La soumission, der jüngste Roman von Michel Houellebecq, sorgt für viel Aufregung. Der Roman schildert die Islamisierung Frankreichs durch die Augen eines Experten für den französischen Schriftsteller Joris-Karl Huysmans (1848-1907). Aber exotische Religionen, die Angst vor Konvertiten und Huysmans sind keine unbekannten Themen in der muslimischen Welt.
In einem 2004 erschienenen Bericht der Direktion des Strategiezentrums des türkischen Innenministeriums mit dem Titel Eine Gefahr für die Gesellschaft: Satanismus heißt es nämlich, dass Huysmans Roman Là-bas von 1891 „der erste Klassiker des Satanismus“ sei. Natürlich sollte man in Polizeiberichten nicht nach aufgeklärter literarischer Kritik suchen. Doch es ist schon interessant zu erforschen, warum Huysmans neben Anton LaVey (1930-1997), dem Gründer des modernen, atheistischen Satanismus, von den Behörden als einer der Haupteinflussgeber auf die heutigen Teufelsanbeter in der Türkei angesehen wird.
Huysmans Roman ist ganz sicherlich kein satanistisches Manifest. Wahr ist jedoch, dass es ein Buch ist, das, neben der Gilles-de-Rais-Affäre, das Überleben okkultistischer Praktiken in der Pariser Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts dokumentiert. Schon nach der Veröffentlichung des Romans in Frankreich gab es eine gewisse Ambiguität, was die Rezeption dieses Werkes angeht: Des öfteren wurde das Buch nicht als Dichtung, sondern als Reportage gelesen.
Là-bas ist der erste Band des Durtal-Zyklus, einer Tetralogie, die die komplexe spirituelle Verwandlung und Bekehrung der Hauptfigur zum Katholizismus, das Spiegelbild von Huysmans eigener Transformation, erzählt. Dieses Buch könnte als Roman der Abwendung beschrieben werden. Für Huysmans und sein Alter Ego Durtal ist es zuallererst die Abwendung vom Naturalismus, „von Ehebruch, Erotik, Ehrgeiz, all jenen wohlvertrauten Themen des modernen Romans“. Durtal hat sich entschieden, das Leben des französischen Heerführers, Kindermörders und Teufelsbeschwörers Gilles de Rais (1405-1440) anhand geschichtlicher Dokumente zu schreiben. Das Buch zeigt Durtals epische intellektuelle und religiöse Reise von seiner Ablehnung der Heuchelei und Oberflächlichkeit seiner Zeitgenossen bis zu seiner Suche nach metaphysischen Antworten und seinen Begegnungen mit Okkultisten und Satanisten. Der Roman erforscht auch Durtals innere Unruhe und seine Ideale, nämlich: den „Katholizismus des Mittelalters“ und den „mystischen Naturalismus“ in Angelegenheiten der Kunst. Im zweiten Roman der Tetralogie, En route (1895), wird Durtal etwas widerwillig zugeben, dass es kein Heil außerhalb der katholischen Kirche gibt.
Überraschend ist auch, dass der Satanismus-Bericht des türkischen Innenministeriums auf Huysmans Là-bas Bezug nimmt, obwohl der Roman noch nicht ins Türkische übersetzt worden war. Das erhebliche Interesse der Behörden im Jahr 2004 am Phänomen des Satanismus war jedoch weniger unerwartet. Seit 1998, als zwei Jugendliche, angeblich unter dem Einfluss des Satanismus, einen anscheinend ritualisierten Selbstmord begingen, gab es in populären und vor allem religiös-konservativen Medien Berichte über den Satanskult, wodurch eine gelegentliche Hysterie durch regelmäßige Beiträge über Selbstmorde, Ritualmorde und Tieropfer gefördert wurde. Eine Folge war die Schaffung von Sondereinheiten der Polizei, um satanistische Gruppen zu überwachen. Das Präsidium für Religionsangelegenheiten, eine staatliche Einrichtung zur Verwaltung religiöser Angelegenheiten, zeigte ebenfalls großes Interesse an der Frage. Trotz alarmierender Behauptungen von einer unaufhaltsamen Ausbreitung der Satanisten lag die Zahl der Teufelsanbeter in der Türkei, der Generaldirektion für Sicherheit zufolge, im Jahr 2009 bei um die 3 500.
Im Februar 2002 hatte Aksiyon, eine Wochenzeitschrift, die der Gruppierung des Predigers Fethullah Gülen nahe steht, eine Cover-Story über Satanismus veröffentlicht. Der ominöse erste Satz zeigte das Niveau der Debatte zum Thema: „Satanismus, der in unser Leben mit schwarzen T-Shirts, langen Haaren und dem Massaker an Katzen eintrat, ist inzwischen zu einer systematisierten Organisation in der Türkei geworden.“
Die Verwendung des Begriffs „Örgüt“ (Organisation) evozierte die Welt der Terrororganisationen im Untergrund. Der Artikel endete mit der Hoffnung, die Behörden mögen im Begriff sein, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Satanisten zu stoppen. Die satanistische Bedrohung wurde tatsächlich ernst genommen, und während der Debatten im Parlament im selben Jahr argumentierte Yaşar Özkurt, ein Abgeordneter der rechtsextremen Partei der nationalistischen Bewegung, dass Satanismus für die türkische Gesellschaft eine ähnliche Gefahr darstelle wie die PKK, die Kurdische Arbeiterpartei, und die Hisbollah, eine islamistische Terrorgruppe, die in den kurdischen Gebiete aktiv war.
Die Polizei von Izmir war in ihrer Äußerung über eine terroristische Bedrohung konkreter. Sie berichtete, Satanisten hätten die Zerstörung der Blauen Moschee geplant und die Besetzung des Platzes, auf dem der Bau der Taksim-Moschee vorgesehen war. Sie hätten Koran-Manuskripte zerstören, den Löffelmacher-Diamanten stehlen wollen und die rituelle Opferung ihrer Gegner geplant. Einmal an der Macht, würden sie die Zerstörung aller Kultstätten und die Einrichtung eines rassistischen Hitler-Staats fördern. In einem Land, das noch durch einen blutigen Konflikt zwischen Regierungstruppen, ihren paramilitärischen Verbündeten und der PKK erschüttert war, konnte die Einstufung von Satanismus als Terrorismus nur negative Folgen haben für alle Jugendlichen mit einer Vorliebe für schwarze Kleidung, lange Haare, Heavy Metal und esoterische Symbole.
Die Überwachung neuer religiöser Bewegungen, einschließlich des Satanismus, durch staatliche Institutionen ist natürlich keine ungewöhnliche Situation, die auf die Türkei beschränkt ist.
Was den türkischen Fall besonders machte war, dass in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts, neben einer legitimen und menschlichen Besorgnis um die Zunahme von Selbstmorden und Verbrechen mit angeblich satanistischer Verbindung, einer Angst und Sorge, die auch oft eine religiöse Motivation hatte, das Bestehen einer Terrorgefahr vorgespiegelt wurde. In Polizeiberichten, Reportagen und Büchern über Satanismus wurde immer wieder betont, es gebe Verbindungen zwischen Anarchisten, Kommunisten und Satanisten. Dass in der erzkonservativen Gedankenwelt eine Neigung besteht, Parallelen – oder mehr – zwischen sozialrevolutionären Ideen und dem Teufel zu sehen, ist nichts Neues und sicherlich kein rein türkisches Phänomen.
Aber im Bericht des Innenministeriums gab es einen anderen Punkt, der im türkischen Kontext von besonderem Interesse war: die fremden Wurzeln des Satanismus. In einer Entscheidung des türkischen Kassationshofs von 2003 wurde nämlich behauptet, der Satanismus sei Anfang der Achtzigerjahre von einem namenlosen amerikanischen Künstler in die Türkei importiert worden. Satanismus sei also eine Gefahr aus der Fremde. Die Behörden denunzierten Satanismus als Antireligion, als Rebellion gegen die gemeinsamen islamisch-türkischen Werte der Gesellschaft. Die implizite Fremdheit der Konvertiten wurde ebenfalls an den Pranger gestellt: Jugendliche aus reichen, oft zerrütteten Familien, die in den verwestlichten Stadtteile von Istanbul und Izmir aufgewachsen waren, rebellisch und entwurzelt, und die einen Großteil ihrer Zeit in der virtuellen Welt der Internet Chat-Räume verbrachten.
Der Diskurs über die Fremdheit der Satanisten war eine verstärkte Variante der bekannten Themen Verfremdung und Identitätsverlust, die die türkische Literatur und die konservative intellektuelle Kultur geprägt haben. Aber Fremdheit war nicht einfach ein literarisches Klischee: In Kombination mit dem Konzept des Satanismus als einer terroristischen Bedrohung verstärkten die Verweise auf Fremdheit die Hysterie und die Verschwörungstheorien rund um ausländische und okkulte Versuche, die Türkei zu schwächen, wenn nicht sogar zu zerstören. Die Reaktion der Behörden gegen eine so genannte satanistische Gefahr zu Beginn des 21. Jahrhunderts war symptomatisch für die Einstellung des türkischen Staates gegenüber allen Minderheiten, die den Diskurs der national-religiösen Einheit des Landes gefährden.
Als Huysmans Roman 2010 endlich in einer türkischen Übersetzung erschien, wurde er vom Verlag interessanterweise als okkultistischer Fantasieroman vermarktet: „Paris. Das Ende des 19. Jahrhunderts. Müde von der literarischen Welt seiner Zeit findet ein Schriftsteller das Heil, indem er das Leben einer der rücksichtslosesten und dunkelsten Persönlichkeiten aller Zeiten, Gilles de Rais, beschreibt, und diejenigen untersucht, die dem Weg des Teufels folgen. Doch es dauert nicht lange, bis er feststellt, dass satanistische Rituale noch immer durchgeführt werden. Kinder, die Satan geopfert werden, gruselige Foltern, eine geheimnisvolle Frau, eine Reise ins Herz der Finsternis“, lautete der Klappentext. Türkische Rezensionen des Romans folgten dem Verlag und sprachen von Okkultismus und schwarzen Messen. Sie vermieden jegliche Hinweise auf die Auseinandersetzungen des Hauptcharakters mit mystischen Themen und die christliche Dimension des Werkes.
Obwohl die in religiösen und staatlich geförderten Studien erwähnte satanistische Bedrohung zum großen Teil eine Schimäre ist, lässt sich nicht leugnen, dass es in den letzten fünfzehn Jahren im Kulturbereich ein steigendes Interesse an der Teufelsthematik gibt. Im Zeitalter Harry Potters gibt es einen allgemeinen Trend hin zu fantastischen und übernatürlichen Themen – auf dem türkischen Büchermarkt genau wie in Europa. Auch wäre die Vermarktung einer Erzählung eines Übertritts zum Christentum ziemlich unklug in einem Land, in dem die pathologische Angst vor christlichen Missionaren einer der wenigen Bezugspunkte ist, der sowohl von laizistischen Internationalisten als auch von religiösen Nationalisten geteilt wird. Nicht nur verkauft der Teufel mehr Bücher als der christliche Missionar, er macht auch weniger Angst. Aber das ist eine andere Geschichte.