Das kann man getrost Ironie des Schicksals nennen. Ein deutscher Rentner verlor vergangenen Mittwoch 20 000 Euro, als er nach einem Tankstopp an der deutsch-luxemburgischen Grenze seine Brieftasche auf dem Autodach vergaß. Er fuhr los, die 20 000 Euro verteilten sich auf den Grünflächen längs der Autobahn. Der Rentner, so die Nachrichtenagentur AFP, rief die Polizei zu Hilfe, die knapp über 18 000 Euro wieder einsammelte – plus die Unterlagen, denen zufolge der Mann nachweislich gerade ein Schwarzgeldkonto in Luxemburg aufgelöst hatte.
Vielleicht hatte der deutsche Rentner die Aussagen von Finanzminister Luc Frieden (CSV) falsch interpretiert, der am Dienstag nach dem Treffen der europäischen Finanz- und Wirtschaftsminister (Ecofin) noch beteuerte, nach Abschluss der neuen Abkommen über den Austausch von Steuerinformationen auf Anfrage sei es nicht zur Kapitalflucht aus Luxemburg gekommen; die wenigsten internationalen Kunden kämen nach Luxemburg, weil sie etwas zu verstecken hätten.
Als Frieden das sagte, stand er allerdings auch unter Druck, sich und die Position zu rechtfertigen, die er kurz zuvor im Namen der Luxemburger Regierung im Rat vertreten hatte. Die Finanzminister hatten über ein Anti-Betrugsabkommen diskutiert, das die EU-Kommission mit Liechtenstein abschließen will und durch das zwischen den EU-Staaten und dem Alpenfürstentum der Austausch von Steuerinformationen auf Anfrage etabliert werden soll. Und über ein Mandat, das der Kommission erlauben soll, ähnliche Verhandlungen mit Andorra, Monaco, San Marino und der Schweiz aufzunehmen. Eine Abstimmung gab es nicht, weil die schwedische Ratspräsidentschaft es vorzog, keinen direkten, sondern nur einen indirekten Eklat zu provozieren. Somit wurde die Problematik „Artikel 10“ der Zinsbesteuerungsdirektive umschifft, in der die Auslaufbestimmungen der in Luxemburg, Österreich und Belgien praktizierten Quellensteuer auf Zinseinkünften von nicht Gebietsansässigen festgelegt sind.
Dennoch trat Frieden, genau wie sein österreichischer Amtskollege Josef Pröll, nachher selbstsicher auf und sagte: „Wir konnten heute unsere Zustimmung nicht geben, weder zum Abkommen mit Liechtenstein, noch für ein Verhandlungsmandat mit weiteren Drittstaaten.“ Der Grund: „Würde mit Drittstaaten auf multilateraler Basis verhandelt, hätte das auf Basis einer im Jahr 2000 verhandelten und 2005 in Kraft getretenen Direktive den Übergang zum automatischen Informationsaustausch eingeleitet“, umschrieb Frieden den Prozess, der das Luxemburger Bankgeheimnis abgeschafft hätte. Denn stimmen die Drittstaaten Liechtenstein, Monaco, Andorra und San Marino sowie die USA erst einmal dem Informationsaustausch auf Anfrage mit der EU zu, müssten Luxemburg, Österreich und Belgien – nach einstimmigem Beschluss der EU-Finanzminister – zum automatischen Informationsaustausch übergehen, so lauten die Bedingungen, die das Luxemburger Bankgeheimnis derzeit noch schützen1.
Finanzminister Frieden wandert dabei auf einem schmalen Grad. Er weiß genau um die geringen Erfolgsaussichten seiner Mission, muss zuversichtlich klingen, so als ob es noch Hoffnung gebe, das Provisorium der Quellensteuer auf die Dauer zu erhalten. Denn lässt er einmal ehrlich Zweifel aufkommen, so wie kürzlich bei einem Empfang der Bankenvereinigung ABBL, als er Anwesenden zufolge erklärte, Luxemburg stehe sehr isoliert da und es sei sehr schwierig, den Ministerkollegen die Position Luxemburgs verständlich zu machen, geraten manche Banker in Panik, wie das Wort vergangene Woche berichtete – zum Entsetzen des Ministers, der stets bemüht ist zu erklären, es sei die gute Beratung, welche die internationale Klientel nach Luxemburg locke, nicht das Bankgeheimnis. Dabei hatte schon sein Vorgänger auf dem Posten des Finanzministers, Jean-Claude Juncker, kurz vor den Wahlen als seine „Tour“ in Esch Station machte, öffentlich und sehr resigniert ein zu spätes Eingreifen in Sachen Bankgeheimnis bereut; da waren die Bankiers wohl nicht anwesend. Sonst hätte ihnen schon früher auffallen müssen, dass Juncker und Frieden, die 2008 noch wagemutig behaupteten, der Liechtenstein-Skandal und seine Folgen, habe mit Luxemburg nichts zu tun (d’Land, 29.02.2008), das in der Zwischenzeit anders sehen.
Nun bleibt Frieden nichts Anderes übrig, als die Scherben der vergangenen verfehlten Verzögerungstaktik aufzukehren. Anstatt dass sich Luxemburg bereits 2008 für eine schnelle Reform der EU-Zinsbesteuerung und deren Ausweitung eingesetzt hat – und sich dadurch aktiv an deren Gestaltung hätte beteiligen können – versucht Frieden viel zu spät jetzt genau das. „Wir wollen ein Gesamtpaket sehen“, sagte Frieden am Dienstag. Erst müsse die Reform der Zinsbesteuerung abgeschlossen sein und dabei die Direktivenvorschläge über die administrative Zusammenarbeit der Steuerverwaltungen berücksichtigt werden, bevor man mit Drittstaaten verhandeln könne. Darüber sei man bereit konstruktiv zu diskutieren, stritt er eine Blockadehaltung ab und empörte sich über die „Salamitaktik“ des Steuerkommissars László Kovács und der 25 Finanzminister, die dem Abkommen zustimmen wollen. Sie würden versuchen, den automatischen Informationsaustausch „durch die Hintertür“ einzuführen. Viele der Kollegen im Saal seien sich gar nicht bewusst gewesen, was die „Artikel-10-Problematik“ für Luxemburg und Österreich bedeute, und diese Diskussion habe er am Dienstag erstmals angestoßen, so Frieden. Dabei ist Luxemburg selbst daran Schuld, dass diese Diskussion bislang nicht stattfand. Denn bei ihrer Ratstagung im vergangenen Juni nahmen die Finanzminister Schlussfolgerungen an, ersuchten darin „die Kommission nachdrücklich, rasch die Ergebnisse der Verhandlungen mit Liechtenstein über ein Abkommen zur Betrugsbekämpfung vorzulegen“. Der Rat nahm außerdem zur Kenntnis, „dass die Kommission beabsichtigt, Verhandlungsrichtlinien für Betrugsbekämpfungsabkommen mit Monaco, Andorra, San Marino und der Schweiz vorzulegen“. Und forderte „die Kommission außerdem auf, mit der Schweiz, Liechtenstein, Andorra, Monaco und San Marino Konsultationen über die Überarbeitung ihrer jeweiligen Zinsbesteuerungsabkommen mit dem Ziel aufzunehmen, die Anwendung gleichwertiger Maßnahmen im Einklang mit den internationalen Standards und den auf EU-Ebene vereinbarten Verbesserungen sicherzustellen“. Dass die Übergangsbestimmungen der Quellensteuer in diesen Schlussfolgerungen in einem gesonderten Absatz mit dem Wortlaut: „Der Rat erinnert daran, dass die Frage des Übergangszeitraums nach Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie 2003/48/EG vorbehaltlich der darin festgelegten Bedingungen noch erörtert werden muss“, abgehandelt wurde, ging Insidern zufolge auf die Bestrebungen der Quellensteuerländer – damit auf die Salamitaktik Luxemburgs – zurück.
Zudem warf Frieden der Kommission und den europäischen Finanzministerkollegen Inkohärenz vor. Luxemburg habe, wie von der EU und den G20-Ländern verlangt, den OECD-Standard, sprich den Informationsaustausch auf Anfrage akzeptiert, seither 19 bilaterale Abkommen über den Informationsaustausch auf Anfrage abgeschlossen und Anfang Oktober beim Parlament eine Gesetzesvorlage eingereicht, um deren schnelle Umsetzung sicherzustellen2. „Diese Abkommen entsprechen den G20-Forderungen“, so Frieden. „Man kann nicht im März sagen, wir wollen Austausch auf Anfrage, und im November sagen, wir wollen automatischen Informationsaustausch.“
Leider sind dabei gewisse Inkohärenzen in der Luxemburger Haltung zu beobachten. Denn Anfang April, als die Luxemburger Regierung vergeblich versuchte zu verhindern, dass dem G20 eine OECD-Liste mit Steuerparadiesen vorgelegt würde, auf der Luxemburg in der grauen Zone lag, regte man sich im Großherzogtum auf, die G20 sei ein loser Staatenbund, ohne rechtliche Grundlage, in der die meisten EU-Staaten nicht vertreten seien, weswegen sich Luxemburg an die in der EU getroffenen Entscheidungen halte. Das wirft die Frage auf, weshalb man nun, wenn auf EU-Ebene Entscheidungen getroffen werden sollen, lieber den G20-Forderungen nachkommt?
Es gebe zu viele offene Fragen, sagte Frieden am Dienstag, sprach von level playing field zwischen Finanzzentren innerhalb und außerhalb der EU. Denn gelte innerhalb der EU der automatische Informationsaustausch, während man sich außerhalb der EU nur auf Anfrage austausche, drohe europäisches Kapital die EU zu verlassen, so Frieden. „Wenn es Ziel [der Kommission und der 25 Finanzminister] ist, den automatischen Informationsaustausch einzuführen, wieso fordern sie das dann nicht in den Verhandlungen mit Drittstaaten? Wieso wird das dann nicht als oberster Punkt auf die Tagesordnung gesetzt?“, so Frieden. Denn Gegenstand der Mandate, welche Kommission im Hinblick auf Verhandlungen mit Monaco, Andorra, San Marino und der Schweiz verlange, sei lediglich der Austausch auf Anfrage, erklärte Frieden am Dienstag vor der Presse, blendete aber dabei aus, dass Luxemburg einer solchen Situation grundsätzlich schon mit der Zinsbesteuerungsdirektive zustimmte.
Außerdem beantwortete Frieden sich die offenen Fragen nach den Motiven von Kommission und quellensteuerfeindlichen EU-Staaten eigentlich gleich selbst: „Die 25 anderen Mitgliedstaaten haben keinen internationalen Finanzplatz wie [Luxemburg] und haben deshalb kein Interesse daran, dass ihre Bürger vom Binnenmarkt profitieren. Sie wollen, dass das Geld zuhause bleibt und dort investiert wird.“ Luxemburg wolle gemeinsam mit den europäischen Partnern nach den besten Instrumenten für den Kampf gegen Steuerdelikte suchen, so Frieden, der allerdings zugeben musste, dass der „Druck hoch ist“ und „es ein Problem bleibt“, wenn 25 EU-Staaten gegen die Luxemburger Quellensteuerregeln sind.In der Tat. Denn auch wenn verschiedentlich in Luxemburg die Meinung vertreten wird, dass Artikel 10 der Zinsbesteuerungsdirektive ziemlich wasserdicht ist, weil die USA noch ins Boot springen und die Finanzminister die Quellensteuer einstimmig abschaffen müssen, ist es fraglich, wie lange Luxemburg und Österreich noch dafür sorgen können, dass sich die Diskussion ohne Resultat im Kreis dreht, in dem sie verhindern, dass die in den Übergangsbestimmungen festgelegten Bedingungen jemals Realität werden.
Denn der gewitzte Steuerkommissar László Kovács spielt ohne Zögern das Katz-und-Maus Spiel der inkohärenten Aussagen mit. Er erklärte am Dienstag nach der Tagung einerseits, das wahre Motiv für die Blockadehaltung von Luxemburg und Österreich seien die Konsequenzen des Betrugsbekämpfungsabkommen zwischen der EU und Liechtenstein auf die Quellensteuerübergangsbestimmungen, „konkret: das Ende der Quellensteueranwendung“, beharrte aber andererseits darauf, es bestehe überhaupt kein Zusammenhang mit der Zinsbesteuerungsdirektive, dem Direktivenvorschlag über die administrative Zusammenarbeit etc. „Das Abkommen darf nicht zur Geisel anderer Belange werden“, so Kovács gegenüber der Presse, verschweigt aber, dass seine Bemühungen, mit Hongkong und Singapur einen automatischen Austausch zu verhandeln, fehlgeschlagen sind. Da es keine Einwände gegen den Inhalt des Abkommens gegeben habe, werde Kovács den Text bei einem der nächsten Treffen zur Abstimmung vorlegen. „Sie können nicht weiter immer Nein sagen“, so seine Warnung in Richtung Luxemburg und Wien. In der Tat fragt sich, wie lange Luxemburg das aushalten kann, ohne an anderer Stelle Opfer bringen zu müssen.Ob es schon im November oder erst im Dezember zu einer neuen Runde Schattenboxen kommt? Ob dann ein Paket aus Zinsrichtlinienreform und Zusammenarbeit der Steuerverwaltungen als oberster Punkt auf der Tagesordnung des Finanzministertreffens steht, wie sich es Luc Frieden nun angeblich wünscht? Und das EU-Liechtenstein-Abkommen tatsächlich so lange in der Warteschleife dreht, bis es hier Lösungen gibt? Das könnte Jahre dauern – kein Wunder demnach, dass man Luxemburg und Österreich vorwirft, auf Zeit zu spielen. Wie die Chancen dafür stehen, lässt sich derzeit nur schwer abschätzen. Bemerkenswert ist, wie wenig die internationale Presse auf den Vorfall einging, nachdem der ehemalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück nicht mehr bei den Treffen dabei ist und Kollegen und Presse einheizt. Damit hat Kovács – dessen Zeit im Kommissionssessel ausläuft – einen gewichtigen Mitstreiter verloren. Ein weiterer, der englische Finanzminister Alistair Darling, droht nach den baldigen Wahlen in Großbritannien ebenfalls die Front zu verlassen.
Allerdings sind die bislang in Sachen Bankgeheimnis eng mit Luxemburg, Österreich und der Schweiz verbündeten Liechtensteiner mäßig über die Blockade des Abkommens begeistert, denn ein Abschluss desselben würde die Beziehungen zur EU insgesamt deutlich verbessern.
1 In Artikel 10 Absatz (2) der Zinsbesteurungsrichtlinie heißt es wörtlich: „Der Übergangszeitraum endet mit dem Ende des ersten abgeschlossenen Steuerjahrs, das auf den späteren der beiden nachstehenden Zeitpunkte folgt: - den Tag des Inkrafttretens eines nach einstimmigem Beschluss des Rates geschlossenen Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem letzten der Staaten Schweizerische Eidgenossenschaft, Fürstentum Liechtenstein, Republik San Marino, Fürstentum Monaco, Fürstentum Andorra über die Auskunftserteilung auf Anfrage im Sinne des OECD-Musterabkommens zum Informationsaustausch in Steuersachen vom 18. April 2002 (im Folgenden „OECD-Musterabkommen“ genannt) hinsichtlich der in dieser Richtlinie definierten Zinszahlungen von im Hoheitsgebiet des jeweiligen Staates niedergelassenen Zahlstellen an wirtschaftliche Eigentümer, deren Wohnsitz sich im räumlichen Geltungsbereich der Richtlinie befindet, und der gleichzeitig erfolgenden Anwendung des in Artikel 11 Absatz 1 für den entsprechenden Zeitraum festgelegten Quellensteuersatzes auf derartige Zahlungen durch die vorstehend genannten Staaten; - den Tag, an dem der Rat einstimmig zu der Auffassung gelangt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika sich hinsichtlich der in dieser Richtlinie definierten Zinszahlungen von in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassenen Zahlstellen an wirtschaftliche Eigentümer, deren Wohnsitz sich im räumlichen Geltungsbereich der Richtlinie befindet, zur Auskunftserteilung auf Anfrage im Sinne des OECD-Musterabkommens verpflichtet haben.“
2 Durch die Gesetzesvorlage 6072 erhält die Steuerverwaltung ausdrücklich das Recht, Informationen bei Banken anzufragen, was ihr bislang nicht erlaubt war. Allerdings hat Luc Frieden darauf verzichtet, explizit das Strafgesetzbuch abzuändern, um den Bankiers zu erlauben, Informationen an die Steuerverwaltung weiterzugeben, ohne sich strafbar zu machen. Weil es sich hierbei um ein Spezialgesetz handele, hebe diese die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs automatisch auf, so die Überlegung. Gespannt darf man sein, ob das der Staatsrat ähnlich sehen wird.