Kaum das Licht der Welt erblickt und schon verlassen. So ergeht es Mary Shelley als Neugeborenes, als ihre Mutter, die berühmte Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft Godwin, auf dem Wochenbett stirbt. Das Schicksal des mehrfachen Verlusts war prägend für ihren späteren Roman Frankenstein oder der Moderne Prometheus, jedenfalls wenn es nach der saudi-arabischen Regisseurin Haifaa Al-Mansour geht. In Al-Mansours zweitem Langspielfilm nach Wadjda verlässt die junge Mary ihren Vater, der Sozialphilosoph William Godwin, und die verhasste Stiefmutter, um mit dem romantischen Dichter Percy Bysshe Shelley und Stiefschwester Claire (Bel Powley) im Schlepptau durchzubrennen. Was für sie die Liebe ihres Lebens ist, der sie bedingungslos folgt, entpuppt sich als Möchtegern-Dandy mit Hang zu ausschweifenden Abenteuern, der auf Pump lebt. Mary muss soziale Ächtung und Armut erleben, um zu sich zu finden.
Wer von der britisch-luxemburgischen (Juliette Film) Koproduktion Mary Shelley eine erhellende Coming-of-age-Geschichte der bedeutendsten britischen Autorinnen des frühen 19. Jahrhunderts erwartet, die Motive und Hintergründe ihres Werdegangs als Schriftstellerin beleuchtet, wird enttäuscht sein. Das liegt zum Einen an den blassen Darstellern: Elle Fanning spielt die 16-jährige Mary arrogant-blasiert bis melodramatisch leidend. Schlüsselszenen, etwa als sie ihrem selbstverliebten Luftikus Verantwortungslosigkeit vorwirft, wirken entweder blutleer und bieder oder übertrieben. Percy Shelley wird verkörpert von Douglas Booth, der äußerliche Ähnlichkeiten mit Johnny Depp hat, aber bei weitem nicht dessen Tiefgang und schauspielerische Klasse. Zum Anderen hat Al-Mansour, trotz feministischen Anspruchs, die Handlung weitgehend um die Männer aufgebaut: Marys Ansporn, zu schreiben, ist ihr Vater. Er unterstützt sie darin, zu lesen, arrangiert Treffen mit Dichtern und Philosophen jener Zeit, belächelt jedoch die ersten Schreibversuche seiner Tochter und wird sie später verstoßen. Der Verlust ihres frühgeborenen Babys, ihr Mann, der ein Verhältnis mit ihrer Stiefschwester beginnt und, um das eigene Scheitern zu überspielen, betrügt und trinkt, lassen Mary depressiv werden. Kurz: Es sind Männer, die ihr Handeln und Sein bestimmen.
Al-Mansour inszeniert Marys innere Zerrissenheit und Emanzipation mit klischeehaftem Pathos. Vom unkonventionellen Lebensstil, den politisch-philosophischen Debatten und der naturwissenschaftlichen Aufbruchsstimmung jener Zeit ist außer kleinen Versatzstücken, dem Besuch eines galvanisch inspirierten Tierversuchs und Opiumpfeifen nicht viel zu sehen. Die zwei Bettszenen im Film dauern wenige Sekunden.
Der Besuch des befreundeten britischen Dichters Lord Byron auf dessen Landsitz bei Genf (Drehorte Schloss La Grange im französischem Manon und Schloss Colpach in Luxemburg) wird pompös inszeniert, aber außer dass die Anwesenden beschließen, gegen die Langeweile Gespenstergeschichten zu schreiben, bleibt unklar, warum das der legendäre Ort sein soll, an dem Shelley der Einfall zu Frankenstein kam. Den misogynen Gemeinheiten Byrons, als dekadente Gothic-Version gespielt von Tom Sturridge, und dem wachsenden Defätismus ihres Mannes setzt Mary außer schnippischen Kommentaren nichts entgegen. Als sich herausstellt, dass Claire, von Byron geschwängert, nicht Liebe sondern allenfalls Alimente zu erwarten hat, drängt Mary auf Abreise, um dann quasi über Nacht aus Frust Frankenstein zu schreiben. Auch der Befreiungsakt gelingt nur bedingt, weil Verleger das Werk der jungen Frau zunächst ablehnen und es nicht unter ihren Namen publiziert wird, etwas, das Al-Mansour mit einem unglaubwürdigen Happy Ending versucht, zurechtzubiegen. Ines Kurschat