Ob man wohl behaupten könnte, dass es privilegierte Arbeitslose gibt? Womöglich ja, wenn man die Situation von Susanne A.* bedenkt. Mitte 2008 wurde die Wissenschaftlerin mit Doktortitel als Forschungsmitarbeiterin an der Universität Luxemburg eingestellt. Für ihre Postdoc-Stelle, die an ein Forschungsprojekt geknüpft war, erhielt sie einen auf drei Jahre befristeten Vertrag (CDD). Als der im Frühjahr dieses Jahres endete, schied Susanne A. aus der Uni aus und wurde arbeitslos. Im Unterschied zu vielen anderen stellensuchenden Akademikern aber hat sie eine mittelfristige Perspektive bei ihrem alten Arbeitgeber. Nach einem Jahr „Karenzzeit“ wird die Uni sie erneut einstellen. So sei es abgemacht, sagt Susanne A. Wie die Dinge liegen, werde dieser Job zwar ebenfalls nur befristet sein, aber so sei das nun mal: „In Europa arbeiten viele Forscher unter ziemlich prekären Bedingungen.“
Wie die Universität mit einem per Zeitvertrag Angestellten vereinbaren kann, nach einer Weile Arbeitslosigkeit gebe es wieder einen Job, ist natürlich eine interessante Frage. Die Antwort hängt zusammen mit dem am 1. Oktober 2008 in Kraft getretenen Gesetz über das „Forscherstatut“. Es machte die in der öffentlichen Forschung Tätigen zu Arbeitnehmern mit Arbeitsvertrag und Pensionsanspruch; das gilt seitdem auch für Doktoranden, die in der Alltagssprache manchmal noch heute mit besonders hochqualifizierten Studenten verwechselt werden, obwohl sie längst Akademiker sind. Ehe das neue Gesetz in Kraft trat, wurden in der öffentlichen Forschung hierzulande nicht nur Doktoranden, sondern auch Forscher mit Doktortitel auf einer Postdoc-Stelle nicht mit einem Gehalt, sondern mit einem Stipendium bezahlt.
Eine weitere große Neuerung war der spezielle Forscher-Zeitvertrag: Statt einer Beschäftigung mit Stipendium, die auch für Postdoc-Forscher für maximal drei Jahre möglich war, schuf das Gesetz ausnahmsweise einen befristeten Arbeitsvertrag, der bis zu fünf Jahre dauern und in der Zwischenzeit zweimal verlängert werden kann. Dagegen sind Zeitverträge sonst auf höchstens zwei Jahre begrenzt; zwei Verlängerungen inklusive.
Weil das neue Gesetz für die schon vorher an der Universität beschäftigten Forscher mit maximal drei Jahren Stipendium ganz neue Bedingungen schuf, habe die Uni-Leitung diese Personen vor folgende Alternative gestellt, berichtet Susanne A.: „Entweder man entschied sich, nach Ablauf der drei Jahre seinen Vertrag auf fünf Jahre verlängert zu bekommen, oder nach Ablauf der alten Anstellung eine Karenzzeit anzutreten, die ein Drittel der im alten Verhältnis verbrachten Zeit entspricht, und anschließend erneut eingestellt zu werden.“ Su-sanne A. entschied sich für Option Nummer zwei, und wenn sie im kommenden Jahr erneut als Forscherin zur Uni stößt, erhält sie womöglich einen Fünfjahresvertrag.
Sollte aber ein befristet Angestellter, dem man nach einer Karenzzeit die Wiederanstellung verspricht, nicht besser gleich einen unbefristeten Vertrag (CDI) erhalten, statt eine Zwangspause in privilegierter Arbeitslosigkeit? Zumal Susanne A. kein Einzelfall ist. Immer mehr befristet angestellte Forscher würden in die Karenzzeit geschickt, hat die Personaldelegation der Universität festgestellt. Und ganz offensichtlich ist diese Praxis nicht auf jene beschränkt, die schon vor Inkrafttreten des Gesetzes über das Forscherstatut an der Uni tätig waren: Alexander K.*, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter, befindet sich derzeit schon in seiner zweiten Karenzzeit und hofft nach deren Ablauf auf seine dritte Anstellung. Wahrscheinlich werde die wieder nur befristet sein, meint er. „Unbefristete Verträge sind knapp an der Uni, sie werden im Vierjahresplan vorausgeplant.“
Das Gefühl, schlecht wegzukommen, hat Alexander K. aber nicht nur, weil er sich von CDD zu CDD hangelt. Sondern auch, weil er meint, in seiner bisherigen Forschertätigkeit einiges zu einer eventuellen Festanstellung beigetragen zu haben: „Ich habe unter anderem Kontraktforschungsaufträge bearbeitet. Die wurden von den Auftraggebern bezahlt, ich habe meine Stelle dadurch also zum Teil selber finanziert.“
Hinzu kommt: Anfang des Jahres wurden an der Uni neue Gehaltstabellen für wissenschaftliche Mitarbeiter bekannt gegeben, die für Verträge gelten, die ab dem 1. April dieses Jahres abgeschlossen werden. Die Wochenzeitung Woxx rechnete am 25. Februar vor, dass ein wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Doktortitel monatliche Brutto-Gehaltseinbußen von 800 bis 1 800 Euro hinnehmen müsse. Das ungefähr wäre wohl auch die Perspektive für Alexander K. an seinem dritten Posten an der Uni.
Auf die Anfrage des Land, ihre Personalpolitik mit aufeinderfolgenden Zeitverträgen nach Karenzzeit zu erläutern, ging die Universitätsleitung bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht ein. Aber arbeitsrechtlich ist es wahrscheinlich in Ordnung, nach Pausen CDD auf CDD zu vergeben – zumal das Gesetz über das Forscherstatut noch eine weitere Ausnahmeregelung schuf: Im Gegensatz zum sonst üblichen Recht muss in Forscher-Zeitverträgen nicht vermerkt sein, worin die „tâche précise et non durable“ besteht, die einen Zeitvertrag rechtfertigt. Im Grunde sind seitdem die Voraussetzungen für prekäre Forscherarbeitsverhältnisse gegeben.
Natürlich war das damals nicht offiziell so gedacht. Bis zu fünf Jahre CDD sollten eine Innovation sein. Zum Beispiel sollten sie erlauben, dass für eine Doktorarbeit, wie das häufig vorkommt, tatsächlich vier Jahre Zeit zur Verfügung stehen und nicht nur drei. Und dass im Anschluss an die Doktor-Phase noch eine ein-, vielleicht sogar eine zweijährige Mitarbeit an einem Forschungsprojekt angehängt werden kann. Für diese fünf Jahre schuf das Gesetz auch neue, ansprechende Gehaltsbedingungen: Einem Doktoranden würde die jeweilige Forschungseinrichtung ein Grundgehalt zahlen, das beim aktuellen Indexstand rund 38 000 Euro jährlich beträgt, vom nationalen Forschungsfonds aber auf 54 000 Euro aufgestockt wird. Für die Postdoc-Phase werden, FNR-Beitrag inklusive, knapp 79 000 Euro gezahlt.
Doch nur die – damalige – Arbeiter- und Privatbeamtenkammern warnten vor einer „Banalisierung“ des Zeitvertrags für Forscher. Und zwar für den Fall, dass sich nur wenige junge Luxemburger Wissenschaftler dafür entschieden, sich in der großen, weiten Welt an immer neuen Orten immer besser verwirklichen zu wollen und auf dem kleinen heimischen Forscher-Arbeitsmarkt keinen Job nachfragten. Vielleicht ist heute genau diese Situation gegeben und die Lage junger Forscher vergleichbar mit der junger Berufsanfänger bis 24 Jahre, die laut Statec-Daten, wenn sie einen Job haben, dann zu 36 Prozent einen mit Zeitvertrag?
Dann aber könnte sich politischer Klärungsbedarf angesichts der vielen CDD-Verträge an der Uni stellen. In der langen Debatte zum Gesetz über die öffentlichen Forschungszentren in den Achtzigerjahren entschied man sich zwar in Luxemburg gegen eine Beamtenforschung wie in Frankreich, wo schon Assistenzprofessoren ihre Stelle auf Lebenszeit erhalten, während in Luxemburg auf vergleichbaren Posten häufig nur ein CDD winkt. Doch der Forschungsminister, der 2008 auch Arbeitsminister war, erklärte bei der Lesung des Gesetzentwurfs zum Forscherstatut am 8. Juli 2008 im Parlament: „Bei der Uni a bei den CRPe soe mer: Dir kënnt effektiv eng éischte Kéier een huele fir fënnef Joer, fir en ze testen. Mä duerno, entweder ass e gutt oder en ass net gutt. Wann en net gutt ass, dann ass en net gutt, mä wann e gutt ass, dann däerft Der net duerno nach eng Kéier verlängeren a verlängeren a verlängeren, mä da musst Der him och en CDI ginn.“
Wie die heutige Praxis an der Uni sich damit verträgt, „überblicke ich derzeit noch nicht“, sagt François Biltgen (CSV) dem Land. Sein Eingreifen werde sich jedoch darauf beschränken, mit der Uni und den Forschungszentren die Personalpolitik gegenüber Forschern, die schon im Beruf stehen, zu erörtern. Er habe „nicht das Gefühl“, dass die Uni CDD auf CDD mit Karenzzeit vergibt, „um Geld zu sparen“. Er mische sich in diese Frage aber ausdrücklich nicht ein: „Die Uni ist autonom.“ Falls ein Forscher meint, nicht richtig behandelt zu werden, sollte er das vor dem Arbeitsgericht klären.