Forschungspartnerschaften mit Amerika sind für Luxemburger Politiker etwas Besonderes und Aufregendes. Das war 2008 so, als die damalige Regierung eine Biotech-Kooperation mit drei US-Forschungseinrichtungen einging und bei der Zeremonie zu ihrer Besiegelung im Hôtel Royal sich drei Minister mühten, möglichst amerikanisch-locker zu wirken. Und sieben Jahre später hat sich daran offenbar nicht viel geändert: Hätte Premier Xavier Bettel nach dem Regierungsrat vom 30. Oktober der Presse nicht schon erzählt, man habe soeben beschlossen, ein Projekt der Universität Luxemburg mit dem Massachusetts Institute of Technology zum Aufbau eines „Logistikzentrums“ aus der Staatskasse zu unterstützen, hätte die Bekanntgabe bis zum 7. Dezember warten können, wenn der Vertrag unterzeichnet werden soll. Doch weil sich nach Bettels Ankündigung die Journalistenanfragen häuften, konnte die Regierung nicht länger den Deckel auf weiteren Details halten. Und so wurde das Vorhaben „Luxembourg Centre for Logistics“ am Montag im Versammlungssaal des Forschungs- und Hochschulministeriums enthüllt und der Unterzeichnungsakt der auf zehn Jahre angelegten Partnerschaft findet am 7. Dezember mit Vertretern des MIT vielleicht nur als Fototermin für die Medien statt.
Dabei können Regierung und Universität sich durchaus rühmen, einen ansehnlichen Coup gelandet zu haben. Nicht nur ist das MIT in Cambridge/Massachusetts eine weltbekannte Elite-Universität, deren Name für sich steht. Hochschul- und Forschungsstaatssekretär Marc Hansen (DP) erlag diesem Effekt am Montag schon, als er meinte, dank dieser Partnerschaft werde Uni.lu „in die Cham-pions League“ der Universitäten aufrücken. Wahr ist auf jeden Fall, dass universitäre Studiengänge in Logistik und Supply Chain Management in Europa noch dünn gesät sind. Wenn alles klappt, soll das LCL, wie das Logistikzentrum abgekürzt heißt, schon ab Herbst kommenden Jahres einen Masterstudiengang anbieten. Forschen soll es ebenfalls und mittelfristig auch Doktoranden ausbilden. Für Luxemburg, wo nicht nur Warentransporteure mit Cargolux an der Spitze aktiv sind, sondern auch Logistikdienstleister wie Kühne & Nagel, DHL oder Pan-alpina, die sich mit der Steuerung von Stoffströmen befassen, ist ein Forschungs- und Ausbildungszentrum für die Branche so etwas wie der i-Punkt auf den politischen Anstrengungen zur Diversifizierung der Wirtschaft in diese Richtung. Und mit 1,6 Millionen US-Dollar, die das MIT als Jahresgebühr für den Export seines Ausbildungsmodells verlangt und die zehn Jahre lang aus der Staatskasse bezahlt werden sollen, könnte man es sogar preiswerter eingekauft nennen als den 150 Millionen Euro teuren Import von Biotech-Knowhow zwischen 2009 und 2013.
Das MIT hat den Ruf, weltweit führend in der Logistik-Ausbildung zu sein. Es unterhält nicht nur ein Center of Transportation and Logistics auf seinem Campus in Cambridge, sondern übertrug sein Ausbildungsmodell schon in andere Länder. In Kuala Lumpur in Malaysia, in Bogota in Kolumbien und im spanischen Saragossa bestehen bereits Zentren nach MIT-Vorbild. Das spanische Zentrum ist schon zwölf Jahre alt und im europaweit größten „Logistikpark“ angesiedelt. Von dort aus wird nicht nur Fisch nach ganz Europa weiterverfrachtet, in Saragossa hat auch das Bekleidungsunternehmen Zara seine Zentrale und beliefert seine Geschäfte just in time mit der gerade benötigten Ware. Ganz richtig ist es also nicht, was Staatssekretär Marc Hansen und Uni-Rektor Rainer Klump am Montag behaupteten: dass Luxemburg für das MIT der „Gateway“ nach Europa sein werde. Aber dass, wie Hansen anfügte, die „im Vergleich mit Spanien stabilere Lage bei uns“ einen Ausschlag gegeben habe, ein weiteres Zentrum in Luxemburg einzurichten, mag stimmen. Die geografische Lage des Großherzogtums dürfte ebenfalls eine Rolle gespielt haben: Schon vor Jahren hatte das MIT sich darum bemüht, ein Logistikzentrum in Deutschland zu eröffnen und stand dazu in Kontakt mit Rainer Klump, als dieser noch Vizepräsident der Universität Frankfurt war. Der Ausbildungs-Export nach Hessen schlug aber fehl. Klump zufolge lag das daran, dass „in Hessen die Kompetenzen in Wirtschaft, Recht und ICT auf verschiedene Universitäten verstreut sind“. Uni.lu dagegen vereine sie unter einem Dach. Und wäre Klump heute nicht Rektor in Luxemburg, wäre der Deal mit dem MIT vielleicht nicht zustande gekommen. Das Logistikzentrum ist das erste strategische Projekt an der Universität, das Klump persönlich vorangetrieben hat.
Ein paar Fragen stellen sich um das LCL aber noch. Zum Beispiel die, wie und für wen man ausbilden will. Sowohl am MIT selbst wie auch an den Zentren in Spanien, Malaysia und Kolumbien dauert das Masterstudium zehn Monate. In Luxemburg sind zwei Jahre vorgesehen, ein Aufenthalt am MIT inklusive. Eine MIT-Kopie wird der Studiengang hier demnach nicht, weshalb Stefan Braum, der Dekan der Fakultät für Recht, Finanzen, Wirtschaft, der das LCL angeschlossen werden soll, wohl Recht hatte, als er am Montag erklärte, die Uni sei nicht etwa Franchise-Nehmerin eines MIT-Konzepts, sondern werde eigene Curricula entwickeln, die aufzustellen das MIT helfe. Mehr als nur die üblichen 200 Euro Einschreibegebühr kosten wird das Logistik-Masterstudium auch, ließ Klump bereits durchblicken, sagte aber nicht, wie viel. Am MIT kostet die Teilnahme am Zehn-Monats-Masterkurs 65 000 Dollar. Das Zaragoza Logistics Center verlangt 24 000 Euro. Dass die jährlich 30 neuen LCL-Studenten allein aus Luxemburg kommen werden, damit rechnen Uni und Ministerium nicht; damit wird das LCL mit einem wie auch immer kostspieligen Masterkurs auch ein Test auf die Außenwirkung von Uni.lu in Europa. Dass sich mit „MIT“ werben lassen wird, ist natürlich hilfreich.
Nur in einem Nebensatz bemerkte Rainer Klump, mit dem LCL rücke die Universität „näher an die Wirtschaft“. Das war mehr als eine Floskel im Beisein des Staatssekretärs der modernisierungswilligen Regierung, die sich „Forschung mit Impakt“ wünscht. Marc Hansen ließ durchblicken, er erwarte, dass das LCL zumindest mittelfristig auch private Einnahmequellen erschließe; zwei Millionen Euro pro Jahr sollten „drin sein“.
Für die Universität heißt das, das Modell von „Industriepartnerschaften“, wie sie ihr Forschungszentrum für IT-Sicherheit (SnT) schon unterhält und in deren Rahmen Unternehmen die Forschung mitfinanzieren, am Logistikzentrum zu wiederholen. Aber falls als Geldgeber in erster Linie an in Luxemburg ansässige Unternehmen gedacht wird, fragt sich: Wird die Branche das LCL mittragen?
Man könnte meinen, das sei kein großes Problem. Immerhin ist der staatliche Aktionsplan zum Ausbau der Logistikbranche mehr als zehn Jahre alt und dem jüngsten Jahresbericht des Observatoire de la compétitivité sind recht erfreuliche Zahlen über den Sektor zu entnehmen: 2012 lagen die Umsätze mit 3,7 Milliarden Euro fast wieder auf dem Vor-Krisen-Niveau von 2008 (3,8 Milliarden). Die Arbeitsproduktivität hatte sich im selben Zeitraum leicht erhöht, das Investionsniveau sich von 273 Millionen auf auf 567 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Doch: Die einschlägigen Statistiken erfassen als „Logistik“ nur den Warentransport, weil allein der sich in den Nace-Codes der Wirtschaftsbranchen abbilden lässt. Ein Mehr an Investitionen hat deshalb viel mit neuen Cargolux-Fliegern zu tun (siehe auch den Artikel auf S. 10). Es sagt aber nichts über jene „hochwertige Logistik“ aus, von der schon LSAP-Wirtschaftsminister Jeannot Krecké meinte, vor allem sie solle entwickelt werden, und auf die Ausbildung und Forschung am LCL abzielen sollen.
Entscheidend für den Erfolg des LCL-Modells wird deshalb nicht nur sein, ob Betriebe wie die Post, CFL Multimodal oder Cargolux, die vor allem Transporteure sind, mit dem Zentrum zusammenarbeiten. Sondern ob hier ansässige internationale Dienstleister in der High-end-Logistik wie Kühne & Nagel, DHL oder Panalpina das tun werden. Und ob in der Industrie das Interesse an Logistik wächst. Wie weit man damit kommen kann, zeigt das Beispiel des Sensorherstellers IEE: Ab 2009 wurden dort nicht nur alle Informations- und Stoffströme optimiert, sowohl im Werk in Echternach als auch in den beiden anderen Produktionsbetrieben in der Slowakei und in China. IEE-Logistikdirektor Thomas Mayer, der früher Supply Chain Manager von IBM für Europa war, kann heute sagen: „Ich habe im gesamten Betriebsgeschehen Messpunkte. Reklamiert ein Kunde, kann ich ermitteln, worauf das zurückzuführen war und wo man ansetzen muss“. Das ist nicht nur Logistik, das ist Supply Chain Management, das hinausläuft auf die Verbesserung sämtlicher Prozesse in einem Betrieb. Und das schon bei der Entwicklung eines neuen Erzeugnisses mitbedenken lässt, wie man möglichst hohe Qualität produziert, möglichst schnell liefern kann, möglichst wenig Abfall erzeugt und so fort. 2013 gewann IEE den vierten Platz in einem deutschen Wettbewerb für Supply Chain Management. Die Firma setzt heute mit einer „Liefertreue“ von 99,5 Prozent den Maßstab unter den europäischen Automobilzulieferern. So gesehen, dürfte es an Partnern aus der Praxis für das LCL nicht fehlen. Freilich auch unter der Voraussetzung, dass es gelingt, die verarbeitende Industrie im Lande zu halten. Sie ist das Rückgrat der Logistik.