgewicht wäre dahin, öffneten sich die Märkte für Ketten-Anbieter. Dass die nationale Politik Position ergriffe, wäre sicher wünschenswert. Denn einerseits geriet der damalige Gesundheitsminister Carlo Wagner in Bedrängnis, als er 2001 unvermutet ankündigte, „die starre Begrenzung“ der Konzessionen „auf eine gewisse geografische Zone“ aufzuheben. Ein paar Presseinterviews des Apothekersyndikats und parlamentarische Anfragen später ruderte er zurück und wollte nur interne Überlegungen angestellt haben.
Andererseits ist die Apothekenplanung, da sie nur auf ministeriumsinternen Leitlinien beruht, anfällig für Lobbyversuche. Ob ADR-Gruppenchef Gast Gybérien aus Frisingen sich neulich in einer parlamentarischen Anfrage erkundigte, wann Frisingen eine Apotheke erhalte, der damalige Oppositionsabgeordnete Mars Di Bartolomeo gegenüber Minister Wagner für eine Apotheke im LSAP-regierten Roeser warb oder der nunmehrige Oppositionsabgeordnete Wagner den derzeitigen Minister Di Bartolomeo auf neuen Apothekenbedarf hinweist.
Ein Zukunftsanbieter könnte vielleicht jener deutsche Drogeriemarkt mit dem blauen Firmenschild sein, der schon 20 Niederlassungen zwischen Ulflingen und Esch/Alzette besitzt und Geschäftsräume in allen Ortschaften ab 2 000 Einwohnern sucht. In Deutschland können seine Kunden, die Medikamente bei einer zum Unternehmen gehörenden Internet-Apotheke bestellt haben, diese später in der Drogerie abholen. In Luxemburg würde damit der Wechsel vom Ständestaat zur Internet-Apotheke endgültig vollzogen.