Zu den Herrschaftstechniken der vor anderthalb Jahren angetretenen ökosozialliberalen Koalition gehört der Versuch, Berufsorganisationen und Verbände, die Tripartite, verschiedene Institutionen und Verwaltungsstrukturen sowie die Presse mehr oder weniger diskret zu umgehen. So weit wie möglich verzichtet sie auf die traditionellen Vermittlungsinstanzen zwischen dem einzelnen Staatsbürger und dem Staat.
Als beispielsweise die Regierung ihren Sparhaushalt der neuen Generation aufstellte, beriet sie sich nicht, wie ihre Vorgängerinnen, mit den Sozialpartnern, denen sie bloß den fertigen Entwurf einige Stunden vor der Hinterlegung im Parlament vorstellte. Vielmehr beauftragte sie eine Werbeagentur damit, bunte Infografiken ihrer Finanzpolitik ins Internet zu stellen, damit jeder Einzelne sich selbst ein Bild davon machen sollte. Erst nach massiven Drohungen der Gewerkschaften war sie dann doch noch bereit, mit den Sozialpartnern über ihren Haushaltsentwurf zu diskutieren.
Zu den ersten Amtshandlungen, denen der liberale Premierminister Xavier Bettel große Bedeutung beimaß, gehörte, seine wöchentliche Pressekonferenz nach der Sitzung des Regierungsrats live im Internet zu übertragen. Das sollte die Gelegenheit sein, den einzelnen Wähler via Videokamera direkt anzusprechen, statt bei der Vermittlung der Regierungsbotschaft von einer Presse abhängig zu sein, die manchmal Mitteilungen anders auswählt, gewichtet oder kommentiert, als es der Regierung gerade lieb ist.
Was ist auch das für den 7. Juni angekündigte Referendum anderes, als der Versuch, bei Entscheidungen über verschiedene Verfassungsfragen das Parlament als Vermittlungsinstanz zwischen dem einzelnen Staatsbürger und der Regierung zu umgehen? Denn unter dem derzeitigen Kräfteverhältnis erwartet die Regierung sich von der Kammer keine befriedigende Antworten auf ihre drei Fragen. Stattdessen richtet sie sich mit einer Ausnahmeprozedur direkt an den einzelnen Wähler, um doch noch eine Entscheidung über Änderungen an der Wahlprozedur herbeizuführen.
In Anlehnung an die Körperschaften des auch hierzulande von der Französischen Revolution zerschlagenen Zunftwesens werden diese Vermittlungsinstanzen zwischen dem einzelnen Bürger und dem Staat in Frankreich „corps intermédiaires“ genannt. Sie spielen eine umso größere Rolle, als sie bislang zum Kern des Luxemburger Sozialmodells gehören, das seit einigen Jahren von liberalen Kritikern als „neokorporatistisches“ Hemmnis bei der Durchsetzung nicht immer populärer Reformpläne für den Staat und den Sozialstaat bekämpft wurde. Diese sind leichter in einer als direkte Demokratie dargestellten und unter Zuhilfenahme elektronischer Medien atomisierten Gesellschaft durchzusetzen als gegenüber organisierten Interessenvertretungen.
Selbstverständlich ist die Umgehung der „corps intermédiaires“ keine Luxemburger Erfindung. In Italien war es Premierminister Silvio Berlusconi, der unter Umgehung gesellschaftlicher Vermittlungsinstanzen und nach dem historischen Vorbild des Duce als charismatischer Führer eine direkte und möglichst starke emotionale Beziehung zu „seinem“ Volk aufbauen wollte. In Frankreich klagte der damalige Präsident Nicolas Sarkozy im Wahlkampf 2012: „Pendant cinq ans, j’ai pu mesurer la puissance des corps intermédiaires qui s’interposent parfois entre le peuple et le sommet de l’État, qui prétendent souvent parler au nom des Français et qui en vérité confisquent la parole des Français. Ce ne sont pas les Français qui sont rétifs aux réformes mais les corps intermédiaires qui n’aiment rien tant que l’immobilisme.“