Noch nie wurde hierzulande ein Gipfeltreffen der reichsten Staaten so aufmerksam verfolgt wie der G-20 am nächsten Donnerstag in London. Weniger, weil dort nach einer Stabilisierung des internationalen Finanzwesens und Auswegen aus der tiefsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten gesucht werden soll. Sondern weil in den letzten Wochen die Angst umging, dass die Mächtigsten der Welt, die 90 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts und 80 Prozent des Welthandels darstellen, nebenbei auch über das kleine Großherzogtum und dessen sehr erträgliche Geschäftsgrundlage, den Finanzplatz, zu Gericht sitzen werden. Wobei als besonders unfair angesehen wird, dass der Angeklagte nicht nur klein und schwach, sondern nicht einmal zu seiner Verteidigung vorgeladen ist.
Ein wenig scheint die Welt deshalb auf dem Kopf zu stehen, wenn sich im Vorfeld des Treffens der christlichsoziale Haushaltsminister Luc Frieden plötzlich die Argumente der Drittweltorganisationen zu eigen macht und bedauert, dass dem G-20 jede völkerrechtliche Grundlage fehlt. Trotzdem hatte alleine die Drohung, dass die OECD dem G-20 eine schwarze Liste der boykottwürdigen Steueroasen vorlege, auf der auch Luxemburg stehe, die Regierung vor zwei Wochen gezwungen, zusammen mit der Schweiz und Österreich ein weiteres Stück Bankgeheimnis zu opfern und entsprechend den OECD-Kriterien die Amtshilfe auf die Bekämpfung der Steuerhinterziehung auszudehnen.
Zwar hatte sich Premier Jean-Claude Juncker nach dem EU-Gipfel am vergangenen Freitag von den bis dahin offen feindselig eingestellten Nachbarn Frankreich und Deutschland versichern lassen, dass Luxemburg auf keine schwarze Liste gehöre. Und die Wählerschaft zu Hause hatte er mit einem mannhaften „Ich habe das gestern geklärt“ beruhigt. Doch gehören dem G-20 nicht bloß Frankreich und Deutschland an. Selbst der Gastgeber des G-20-Gipfels, Großbritannien, wollte dem Luxemburger Premier nichts versprechen – von den meisten anderen G-20-Staaten gar nicht zu reden. Und nach seinem Kurzbesuch Anfang dieser Woche in den USA, um noch vor dem G-20-Gipfel mit Washington über eine Anpassung des bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen an die OECD-Kriterien zu verhandeln, hatte es Luc Frieden versäumt, Einzelheiten über die Erfolge seiner Verhandlungskunst bekannt zu machen.
Innerhalb des G-20 gibt es zahlreiche Interessenkonflikte. Etwa zwischen den USA und der Europäischen Union, ob es vordringlicher sei, zusätzliche Milliarden für die Sanierung der Banken und die Belebung der Konjunktur auszugeben, oder ob zuerst die Regulierung des Finanzwesens verschärft gehört. Wobei die Verschärfung und mögliche Internationalisierung der Bankenaufsicht ebenfalls direkt die Geschäftsgrundlage des Luxemburger Finanzplatzes berührt.
Auch wenn die Luxemburger Regierung an der offiziellen EU-Position festhält und die Forderung der USA nach einer Vergrößerung der Konjunkturprogramme ablehnt, dürfte sie doch Sympathien für die Ansichten Washingtons und Londons hegen, dass man eine erneute Regulierung der während Jahren liberalisierten Finanzmärkte nicht übertreiben soll. Wenn sich aber die Interessenkonflikte auf dem G-20-Gipfel als unüberbrückbar erweisen sollten, ist nicht ausgeschlossen, dass um so resoluter den Finanzzentren der Krieg erklärt wird, die keinen, wie Luxemburg gestern, oder – wer weiß – keinen automatischen Informationsaustausch, wie Luxemburg heute, zulassen. Und sei es nur, um ein völliges Scheitern des Gipfels zu verhindern.