Wohnungsbauminister Marco Schank (CSV) hielt sich an die Terminvorgabe: Drei Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes über den Pacte logement legte er am Montag die erste Bilanz der Wohnungsbau-Partnerschaften zwischen Staat und Gemeinden vor. Und auf den ersten Blick sieht die nicht schlecht aus. Mittlerweile haben 103 Gemeinden einen solchen Pakt mit dem Staat abgeschlossen, in dem sie sich verpflichten, innerhalb von zehn Jahren ihre Bevölkerung um wenigstens 15 Prozent zu steigern. Mit Grousbous dürfte Nummer 104 in Kürze folgen.
Auf den zweiten Blick sieht die Bilanz immer noch recht gut aus: Wer bisher teilnimmt am Pakt, ist dabei, den Bevölkerungszuwachs um 15 Prozent oder mehr auch zu erreichen, zeigt eine Tabelle. Und von den 51 811 Wohneinheiten, die die Konventio-nen zwischen dem Staat und den 103 Gemeinden zu schaffen vorsehen, sind 30 516 entweder schon fertig oder werden es „kurzfristig“ sein, erklärte der Minister. Mit den verbleibenden 21 295 Einheiten sei „mittel- bis langfristig“ zu rechnen. Sie sind in Planung oder „angedacht“. Bei einem Schnitt von 2,3 Personen pro Wohnung würden am Ende über 119 000 Einwohner bedient werden.
Allerdings fällt die Bilanz auf den dritten Blick zwiespältiger aus. Um sagen zu können, wie das Instrument Wohnungsbaupakt bisher funktioniert, ist es einfach noch zu jung. Dass überhaupt Bilanz gezogen werden kann, liegt vor allem an dem buchhalterischen Kompromiss, auf den man sich während der fast zweieinhalb Jahre langen kontroversen Debatte um das Wohnungsbaupakt-Gesetz einigte.
Denn der Pacte logement soll auch den Gemeinden die Aussicht auf viele neue Einwohner verträglich machen, die zwangsläufig Folgekosten für kommunale Dienstleistungen und Infrastrukturen nach sich ziehen. Deshalb gibt es ab einer bestimmten Bevölkerungs-Zuwachsrate pro neuem Bürger 4 500 Euro aus der Staatskasse an Kapitalbeihilfen für Infrastrukturprojekte – und in den laut IVL-Konzept und Landesplanungsprogramm bevorzugt zu entwickelnden Gemeinden noch bis zu 70 Prozent Zuschlag. Überdies jedoch wurde im Wohnungsbaupakt-Gesetz vereinbart, dass Gemeinden, in denen in der Vergangenheit viel gebaut wurde, eine „Retroaktivität“ geltend machen können: Sie können sich den Wohnungsbau und den Einwohnerzuwachs auf ihrem Territorium bereits ab 2003 anrechnen lassen. Ausführlichere Zahlen liegen heute allein für diese Gemeinden vor.
Mit 38 Kommunen ist es immerhin mehr als ein Drittel aller derzeitigen Pakt-Gemeinden, für das „Retroaktivität“ und ein Pakt vom 1. Januar 2003 bis zum 1. Januar 2013 gilt. Doch erst im Herbst 2005 erklärte Premier Jean-Claude Juncker (CSV) sein berühmt gewordenes wohnungsbaupolitisches Mea culpa. Erst im Frühjahr 2006 wurde der Entwurf zum Pacte logement publik, erst am 22. Oktober 2008 das Gesetz verabschiedet. Wenn nun das Forschungszentrum Ceps-Instead für das Ministerium ermittelt hat, dass zwischen 2004 und 2010 in den 38 „Retroaktivitäts-Gemeinden“ insgesamt 2 490 neue Wohneinheiten entstanden und dort 6 660 Einwohner einzogen, dann hat das mit dem Wohnungsbaupakt wenig zu tun. Dass knapp 2 500 neue Wohnungen innerhalb von sieben Jahren in 38 Gemeinden nicht gerade aussehen wie ein Bau-Boom, könnte man ebenfalls behaupten. Doch: Die 38 Gemeinden sind überwiegend Landgemeinden aus dem Osten und dem Nordzipfel des Großherzogtums. Repräsentativ für die anderen 65 Pakt-Kommunen kann deren Bautätigkeit nicht sein.
Leider ist das nicht der einzige Schwachpunkt der Bilanz. Es ließe sich ja anführen, dass mit allen 103 Paktgemeinden die Realisierung von 51 811 Wohneinheiten vereinbart sei und 30 516 Einheiten bereits fertig seien oder es in Kürze sein werden. Abzüglich der 2 490 neuen Wohnungen aus den 38 kleinen Gemeinden bliebe ein über zehn Mal größeres Volumen, mit dem in Bälde zu rechnen wäre.
Doch die Bilanzierungsmethode, auf die das Wohnungsbauministerium angewiesen ist, hat ihre Tücken. Während laut Ceps-Instead in den 38 Retroaktivitäts-Gemeinden von 2004 bis 2010 neue Wohnungen für 6 660 neue Einwohner entstanden, meldeten diese Gemeinden zwischen dem 1. Januar 2003 und dem 1. Ja-nuar 2011 einen Einwohnerzuwachs, der mit 11 807 neuen Bürgern beinah doppelt so stark war wie der, der sich neu geschaffenen Wohnungen zuordnen lässt. Dass die verbleibenden 5 207 neuen Einwohner, die die 38 Gemeinden meldeten, allein in dem vom Ceps-Instead nicht erfassten Jahr 2003 eine neu gebaute Wohnung fanden, glaubt man auch im Wohnungsbauministerium nicht: Da habe es wohl eher „Wanderungen im Bestand“ gegeben. Vielleicht zogen aus bestehenden Wohnungen kleine Familien aus und größere Familien dort ein? Wer weiß.
Doch wenn sich ein Einwohnerzuwachs schwer auf neu geschaffenen Wohnraum beziehen lässt, kann man schwerlich nachweisen, ob der Wohnungsbaupakt schon zu der gewünschten Dynamik beim Neubau führt. 2 000 bis 2 500 neue Wohnungen gab es auch früher schon – im Jahr. Dieses Aufkommen auf 3 000 zu steigern, versprach Marco Schanks Amtsvorgänger und Parteikollege Fernand Boden für die CSV im Wahlkampf 2009. Eine Bedarfsanalyse für das Ministerium empfiehlt, 3 400 Einheiten jährlich zu errichten, um der Wohnungsknappheit beizukommen. Dass das Observatoire de l’habitat erst letzte Woche weiterhin steigende Preise auf dem Wohnungsmarkt meldete, ist ein Ausdruck davon. Am Montag konnte Schank seinen Optimismus, alle 103 Pakt-Gemeinden würden den Einwohnerzuwachs um mindestens 15 Prozent nicht nur erreichen, sondern sogar überbieten, nur auf Hochrechnungen gründen. Doch wie viele Wanderungen im Bestand anstelle neuer Wohnungen es nach zehn Jahren Pakt-Laufdauer gegeben haben wird, kann natürlich niemand abschätzen. Auf Nachfrage erklärte der Minister, er wisse schon, „dass wir pro Jahr eigentlich 900 bis 1 000 Wohnungen mehr bauen müssten“, um den prognostizierten Bedarf aus dem Bevölkerungswachstum zu decken. Das wichtigste Fazit der ersten drei Jahre Pacte logement-Gesetz sei, „dass die Gemeinden für das Thema sensibilisiert wurden“.
Aber noch eine wichtige Frage lässt sich aus der ersten Bilanz zum Wohnungsbaupakt noch nicht beantworten: Wie in Zukunft gebaut werden wird. Denn Ziel des Pakts ist nicht nur die Steigerung der Einwohnerzahl in den teilnehmenden Gemeinden und die „aktive Beteiligung“ bei der Senkung der Baulandpreise. Für eine so-ziale Durchmischung der Bevölkerung und einen rationelleren Umgang mit Bauland durch dichtere Bebauung soll ebenfalls gesorgt werden. Doch weil die 38 Gemeinden, über die präzisere Daten vorliegen, überwiegend Landgemeinden sind, ist es wahrscheinlich kein Wunder, dass der dort neu geschaffene Wohnraum zu 59 Prozent in Einfamilienhäusern entstand. Ganz abgesehen davon, dass diese Bilanz vor allem einen Zeitraum umfasst, in dem es das Pacte logement-Gesetz noch gar nicht gab.
Vielleicht ist der Trend zu mehr Verdichtung und stärkerem Wohnungsbau in urbanen Gegenden dennoch schon da: Vom Grundstücks-Vorkaufsrecht für die öffentliche Hand, womit nach Lesart des Wohnungsbaupakt-Gesetzes die Kommunen sowie der Fonds de logement gemeint sind, wurde bisher vor allem in der Planungsregion Zentrum-Süd Gebrauch gemacht. In welchen Gemeinden genau, lässt das Wohnungsbauministerium offen. Doch da Zentrum-Süd das Einzugsgebiet der Hauptstadt mit seiner wachsenden Periurbanisierung umfasst, könnte dort im öffentlichen Auftrag bevorzugt dichter gebaut werden. Auch so genannter „erschwinglicher“ Wohnraum könnte entstehen, dessen Bauland-Preisanteil durch Erbpacht um bis zu 50 Prozent reduziert wurde, und sozialer Wohnungsbau erfolgen.
In welchem Umfang die Gemeinden ihr Vorkaufsrecht nutzen können, damit eine Grundstücksreserve für die öffentliche Hand entsteht, bleibt aber abzuwarten. Vom Wohnungsbauministerium wurden in den General-Bebauungsplänen der 103 Pakt-Gemeinden insgesamt knapp 62 Hektar an zusätzlichen Flächen gefunden, die sich für einen Ankauf und die nachträgliche Ausweisung für Wohnbauzwecke eignen. Bisher sind 19 Hektar aufgekauft – davon zehn Hektar in der Region Zentrum-Süd, wo das Gesamtangebot von 12,8 Hektar damit aber auch schon fast ausgenutzt ist.
Den großen Sprung im öffentlich gesteuerten Wohnungsbau wollen Wohnungsbau- und Nachhaltigkeitsministerium mit dem landesplanerischen staatlichen Plan sectoriel für Wohnungsbau machen, der noch unter Verschluss ist. Wie Marco Schank am Montag andeutete, würden dafür Flächen von insgesamt 600 Hektar „geprüft“, auch für Neubauten auf der grünen Wiese. Für Ankauf und Erschließung soll die öffentliche Grundstücksgesellschaft sorgen, in die eventuell der Fonds de logement verwandelt werden könnte.
Diese Vorhaben klingen so groß, dass man sich fragen kann, ob der Pacte logement am Ende weniger ein Instrument für mehr Wohnungsbau darstellt als ein Stück vorgezogene Gemeindefinanzreform. Bisher sind an 86 Pakt-Gemeinden 77,2 Millionen Euro an Kapitalbeihilfen geflossen. Die Retroaktivitäts-Gemeinden, die schon am längsten für mehr lokale Bevölkerung sorgen, haben ihren Anteil allerdings bislang am wenigsten ausgenutzt: nur zu 5,4 Prozent. Mit über 60 Prozent war die Nutzung der staatlichen Mittel in den Gemeinden am stärksten, die laut Landesplanungsprogramm bevorzugt wachsen sollen. Und natürlich gab es bei der Diskussion um den Gesetzentwurf vor vier, fünf Jahren Kritiker, die meinten, der Pacte logement mit seinem Füllhorn sollte auf sich Schwerpunktgemeinden beschränken.