Banker-Boni

Bonus Malus?

d'Lëtzebuerger Land vom 26.02.2009

Justice Bernard Fried. Attorney General Andrew Cuomo. Die Namen stammen nicht aus Crime Scene Investigation, Law and Order oder  sonstigen US-Krimiserien. Sie gehören den beiden Männern, welche den früheren Chef der ehemaligen US-Investement Bank Meryll Lynch diese Woche dazu zwangen, über die 3,6 Milliarden Dollar Boni auszusagen, die Ende 2008 an Meryll-Top-Leute gezahlt wurden. Die 3,6 Milliarden waren noch schnell vor Jahresende überwiesen worden, bevor man einen Verlust von 15,3 Milliarden Dollar für das letzte Quartal 2008 bekannt geben musste. Das, obwohl Meryll im Laufe des vergangen Jahres von der Bank of America vor dem Bankrott gerettet werden musste, die ihrerseits wegen der Übernahme staatliche Hilfe in Anspruch nehmen musste. Seitdem tobt die Öffentlichkeit. Zu Recht.

Meryll Lynch ist ein extremes Beispiel für die „Abkassier-Mentalität“, die der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück beklagt. Die kann er allerdings auch zu Hause, nicht nur in den USA, beobachten. Denn dort gibt es ein ganz ähnliches Szenario. Die Commerzbank übernahm vergangenen Sommer die Dresdner Bank, in der Folge musste das kombinierte Kreditinstitut die Hilfe des deutschen Bankenrettungsfonds Soffin in Anspruch nehmen. Der ehemalige Eigentümer der Dresdner hatte den Investment-Bankern für 2008 einen Bonus-Topf von 400 Millionen Euro zugesichert. Darauf wollten diese auch nach der Übernahme durch die Commerzbank und trotz staatlichen Eingreifens nicht verzichten. Eine Einstellung, die Steinbrück und seiner Kanzlerin Angela Merkel überhaupt nicht gefiel. 

Und nicht nur ihnen. Die Aufregung in den Medien und in der Öffentlichkeit war groß: Weshalb sollen Pleite-Banker für Verluste belohnt werden, für die der Steuerzahler haftet? Die Leitung der Commerzbank schritt ein. Für 2008 wurden alle Boni gestrichen.

Oder so ähnlich. „Man kann nur das ausgeben, was man eingenommen hat. Anders gesagt, wo Verluste erwirtschaftet werden, kann auch nichts verteilt werden“, schrieben die Chefs in einer Mitteilung ihren Mitarbeitern. Eine individuelle Anerkennung erhalten sie dennoch. Und dort, wo Prämien vertraglich zugesichert sind, müssen diese auch gezahlt werden. Diese Maßnahmen gelten für alle Commerzbank-Tochtergesellschaften, im In- wie im Ausland. Also auch in Luxemburg, wo Commerz-, Dresdnerbank und die Investmentbanker der Dresdner Kleinwort vertreten sind. „Vertraglich zugesichert“ ist dabei das Stichwort schlechthin. Denn ob in Übersee oder in Europa: Wem laut Arbeitsvertrag eine Prämie zusteht, dem muss sie gezahlt werden. Es sei denn, er oder sie verzichtet freiwillig. Das musste auch Steinbrück zähneknirschend eingestehen: In privatrechtliche Verträge kann der Staat nicht eingreifen.

Am Bankenstandort Luxemburg präsentiert sich die Lage recht kompliziert. Eine Mehrheit der Angestellten ist durch den Tarifvertrag geschützt. Die darin verankerten Prämien müssen die Arbeitgeber zahlen. Sie sind ihren Angestellten – trotz Rezession – im Juni die „Konjunkturprämie“ schuldig, die je nach Gehältergruppe bis zu rund 4 400 Euro pro Person betragen kann. Obwohl das eine vorhersehbare und eingeplante Ausgabe ist, wird sie vielen Banken reichlich weh tun, so ABBL-Direktor Jean-Jacques Rommes gegenüber dem Land. Doch zwischen den Bankmitarbeitern, deren Bezahlung tariflich geregelt ist, und den Vorständen gibt es die Schicht des middle management, das im Prinzip besser verdient als im Tarifvertrag vorgesehen. Dafür ist aber auch der variable Anteil am Jahresgehalt größer. Millionenboni wie in den USA, wo die Prämien das Basisgehalt oft um ein Vielfaches übertreffen, werden zwar in Luxemburg nicht bezahlt. Doch wer sich in den vergangenen Jahren daran gewöhnt hat, zwischen zehn und 20 Prozent seines Grundgehaltes obendrauf zu verdienen, den werden Einschnitte schmerzen. Die gibt es unweigerlich auch in Luxemburg. 

Bei BGL und Dexia Bil – den Empfängern staatlicher Hilfspakete – verzichten die Vorstände auf ihre Prämien, das haben beide Banken bereits vor Wochen vorsorglich angekündigt. Wohl deshalb, und weil die ganz großen Gehälter ohnehin nicht in Luxemburg, sondern anderswo gezahlt werden,  schwappte die große Debatte, die im Ausland geführt wird, nicht nach Luxemburg über. Die Angestellten von Dexia Bil und BGL haben derzeit noch keine Gewissheit über ihre Gratifikationszahlungen – viele Banken zahlen auch den Mitarbeitern, die tariflich gebunden sind, außertarifliche Prämien. 

Die Dexia Bil hat jedoch bereits folgendes Muster festgehalten: Das Gesamtvolumen geht um 35 Prozent zurück. Je näher die Mitarbeiter dem Entscheidungszentrum sind, um­so geringer fallen die Prämien aus. Umgekehrt heißt das, dass die Prämien für die Mitarbeiter, die von der Entscheidungsebene weit entfernt sind, fast genauso hoch ausfallen werden wie im Vorjahr. Bei der BGL gibt es noch keine Entscheidung, der Trend geht aber in die gleiche Richtung. Damit soll wohl vermieden werden, dass die Mitarbeiter, die am Bankschalter ihr Bestes gaben, um verunsicherte und wütende Kunden zu betreuen, für die Fehler ihrer Vorgesetzten büßen müssen.

ING hat die Prämien drastisch gekürzt. Auch wenn Eric Groenendaels, ING-Sprecher, nicht sagen will, wie drastisch, ist seine Aussage unmissverständlich: „Der Bonus 2009 wird darin bestehen, dass man überhaupt ein Gehalt erhält.“ Die niederländische Bank nimmt dabei keine Rücksicht auf die Hierarchie. „Klein und Groß“ müssen in gleichem Maße sparen helfen. Bei ING sind 27 Prozent der Angestellten nicht tariflich gebunden. Bei der Dexia waren es Ende 2008 500 von rund 2000 Mitarbeitern. Im Commerzbank-Konzern sei die Hälfte der Mitarbeiter über Tarifverträge eingestellt, so Sprecher Stefan Roberg. Angesichts der Luxem­burger Aktivitäten sei der Anteil der außertariflich eingestellten Mitarbeiter eher noch höher. Aleba-Präsident Marc Glesener zufolge sei ein Schnitt von 80 Prozent zwar wahrscheinlich, aber eigentlich zu niedrig. „Viele Mitarbeiter, die nicht über den Tarifvertrag eingestellt sind, entsprechen nicht den Kriterien, welche die Kaderfunktionen definieren.“ Nur wenige Banken wollen über Boni oder Einstellungsmodalitäten Auskunft geben, obwohl ihre Mutterhäuser im Ausland schon Aussagen gemacht haben. 

Die Frage, wer wie eingestellt wurde, ist aus zweierlei Gründen von Bedeutung. Dass bei teilverstaatlichten Banken unterhalb der Vorstandsebene für 2008 Prämien ausgezahlt werden sollen, das könnte auch hierzulande in der Öffentlichkeit auf Widerstand stoßen. 

Die Banken selbst sitzen dadurch in der Zwickmühle: Zahlen sie Prämien, riskieren sie, die Wut der Steuerzahler auf sich zu lenken. Und ob die Minigewinne, die manche Bank 2008 maximal noch einfahren konnte, ausreichen, um die Bonuszahlungen abzudecken, sei einmal dahingestellt. Zahlen sie jedoch nicht, riskieren ihnen – wie im Ausland auch – die hochqualifizierten Mitarbeiter davonzulaufen, die sie für den Wiederaufbau ihrer Institute dringend brauchen. Sie müssen Prämien zahlen, um das Personal zu halten. Zudem folgt darauf die Frage, wie die Bezahlung der Kader künftig überhaupt gestaltet werden soll. Das heißt, wie hoch soll der variable Anteil der Bezahlung und an welche Bedingungen soll er gebunden sein? Einem Dexia-Sprecher zufolge beruht sie Auszahlung der Prämien auf der individuell erbrachten Leistung der Mitarbeiter. Bisher ist nicht vorgesehen, dass die Bedingungen ändern werden. ING möchte dazu überhaupt nichts sagen, das seien vertrauliche Informationen, sagt Groenendaels, auch die BGL macht keine Aussage. 

Ob dies auch in Zukunft vertrauliche Informationen bleiben, darf bezweifelt werden. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso kündigte vergangene Woche an, im April oder Mai Vorschläge über die Gestaltung der Bankgehälter machen zu wollen. Hinter Barroso stehen die G7-Staaten der EU, der Chef der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet und der Vorsitzende der Eurogruppe Jean-Claude Juncker, die bei ihrem Treffen in Berlin vergangenes Wochenende zu ähnlichen Einsichten kamen. Es müsse ein System geschaffen werden, das die Gier nach schnellen Gewinnen zügele und Scheitern nicht belohne, sagte Barroso. Das klingt vielversprechend, wird aber in der Praxis schwer werden.

Soll künftig das Konzernergebnis oberstes  Kriterium für das Auszahlen von Prämien an Mitarbeiter und Manager sein? Nein, sagen manche Beobachter, weil just diese Methode kurzfristiges Denken und Handeln fördert. Die Konsequenz: das Ergebnis wird gepusht, damit möglichst hohe Boni kassiert werden können. Dass aber mancher Arbeitsvertrag in der Finanzbranche überhaupt keine Klausel enthielt, die ein positives Ergebnis als Zahlungsbedingung vorausgesetzt hätte, führte dazu, dass mancher Banker trotz Rekordverlus­ten und staatlichen Rettungsaktionen jetzt noch Prämien einfordern kann. 

Muss demnach nur die individuelle Leistung beurteilt werden? Die Gegenfrage lautet: Wie? Darüber stritten allein hierzulande Gewerkschaft und Bankenverband während der letzten Tarifrunde über Monate hinweg. Was, wenn die Vorgesetzten bei der Bewertung persönlichen Groll mitspielen lassen, lauteten die Bedenken. Und wer sollte überhaupt den persönlichen Einsatz von Vorständen bewerten? Sollen Prämien durch stock options, also Aktien der Gesellschaft, vergütet werden, weil dadurch das Wohlergehen des Unternehmens zum automatischen Anliegen wird? 

Auch das, glauben Kritiker, fördert kurzfristiges Handeln und Manipulationen des Aktienkurses. Manche Kenner ziehen im Retail-Banking auch den Marktanteil als Erfolgsbarometer in Erwägung. Ob dadurch die Hemmschwelle beispielsweise bei der Vergabe von Hyothekenkrediten sinkt? Soll es künftig überhaupt keinen variablen Gehaltsanteil mehr geben, stattdessen höhere Festgehälter? Das wäre vielleicht eine Antwort auf den brain drain, der manchem Institut droht, wenn keine Prämien ausgezahlt werden.

Dass es weiterhin variable Anreize geben soll, darüber scheinen sich Politik und Branche einig. In Großbritannien, das derzeit den Vorsitz der G-20 Länder innehat und das Thema auf deren Sitzung Anfang April in London anschneiden will, experimentiert man bereits. Die teilverstaatlichte Royal Bank of Scotland, die sich 2007 am Kauf von ABN Amro beteiligte, überdenkt nach der großen öffentlichen Aufregung über eventuelle Bonuszahlungen in Höhe von über einer Milliarde Pfund ihr Prämiensystem. Demnach sollen für das Jahr 2008 – in dem die Bank einen Verlust von über 24 Milliarden Pfund einfuhr – geschuldete Prämien über drei Jahre verteilt gezahlt werden und zurückerstattet werden, wenn die gesteckten Ziele nicht erreicht werden. Auf diese Art soll verhindert werden, dass Luftschlösser aufgebaut und dafür dicke Prämie kassiert werden können, bevor die Wahrheit ans Licht kommt. Es bleibt abzuwarten, wie weit die Vorschläge  von EU und G-20 gehen werden, und welcher Teil der Hierarchie davon betroffen sein wird. Betroffen sein, kann man auf jeden Fall davon, dass solche Maßnahmen nötig sind, da einige Banker über so wenig Ethik verfügen, dass sie auf ihren Boni bestehen, obwohl das System um sie herum zusammenbricht. Wer darüber sauer ist, sollte diese Banker aber in seiner Wut nicht mit den Bankangestellten verwechseln, die vor und auch während der Krise ihr Bestes gegeben haben und eine bescheidene Prämie sicherlich verdient haben.

Michèle Sinner
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