D’Land: Wie war Ihre erste Live-Sendung?
Caroline Mart: Daran erinnere ich mich nicht mehr. Aber während der zweiten Livemoderation des Journal hat der Prompter, der damals noch manuell angekurbelt werden musste, nicht richtig funktioniert. Da kam nichts. Bis ich meine Notizen fand, verging eine gefühlte Ewigkeit. Dadurch habe ich gelernt, gut vorbereitet zu sein.
Sie machen seit 38 Jahren Journalismus in diesem kleinen Land. Ihr Familienname ist eng mit der DP verknüpft. Wie haben Sie die nötige Distanz gehalten an einem Ort, an dem jeder per Du und Interessenkonflikte allgegenwärtig sind?
Zum Glück ist man nicht in Kollektivhaft mit der eigenen Familie. Nur weil mein Vater oder meine Cousine in der DP sind, muss ich nicht die gleichen Überzeugungen teilen. Es ist eine Frage der Haltung. Für mich war Politik als Kind omnipräsent, und auf meine Art und Weise bin ich politisch aktiv, aber es war für mich auch immer klar, dass ich mich nicht parteipolitisch engagiere. Ich muss wissen, auf welcher Seite ich stehe: Ich war zehn Jahre im Ombudscomité für die Rechte des Kindes und Gründungsmitglied von Handicap International Luxemburg, das war’s. Nur weil ich eine Politikerin duze, heißt das nicht, dass ich ihr deswegen weniger kritische Fragen stelle. Auch in Berlin sind Hauptstadtjournalisten in einer Blase, in der sich jeder kennt. Das Spiel zwischen Politik und Journalismus, wer wen beeinflusst und wer aus wem welche Information herausgekitzelt bekommt, gibt es überall.
Mit der deutschen Hauptstadt lässt sich die Medienwelt in Luxemburg nur bedingt vergleichen. Welche Parteien haben Sie denn zu sich auf die Liste eingeladen?
Unterschiedlich, aber zu Beginn passierte das häufiger. Ich empfand es als ein gutes Zeichen, dass verschiedene Parteien gefragt haben, dass mir nichts Konkretes zusgeschrieben werden konnte. Und dann wussten alle auch irgendwann, dass ich das nicht will. Mittlerweile werde ich so gut wie gar nicht mehr gefragt. Journalismus ist für mich mehr als ein Beruf, meinem Verständnis nach wäre ein Wechsel nicht möglich.
Die Parteien nähern sich einander programmatisch zunehmend an. Das kann man auch als gewisse politische Sättigung verstehen. Glauben Sie an große Überraschungen in diesem Wahljahr?
Es ist offen, das macht die Sache spannend. Während der ersten Wahlen, die ich begleitet habe, lautete die einzige Frage: Wer wird Junior-Partner der CSV? Die große Revolution kam 2013. Durch die Erosion der sogenannten Volksparteien und die Zersplitterung der Parteilandschaft, kombiniert mit dem Luxemburger Wahlsystem, können Sitze sehr schnell gewonnen und verloren werden. Das heißt, es gibt Verschiebungen, und die Mehrheiten sind hauchdünn, was man auch an dieser Regierung sieht. Zwei Sitze können sehr viel verändern. Wir wissen noch nicht, wie viele neue Parteien mit ins Spiel kommen. Und dann gibt es vier große Parteien, bei denen man davon ausgeht, dass sie potenziell in einer Regierung sein können. Nun sind Konstellationen vorstellbar, wo die CSV wieder an die Regierung käme, aber nicht den Premierminister stellen müsste. Dass es eine Weiterführung einer Dreierkoalition gäbe, aber nicht unbedingt mit dem gleichen Regierungschef. Das ist in den Parteien spürbar, die Nervosität zu beobachten, die jetzt schon da ist, macht Spaß. Interviews rufen bereits mehr Reaktionen hervor, die Leute positionieren sich. Traditionell bekennt sich die LSAP kurz vor den Wahlen zu ihren alten Tugenden, gerade relativ offensiv. Auch die Personalisierung des Wahlkampfes trägt zur Spannung bei, in Luxemburg waren Personen immer schon ausschlaggebend. Das ist nicht nur negativ, Inhalte werden immerhin durch Personen verkörpert. Den Politikern muss man auch als Menschen vertrauen, dass sie Dinge umsetzen.
Das Problem mit der Personalisierung liegt aber darin, dass sich über die grundsätzliche ideologische Ausrichtung der Wähler nur bedingt Aussagen machen lassen.
Einen einheitlichen Wielerwëllen gibt es sicherlich nicht, viele panachieren so, dass ihre Wahl eigentlich keinen Sinn ergibt. Andere haben verschiedene Koalitionen vor Augen, wenn sie ihr Kreuz machen. Ein weiteres Phänomen sind die Umfragen und Studien der Universität über die Jahre, sie werden oft in Frage gestellt, aber ich habe viel aus ihnen gelernt. Zum Beispiel, dass Wahlentscheidungen sich dem Rhythmus des Lebens angepasst haben, also immer schneller. Wenn in der letzten Woche vor den Wahlen etwas Entscheidendes passiert, verändert das den Ausgang. Immer mehr Menschen entscheiden sich erst in der Wahlkabine. Und die vielen strukturierenden gesellschaftlichen Elemente, wie früher die katholische Kirche oder die Gewerkschaften, haben an Bedeutung verloren. All das mischt auf. Die Lenert/Bettel-Battle dürfte spannend werden, auch aufgrund der unterschiedlichen Persönlichkeiten.
Der Beruf des Journalisten ebenso wie der öffentliche Diskurs haben sich stark verändert. Die Art und Weise, wie auf Social Media kommuniziert wird, schwappt auf die reale Welt über, Krisen gibt es ohne Ende. Den Medien wird oft vorgeworfen, die Polarisierung zu verstärken. Wie sehen Sie in diesem Kontext die Rolle und Aufgabe der sogenannten Leitmedien, auch die von RTL?
Wir geben uns Mühe, uns immer wieder zu hinterfragen und unseren öffentlich-rechtlichen Auftrag ernst zu nehmen, auch wenn uns das Gegenteil unterstellt wird. Ich bin dankbar, eine Sendung wie Kloertext moderieren zu können, wo wir nicht nur auf ein paar Zeichen reduziert sind. Diskussionsplattformen sind wichtig, um in die Tiefe zu gehen. Ansonsten verstärken soziale Medien nur das, was schon in uns drin existiert. Wir reagieren stärker auf schlechte Nachrichten, Zuspitzungen funktionieren. Da muss man gezielt dagegen arbeiten. Hinzu kommt, dass die Welt so komplex geworden ist, dass wir bei Erklärungen schnell auf Nebenpisten landen, und Eingrenzung aber auch wichtig ist. Wir erleben gerade eine konstante Überforderung durch die angsteinflößenden Nachrichten, die von überall auf uns einprasseln. Ich bin froh, dass ich nicht mehr jung bin – ich mache mir aber viele Gedanken, was auf meine Kinder zukommt. Ich kann Menschen verstehen, die einfach die Scheuklappen aufstellen. Oder den Reflex, einfache Lösungen zu suchen. Unsere Aufgabe sehe ich darin, dagegen zu steuern.
Wo liegt denn Ihr Smartphone, wenn sie abends schlafen gehen?
In meinem Schlafzimmer, aber ein paar Meter entfernt in der Bibliothek. Aber ich habe den falschen Job, um den droit à la déconnection zu praktizieren. Das muss man akzeptieren. Würde ich meine Stunden in der Theorie zählen, also jedes Mal, wenn ich etwas lese oder mich informiere, käme ich auch auf Junckers 17 Stunden-Tage. Er sagte ja, er arbeite quasi permanent.
Ist es immer noch schwieriger, Frauen dazu zu bewegen, sich in Ihren Sendungen zu äußern?
Es hat sich ein wenig verändert. Lange Zeit sagten Männer sofort Ja und Frauen zögerten eher. In meiner Studienzeit wurde schon darüber gesprochen, dass Frauen in Gesprächsrunden mehr unterbrochen werden, dass sie mehr im Konjunktiv sprechen – und dass Männer eher postulierend und apodiktisch sagen: Sou ass dat. Heute haben junge Frauen mehr Selbstvertrauen und setzen nicht mehr unbedingt drei Konjunktivsätze vor ihre Aussagen. Generell ist der Pool an Gästen, die wir einladen können, klein. Im Finanzbereich etwa eine weibliche Person zu finden, die ganz oben mitspielt, ist nicht einfach. Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Sprache. Wir haben nun eine Universität mit Experten, müssen aber ein passives Verständnis des Luxemburgischen voraussetzen, um teilnehmen zu können. Da sind wir pragmatischer geworden, jemand kann sich auch mal auf Französisch und Deutsch ausdrücken. Die Toleranz ist dafür größer geworden.
Was hat sich sonst für Frauen im Job verändert?
Es ist immer noch so, dass es bei einer Frau nicht als natürliche Autorität angesehen wird, wenn sie jemanden unterbricht. Ich erinnere mich an ein Interview mit Jos Daleiden von der CGFP, in dem ich ihn nach vier oder fünf Minuten monologisierender Antwort unterbrochen habe. Da schaute er mich schockiert an und sagte: Sou nit, Madame. Als ich angefangen habe zu arbeiten, wurde ich verniedlicht, nicht ernst genommen. Ich war die einzige Frau in der Redaktion, mir wurde auf die Schulter geklopft, ich wurde Modi genannt. Davon sind wir weit entfernt – aber es ist eine Illusion, zu denken, wir seien gleichberechtigt und bräuchten Feminismus nicht mehr.
Für Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, besteht ein überproportionales Risiko für Mobbing, Drohungen und Belästigung. Was haben Sie dahingehend erlebt?
Ich bin bewusst nicht auf den sozialen Medien, das ist ein Luxus, den ich mir leisten kann, auch weil ich keinen Meinungsjournalismus mache. Es dient mir aber auch als Schutz. Während des Jugoslawien-Krieges und der Flüchtlingskrise interviewten Maurice Molitor und ich den damaligen Minister Luc Frieden, der zu dieser Zeit Minister mit dem kalten Herzen genannt wurde. Die Flüchtlingsfamilien wurden von der Polizei ziemlich rabiat behandelt. Eine der Fragen, die wir ihm stellten, war, ob die Form nötig sei – eine ganz normale journalistische Frage. Daraufhin regnete es wochenlang Briefe, sowohl auf der Arbeit wie auch zuhause, zum Teil unfrankiert, um zu zeigen, dass meine Adresse bekannt ist. Sie enthielten Vergewaltigungsfantasien und Drohungen, auch gegen meine Kinder. Das macht Angst, weil es natürlich der Realität entspricht, weil diese Dinge passieren und man als Frau meistens physisch schwächer ist als ein Mann. Diese Konfrontation mit dem Hass hat mich schon wachgerüttelt – als ich im Bus saß, habe ich mich umgeschaut und mich gefragt: Wer könnte es sein?
Sie haben drei Kinder. Der Job ist stressig. Der Télécran nannte sie 2007 „den besten Beweis, dass sich Familie und Beruf mit viel Organisationstalent verbinden lassen“. Mit wie viel mum guilt?
Ich hatte permanent ein schlechtes Gewissen. In meiner Generation gab es keinen Elternurlaub. Als ich nach vier kurzen Monaten zurückmusste und die Versorgungsinfrastruktur klein war, war es schwierig. Es gab wenig Sensibilisierung und kaum Verständnis, weil die meisten Journalisten Männer waren, deren Frauen entweder in Teilzeit in einem kinderfreundlichen Beruf oder gar nicht gearbeitet haben. Das Ganze hat einen hohen Preis verlangt, da ich auch kein anderes Netzwerk hatte – meine Mutter habe ich jung verloren. In diesem Beruf hätte es ohne Kindermädchen nicht geklappt.
Das Interview als Form nennen Sie eine psychologische Übung. Was macht ein gutes Interview aus?
Wie im Tennis kann ich einen Ball schießen, aber es hängt alles davon ab, wie er zurückgeschossen wird. Hat der andere etwas zu sagen? Und was? Kann die Person es formulieren? Es hat viel mit sich drauf Einlassen zu tun, und mit Zuhören. Das Schlimmste ist meiner Ansicht nach eine vorgefertigte Meinung, diese zu sehr einzubringen, oder zu versuchen, eine Aussage aus einem heraus zu zwingen. Vor allem bei Menschen, die ich glaube zu kennen, oder schon oft interviewt habe, muss ich versuchen, der Person wieder unvoreingenommen zu begegnen. Ich möchte allen Menschen mit dem gleichen Grundrespekt begegnen. Meine persönlichen Überzeugungen spielen da keine Rolle, so verstehe ich mein Metier.
Was halten Sie denn vom sogenannten No-Platforming, also extremen Meinungen kein Mikro zu bieten?
Es ist es wichtig, alle Denkströmungen zu repräsentieren, denn das Opferstatut, das manche Menschen herbeibeschwören, sollte nicht unnötig verstärkt werden. Ein Ausschlussfaktor für die Sendung ist, wenn man Dinge nicht mit Argumenten belegen kann oder pöbeln will. Ich habe aber keine Berührungsängste gegenüber kontroversen Positionen, ich finde den Austausch im Gegenteil sehr wichtig. Es gibt keine bessere Art, Thesen zu entmystifizieren, als sie in einem ausgeruhten Format mit anderen Argumenten zu konfrontieren. Es gibt Leute, die kommen in den sozialen Medien sehr aggressiv daher, benehmen sich in der Sendung dann ganz anders oder es fällt auf, dass sie nicht ausreichend Argumente haben. Die Zuschauer können sich dann selbst ihre Meinung bilden. Ich denke, wenn die Meinungsvielfalt nicht mehr repräsentiert wird, verlagert sich der Diskurs.
Dies ist der letzte Wahlkampf, den Sie in dieser Form begleiten. Was hält die Zukunft für Sie bereit?
Ich habe eine Exitstrategie, mehr will ich dazu nicht sagen.
Zur person
Caroline Mart, Jahrgang 1960, hat während ihrer Kindheit zum Teil in New York und Brüssel gelebt und die Europaschule besucht. Nach ihrem Kommunikationsstudium in Brüssel fängt sie 1985 bei RTL an, zunächst als Radiomoderatorin. Später wechselt sie zum Fernsehen, wo sie die täglichen Abendnachrichten moderiert und die Kultur verantwortet. Es folgen Talk-Formate und seit 2007 ihre Flagship-Runde „Kloertext“. Seit 2007 ist sie auch stellvertretende Chefredakteurin des Senders.