Locker, fast schon lässig, sitzt sie im abgewetzten Sessel im Café Konrad, eine der angesagten Adressen für Expats in Luxemburg-Stadt. In der Regel tummeln sich hier Hipster, Söhne und Töchter reicher Eltern und Mütter mit Kinderwägen, die wie Luxuskarossen aussehen und auch fast so viel Platz wegnehmen, Studenten. Olive Cluskey Deasy ist auch Studentin, auch wenn man ihr das nicht direkt ansieht. Die gebürtige Irin mit dem flammend-roten Jackett und den sportlichen Schuhen ist klein und zierlich, wirkt aber dynamischer als manch ein Jungspund: Deasy ist eine von 155 Senior-Gasthörer/innen an der Universität Luxemburg.
Seit 30 Jahren lebt Deasy im Großherzogtum. Noch bis 2011 hatte sie als Englischlehrerin an der Europäischen Schule auf dem Kirchberg unterrichtet, nun drückt sie selbst wieder auf der Schulbank. Wobei man die modernen Säle der Uni in Esch-Belval nicht wirklich mit dem Kasernengrau des Campus Walferdingen vergleichen kann. „Die neuen Räume sind beeindruckend“, sagt sie.
Zweimal die Woche packt sie ihre Bücher und Hefte zusammen und nimmt den Zug von Dommeldingen über Luxemburg-Stadt nach Esch-Alzette und fährt in das Maison du savoir, um dort mit anderen Studenten Kurse zur englischen Geschichte und Literatur zu besuchen. „Es ist spannend, Bücher tiefgründiger analysieren und gemeinsam diskutieren zu können“, sagt sie. „Ich lerne viel dazu.“
Von dem Gasthörer-Programm, das 2011 auf Initiative des damaligen Vizerektors Lucien Kerger und der Beraterin Ariane König eingeführt wurde, las Olive Cluskey Deasy das erste Mal in einer französischsprachigen Tageszeitung. Die Entscheidung, ihre Leidenschaft für englische Klassiker an der Uni zu vertiefen, kam ihr, nachdem sie eine Lesung von Agnes Prüm gehört hatte. Die Dozentin für Englische Literatur an der Universität Luxemburg war es, die die Irin anspornte, sich einzuschreiben. Für 50 Euro im Monat hat sie sich nun in drei Kursen eingeschrieben. „Das ist nicht teuer“, findet sie.
Ihre Tochter, die selbst studiert hat, ebenso wie ihr Mann finden es super, dass sie zur Uni. „Man denkt an andere Dinge als den Alltag, ich fühle mich jünger und agiler“, beschreibt Deasy das neue Lebensgefühl als Studentin. Außerdem sei das Studium eine Möglichkeit, sich stärker in Luxemburg einzubringen: „Normalerweise leben Ex-Pats und Luxemburger ziemlich nebeneinander her. Hier lernen wir miteinander“, sagt die Seniorin, die es nur richtig findet, dass sich die Universität für Studenten unterschiedlicher Herkunft öffnet: „Damit vollzieht die Uni, was es bereits in anderen Ländern gibt.“
Das Argument, sich tiefer in ein Thema hineinfuchsen zu wollen, führen Senioren häufig an, wenn sie sich ins Gasthörer-Programm einschreiben. Die Mehrheit belegt Kurse in den Geisteswissenschaften, wo sie Vorlesungen wie Englisch, Germanistik, Romanistik oder Philosophie und Geschichte auswählen. Aber auch die Psychologie und die Wirtschaftswissenschaften erfreuen sich regen Interesses.
„Mich haben Sprachen immer schon interessiert. Hier kann ich meinem Interesse endlich nachgehen“, sagt Hannu von Hertzen. Der 71-Jährige war vor 25 Jahren von seiner Heimat Finnland nach Luxemburg gekommen. Damals arbeitete er für das Europäische Parlament als Richter. Eigentlich wirkt von Hertzen selbst beinahe wie ein Professor: Mit der abgewetzten brauen Ledertasche, der gebügelten edlen Hose und seinem beigen Rollkragenpullover könnte er selbst gut am Pult stehen. Aber das will von Hertzen gar nicht. „Ich bringe mich sprachlich nicht so viel ein, dafür reicht mein Luxemburgisch nicht. Aber das Thema interessiert mich brennend, weil es mich an die Situation in meiner Heimat erinnert.“ In Finnland war Finnisch lange Zeit nicht die offizielle Sprache, das war Schwedisch, die Sprache der Eroberer. Erst nach erbitterten Auseinandersetzungen wurde Finnisch im 19. Jahrhundert zur Amtssprache erhoben. Der Wahlluxemburger versteht das Bestreben jener, die fordern, die Alphabetisierung in der Grundschule auf Luxemburgisch einzuführen. Seine Begeisterung für die Sprache ist nicht zu übersehen. Geht es um die Luxemburger Sprachenpolitik, sprudelt es nur so aus ihm heraus, allerdings muss der Finne manchmal innehalten, um das richtige Wort auf Luxemburgisch zu finden.
Dieses rege Interesse ist es, was viele Professoren an Gasthörern schätzen. Die von Jüngeren gerne mal als Dinosaurier belächelten Senioren bringen sich anders in die Vorlesung ein, weil sie wissen, was sie wollen und warum sie da sind: „Ich hatte meinen Beruf und den habe ich gerne gemacht. Jetzt lerne ich für mich, ich muss keinem etwas beweisen“, sagt Hannu von Hertzen.
Gleichzeitig haben sie nicht denselben Stress, denn Seminararbeiten müssen sie nicht machen und Examen ebensowenig. „So gesehen, habe ich die Vorteile eines Studentenlebens, und die Nachteile bleiben außen vor“, sagt von Hertzen lacht. Was nicht heißt, dass sich Cluskey Deasy und von Hertzen nur im Kurs sitzen und zuhören: Zwei Stunden müsse sie sich für den Kurs vorbereiten, sagt Deasy: „Es empfiehlt sich, die Texte vorher gelesen zu haben, die besprochen werden.“
Eigentlich selbstverständlich, doch der Eifer mancher Senioren-Studenten ist nicht überall gerne gesehen. Ein Dozent in Deutschland soll einmal über das „Kreuzfahrthandtuch“-Verhalten gelästert haben, weil ältere Semester in der Regel pünktlich sind und sich gerne die ersten Sitzreihen reservieren – schon um besser hören und sehen zu können. Manche Studenten berichten hinter vorgehaltener Hand von älteren Studenten, die ungebremst redeten und sich zu viel in den Mittelpunkt stellen würden. „Ich war in einen Seminar, da gab es eine Diskussion und ein älterer Herr wollte partout nicht aufhören“, erinnert sich auch Olive Cluskey Deasy. „Ich halte mich eher zurück.“ Dozentin Agnes Prüm, die schon viele Gasthörer in ihren Kursen sitzen hatte, hat indes keine konfliktuellen Diskussionen zwischen den Generationen beobachtet. „Manch einer kommt an die Uni, um Gewissheiten zu erhalten, unabhängig vom Alter. Das ist aber nicht unsere Aufgabe, wir wollen das kritische Analysieren fördern.“
Insbesondere in Geschichtsseminaren scheinen manche nicht an sich halten zu können, mitunter sind sie selbst Zeugen jener Zeit, über die ein Professor aus dem Textbuch doziert. Das kann zu Konflikten führen, etwa wenn die Gasthörer nicht verstehen wollen, dass Zeitzeugen in der Geschichte durchaus kritisch gesehen werden. „Aber das sind Einzelfälle“, versichert Danièle Schwirtz-Lejeune, die an der Uni das Gasthörer-Programm verwaltet. „Der Dozent oder die Dozentin entscheiden, wie viele Gasthörer sie im Kurs aufnehmen wollen. Auf sie kommt es an“, sagt Schwirtz-Lejeune. Dass Senioren manchmal zu viel reden, hat sie gehört, aber regelrechte Beschwerden habe es noch nicht gegeben. In der Regel werde dann einfach die Zahl der im nächsten Semester freien Plätze wieder reduziert. In diesem Semester stehen den insgesamt 180 Gasthörern (jüngere eingerechnet) 96 Kurse offen, gegenüber 17 Kursen zu Beginn 2011. Dass eines Tages eigene Kurse nur für Senioren angeboten werden könnte, glaubt sie nicht und fände sie auch nicht gut: „Das Schöne ist ja gerade, dass die Generationen einander begegnen und voneinander lernen können.“
Dass allerdings klingt blumiger, als es in Wirklichkeit ist. Dass Alt und jung wirklich zusammen lernen und in Gruppen gemeinsam arbeiten, geschieht eher seltener, schon weil die Senioren keine Hausarbeiten schreiben müssen. In den Vorlesungen sitzen ältere Semester eher beieinander, ebenso suchen jüngere Studenten meistens Altersgenossen. In den Pausen und danach geht jeder seine Wege. „Echte Berührungspunkte gibt es nicht. Wir haben unser Leben und die haben ihrs“, fasst Olive Cluskey Deasy das Verhältnis zwischen Jung und Alt nüchtern zusammen. Lediglich einmal habe sie mit einer polnischen Studentin, „die ein wenig redselig war“ und ihr Englisch trainieren wollte, einige Worte gewechselt. „Das war sehr nett.“