10. Dezember: Catherine Ashton, Außenministerin der EU, fordert die sofortige Freilassung von Liu Xiaobo, dem diesjährigen Friedensnobelpreisträger, aus chinesischer Haft. 17. Dezember: Catherine Ashton präsentiert dem Rat ein Strategiepapier zu China. Sie will die Beziehungen der EU zu China auf ein neues Niveau heben. Die EU, so ihr Credo, müsse in Asien mehr Einfluss gewinnen, um von den USA weiterhin als eine globale Macht anerkannt zu werden. Der Schlüssel für die neue Ebene sei die Aufhebung des europäischen Waffenembargos gegenüber China. Ashton trällert damit nur die bekannte Melodie des pazifischen Jahrhunderts, das auf das atlantische folge.
Das Waffenembargo besteht seit 21 Jahren. Allein dieser Zeitraum spricht dafür, eine Revision zu prüfen. Ashton reklamiert für diese Prüfung Realismus, sie will darüber nachdenken, wo die europäischen Interessen gegenüber China liegen und nicht darüber, warum das Embargo einst verhängt wurde. 7000 (nach Angaben der Nato) wehrlos niedergeschossene chinesische Demokraten sind jedoch eine schwere Hypothek. Das Massaker von Tian’anmen 1989 ist bis heute unvergessen. Vor allem deshalb, weil sich seitdem an der chinesischen Innenpolitik und am Primat der Kommunistischen Partei Chinas prinzipiell nicht viel geändert hat. Gewaltig geändert hat sich dagegen seit 1989 das chinesische Bruttoso-zialprodukt. Und damit die Rolle Chinas in der Welt.
Aus Ashtons Blickwinkel ist es nicht China, das unter Druck steht, sondern die Europäische Union. Sie muss jetzt zusehen, dass sie mit dem Entwicklungstempo Chinas mitkommt, nicht umgekehrt. Damit ist eine wichtige Phase in den gegenseitigen Beziehungen zu Ende. Nicht mehr die Lehrmeister der vergangenen 20, 30 Jahre geben den Ton an, sondern ein Lehrling, der ausgelernt hat. China beugt sich nicht mehr. Es ist stark geworden. Es weiß um seine Stärke. Der Westen spürt diese Macht: in Afrika, auf den Rohstoffmärkten und bei den Klimaverhandlungen. Die USA und die EU fordern dann gerne die globale Verantwortung ein, die China tragen müsse. Man wünscht sich China explizit als Partner der Weltpolitik. Damit steckt die westliche Welt in einer Zwickmühle.
Technologisch ist China längst nicht mehr auf Waffenlieferungen des Westens angewiesen. Wer die Mondfahrt anpeilt, hat sich bisher auch auf Erden stets auf höchstem technischen Niveau bewegt. Das Waffenembargo macht China aber für alle sichtbar zu einem Außenseiter, ja zu einem Paria in der Welt der militärischen Sicherheit. Im Club der Mächtigen boykottiert man sich nicht, dort zieht man an einem Strang. Will der Westen China in diesen Club aufnehmen – und sei es auch nur aus Sorge um die eigene Sicherheit – kann man das nur gleichberechtigt tun. Ein Waffenembargo ist das Gegenteil.
Ashton hat recht. Die EU muss die Beziehungen zu China neu ordnen. An der Hürde des Embargos entscheidet sich, ob der Westen China dauerhaft in seine Strukturen einbinden kann. Ashton und ihre Ministerratskollegen sollten dabei beim Waffenembargo nicht stehen bleiben. Sie müssen grundsätzlich klären, wie man mit dem chinesischen Paradox fertig wird, bei dem eine kommunistische Herrschaft von einem modernen Manchesterkapitalismus getragen wird, der Millionen Menschen aus der Armut holt. China ist heute weltweit zum Modell geworden. Es hat das westliche Ideologiemonopol geknackt. Nicht mehr die USA, diese Mischung aus Luxus, Freiheit und Abenteuer ist das Modell der Zukunft, sondern eine Politik, die im Namen wirtschaftlicher Entwicklung der Gesellschaft einen unerbittlichen Harmoniestempel aufdrückt.
Von dieser Harmoniepolitik geht mit jedem gesteigerten Bruttosozialprodukt eine stärkere Sogkraft aus. Zur Verleihung des Friedensnobelpreises hat China schon mal alle seine Register gezogen, um möglichst viele Staaten zu einem Boykott der offiziellen Zeremonie zu bewegen. Die EU musste ihr ganzes Gewicht einsetzen, um zum Beispiel Serbien doch noch von der Teilnahme zu überzeugen. China kämpft mit harten Bandagen bereits auf dem europäischen Kontinent und es wird seinen Einfluss weiter ausbauen. Zurzeit steigen die chinesischen Direktinvestitionen in Europa. China sucht sich dabei gezielt „schwächere“ Mitgliedstaaten der EU, wie Griechenland und Irland als Stützpunkte aus, aber eben auch Serbien.
Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: China soll und muss sich wirtschaftlich weiterentwickeln. Es soll und muss sich zum technischen Premiumanbieter mausern und es soll ein gleichberechtigter Partner in einer gleichberechtigten Wirtschaftsgemeinschaft werden. Die EU darf jedoch, um Schaden von sich abzuwenden, den totalitären Charakter der chinesischen Herrschaft nicht wegretuschieren. Denn die andere Seite der Medaille des Waffenembargos ist der Mangel an innerer Demokratie. Mit Diktatoren kann man immer nur bedingt und auf Zeit vertrauensvoll zusammenarbeiten. Beendet die EU das Waffenembargo, muss China deshalb einen Preis dafür zahlen. Ashton sollte unverschämt pokern. China könnte unter anderem in Nordkorea zeigen, ob es an mehr globaler Verantwortung Interesse hat.
Sophie Mosca
Catégories: L'Union
Édition: 23.12.2010