Francis Dahm gibt sich gelassen. Die Eisenbahnstrecke Ettelbrück-Diekirch? Die Frage nach deren Zukunft stelle sich „längerfristig“, sagt der Bürgermeister von Erpeldingen, der derzeit turnusgemäß das politische Begleitkomitee zum Nordstad-Projekt präsidiert. Es gehe beim Nordstad-Vorhaben ja auch um mehr als nur Mobilitätsfragen, und die geplante Zentrale Achse Ettelbrück-Diekirch, für die letztes Jahr ein Planungswettbewerb stattgefunden hatte, dürfe man „nicht nur vom Verkehr her sehen“.
Das klingt, als ginge es darum, die Gemüter zu beruhigen, und so ist es wohl auch gemeint. Denn Verkehrsplanungen werden hierzulande erfahrungsemäß schnell zum Politikum, und das Zeug dazu hat die vier Kilometer lange „Gleis-Antenne“, das Überbleibsel der einst über 50 Kilometer langen Sauer-Strecke Ettelbrück- Echternach-Wasserbillig, eventuell ebenfalls. Seitdem Transportminister Lucien Lux am 18. Januar auf dem Kongress des LSAP-Nordbezirks erklärt hat, in dieser Legislatur falle keine Entscheidung mehr über diese Verbindung, ihre längerfristige Zukunft werde im Detail studiert und die Strecke kurzfristig aufgewertet, ist die Nordstad-Mobilitätsfrage nach Klimawandel, Autosteuer und Euthanasie in den Leserbriefspalten der Zeitungen angekommen. FNCTTFEL-Landesverband und zwei Pro-Tram- Vereinigungen marschierten am Montag vergangener Woche zu einer Kundgebung am Ettelbrücker Bahnhof auf und protestierten noch einmal prophylaktisch gegen einen Streckenabbau, traten für eine Nordstad-Tram ein, die auch nach Gilsdorf und Bissen fahren würde, und verlangten außerdem einen Ausbau der CFL-Nordstrecke zwischen Ettelbrück und Ulflingen auf zwei Gleise. Da schlug sich einen Tag später auch die christliche Transportgewerkschaft Syprolux zu diesem Thema endgültig auf die Seite von Nico Wennmacher und seinen Mitstreitern: So lange keine „feste Zusage für eine alternative und vor allem angemessene Lösung“ vorliege, „müsse sich die Syprolux unnachgiebig für den Erhalt der Strecke stark machen“, zitierte am Tag danach d‘Wort den Syprolux-Präsidenten Georges Bach von der Generalversammlung Syprolux-Norden in Hoffelt. Im Publikum saßen auch der CSV-Abgeordnete und Ettelbrücker Bürgermeister Jean-Paul Schaaf, sein Fraktionskollege Ali Kaes und CSV-Generalsekretär Marco Schank.
Damit steht nicht mehr allein der sozialistische Transportminister mit Gewerkschaftsvergangenheit Lucien Lux unter dem Druck des parteiinternen Transportgewerkschafterflügels um Nico Wennmacher und Roland Schreiner – der Konflikt ist auch in der CSV angelangt, wenngleich kaum im selben Ausmaß. Die DP sieht das offenbar ähnlich, denn ihre Nord-Sektion verschickte vergangenen Donnerstag eine Pressemitteilung, in der sie vor einem „Glaubenskrieg“ warnte, ihn aber gleichzeitig zu schüren versuchte, als sie meinte, „dass der öffentliche Transport in der Nordstad zu 95% mit dem Bus und nur zu 5% über die Schiene erfolgt, dass also der Einsatz von 20 statt 19 Bussen den Personentransport mit dem Zuge voll kompensieren kann“.
Vergleiche dieser Art erinnern eher an Ansprachen des einstigen Transportministers Henri Grethen an die Abgeordnetenkammer als an die Nord-Liberalen, unter denen es Nordstad-Vordenker wie André Bauler gibt. Aber möglicherweise steht zum Thema Nordstad in den kommenden Wochen Krach in der Regierungskoalition bevor: „Unter meiner Führung wird noch vor den Osterferien eine interministerielle Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung eines detaillierten Mobilitätskonzepts für die Nordstad beginnen“, erklärt der Transportminister dem Land. „Das wurde am 18. September während der Mobilitätswoche mit dem Bautenminister und dem Landesplanungsminister so abgemacht, und das habe ich unter anderem auch auf dem LSAP-Nordkongress gesagt.“ Am 18. September 2007 meinte Lux noch, man müsse schon gewichtige Argumente finden, um die Bahn zwischen Ettelbrück und Diekirch abzubauen, und der Pressedienst der Regierung meldete amtlich: „Il est prévu d‘élaborer un concept de mobilité détaillé par un groupe de travail interministériel. Il pourra ensuite être procédé aux études de faisabilité techniques nécessaires pour la réalisation des infrastructures retenues.“
Die Sache ist nur die, dass Landesplanungsminister Jean-Marie Halsdorf Mitte April den Masterplan Nordstad im Regierungsrat vorlegen soll. An diesen Masterplan würden anschließend die Bebauungspläne der Nordstad-Gemeinden angepasst. Ihre Schöffenräte kennen ihn schon: „Da sieht man auch deutlich, wie der Boulevard urbain gedacht ist, entlang dem es eine dichte Urbanisierung geben soll“, sagt Francis Dahm. Und in dem die bestehende Eisenbahnlinie nicht mehr vorkommen soll, wie es alle sechs Gemeinden im Oktober 2006 einstimmig beschlossen und anschließend in einem Brief an den Bauten- und an den Transportminister wünschten. Am 14. März werde der Masterplan den Gemeinderäten unterbreitet und drei Wochen später darüber abgestimmt. Mitte April werde eine Pressekonferenz mit dem Landesplanungsminister stattfinden. Anschließend werde dieser alle seine Ministerkollegen hinter den Masterplan bringen, hofft Dahm.Wäre damit eine Entscheidung über die Bahnstrecke zwischen Ettelbrück und Diekirch nicht doch vor Ende der Legislatur verbunden? Jean-Marie Halsdorf meint, nein: „Das eine schließt das andere nicht aus“, erklärt er dem Land. Mehr will er dazu „im Moment“ nicht sagen.
Ob das Streit im Kabinett verhindern wird, muss sich zeigen. Ob es die Nordstad-Gemeinden zufrieden stellen wird, ebenfalls: Immerhin geht es um Perspektiven, die in die Bebauungspläne einfließen sollen, und damit um die Möglichkeit, Flächen für spätere Zwecke umzuwidmen und nicht zuletzt zu erwerben. Auch um die Bebauung heute von der Bahn genutzter Flächen geht es. „Keiner von uns will morgen die Bahnstrecke abbauen“, sagt der Ettelbrücker Bürgermeister Jean-Paul Schaaf, „wir brauchen aber eine Langfrist-Perspektive. Schon deshalb, weil alle Gemeinden, nicht nur die aus der Nordstad, bis spätestens 2011 ihre Bebauungspläne erneuern müssen.“
Aber vielleicht hat die Koalition schon eine Art Exit-Strategie gefunden, die den beteiligten Regierungsmitgliedern erlaubt, ihr Gesicht zu wahren. Schließlich wird sogar LSAP-intern kolportiert, dass Lucien Lux noch im vergangenen Jahr einer Streckenstilllegung nicht abgeneigt war. Was er heute bestreitet: „Ich habe das nie gesagt.“
Halsdorf wiederum dürfte beim Versuch, sich mit der Nordstad ein Denkmal zu setzen, wie es seinem Vorgänger Michel Wolter mit der Neunutzung von Belval-West gelungen war, seinen Beamten zu viel freie Hand gelassen haben. Recht merkwürdig wurde mit den Resultaten eines 2006 fertiggestellten Mobilitätskonzepts für die Nordstad umgegangen: Die Studie, die unter anderem „la réorganisation fondamentale des transports publics et leur promotion comme réelle alternative à la voiture“ zum Gegenstand hatte, hielt als drei Zukunftsoptionen „Bahn plus Bus“ wie heute, „Bus allein“ und „Bus plus Tram“ fest. Bahn plus Bus schnitt schlecht ab – wie die Bahnstrecke aufgewertet werden könnte, wurde allerdings nicht untersucht. Ob 30 000 Nord-Städter die kritische Masse für eine Tram erreichen würden, ebenfalls nicht.
Auf Basis dieser Studie plädierten die Nordstad-Gemeinden gegen die Bahn, und als es den Ideenwettbewerb, die „consultation rémunérée“ zur Gestaltung der zentralen Achse Ettelbrück-Diekirch auslobte, hielt das aus den Nordstad-Gemeinden und Beamten des Landesplanungsministeriums gebildete politische Begleitkomitee in dem am 20. Dezember 2006 veröffentlichten Lastenheft Zentrale Achse Nordstad auf Seite 65 fest: „Im ,Comité Politique‘ vom 27. Oktober 2006 haben die 6 Gemeinden der Konvention Nordstad einstimmig beschlossen, die entsprechenden Ministerien aufzufordern, eine performante Alternative für den öffentlichen Verkehr zur eingleisigen Zugstrecke Ettelbrück-Diekirch zu suchen. Dies ist im Teilbereich Verkehr der einzige Fixpunkt, der von allen Teams der ,consultation rémunérée‘ zu berücksichtigen ist. Alle anderen Überlegungen, die im Bereich Verkehr in diesem Kapitel erläutert werden, sind dagegen keine Fixpunkte und können dementsprechend hinterfragt werden.“ Da ist es kein Wunder, dass von den Wettbewerbsteilnehmern aus dem In- und Ausland zumindest keine offiziellen Einwände gegen den Streckenabbau überliefert sind.
So manches bleibt nun abzuwarten: Ob das Nordstad-Projekt einen Dynamikverlust erleidet und wie sich die Bevölkerung dazu stellt etwa. Aber auch, ob es den CFL noch vor den Wahlen gelingen wird, zwischen Ettelbrück und Diekirch zwei neue Haltestellen zu bauen. An diesen Fragen könnte sich die politische Zukunft zweier derzeitiger Minister zumindest mitentscheiden.