Die Erleichterung war groß, als den EU-Finanzministern vergangenen Dezember doch noch eine Einigung über eine zentrale Bankenaufsicht (SSM) gelang. So groß, dass die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel die Pläne zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion aufschob. Dabei sind die zur Bankenunion auch noch nicht wirklich ausgegoren. Sie bestehen bislang aus zwei Verordnungsvorlagen: Eine bildet die Grundlage für die Übertragung verschiedener Aufsichtsaufgaben an die Europäische Zentralbank, die andere regelt die Abstimmungsmodalitäten innerhalb der Europäischen Bankenautorität (Eba) neu. Das ist der erste Teil der Bankenunion, die aus mehreren Elementen besteht: Gemeinsame Kriseninterventionsmechanismen sollen folgen. Im Kompromisstext ist die Rede von einem gemeinsamen Abwicklungsmechanismus, der durch eine Abwicklungsbehörde geführt werden könnte. Vorschläge dafür sollen in den kommenden Monaten vorgelegt werden. Dies nachdem die Richtlinien, die Binnenkommissar Michel Barnier über die Bankenabwicklung und die Einlagensicherung bereits vorgelegt hat, angenommen sind. Barniers Vorschläge sehen die Einrichtung solcher Mechanismen und Strukturen in den jeweiligen EU-Staaten vor, nicht aber die gemeinsamer Mechanismen und Strukturen. Dazu fehlte bisher der politische Wille.
Dass die Vorlagen für den SSM im Schweinsgalopp und unter dem Druck der Staatsschuldenkrise in der Eurozone ausgearbeitet wurden, – die gemeinsame Aufsicht ist Bedingung dafür, dass der europäische Rettungsschirm ESM notleidenden Banken direkt Geld geben, statt den Umweg über Staaten zu nehmen – ist ihnen deutlich anzumerken. Der gefundene Kompromiss lässt viele Fragen offen. Für die Klärung der Details bleibt wenig Zeit, denn spätestens im März 2014, soll der Single Supervisory Mechanism (SSM), wie die neue Bankenaufsicht durch die EZB genannt wird, funktionieren. Yves Mersch, Luxemburger Mitglied im Direktorium der EZB, wird federführend für die Umsetzung zuständig sein. Keine leichte Aufgabe. Denn es ist durchaus fraglich, ob Bankenunion und SSM die europäische Bankenlandschaft und ihre Aufsicht tatsächlich einen – oder doch eher spalten.
Die EZB wird die direkte Aufsicht der „großen“ Banken in der Eurozone und den Nicht-Euro-Staaten übernehmen, die freiwillig beim SSM mitmachen. Als Kriterien dafür wurden zurückbehalten: eine Bilanzsumme von mindestens 30 Milliarden Euro oder Aktiva, die größer sind als 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes des jeweiligen Landes. In jedem Fall wird die EZB immer für die drei größten Kreditinstitute der teilnehmenden Staaten zuständig sein. Finanzminister Luc Frieden (CSV) erklärte nach der Einigung im Parlament, ungefähr die Hälfte der Luxemburger Banken würde künftig unter EZB-Aufsicht gestellt, beziehungsweise unter CSSF-Aufsicht bleiben. Die Filialen großer Gruppen, wie BGL-BNP-Paribas, werden über das Mutterhaus von der EZB beaufsichtigt. Sie wird ebenfalls für die größte „Luxemburger“ Bank im Land, die BCEE, zuständig sein. Spannender wird es bei kleineren Banken und den Filialen von Banken aus Nicht-Euro-Staaten: Der Richtwert für das Verhältnis ihrer Aktiva zum Bruttoinlandprodukt wird 8,4 Milliarden Euro betragen.
Teilnehmende Staaten ist ein gutes Stichwort, wenn man bewerten will, ob die Bankenunion Einheit bringt: Großbritannien mit seiner großen Finanzindustrie wird dem SSM – wie andere Länder – fernbleiben, das heißt, dass die britischen Geldhäuser der geplanten einheitlichen Aufsicht nicht unterworfen werden. Dass nur die großen Kreditinstitute von der EZB überwacht werden sollen statt alle, war eine Forderung Deutschlands. Ob es zweckdienlich ist, bleibt umstritten. Denn Probleme gab es während der Finanzkrise nicht nur in großen Instituten. Im Gegenteil. Die spanischen Cajas, die als erste europäische Banken vom ESM direkt neues Kapital erhalten sollen, sind recht überschaubar im Vergleich zu europäischen Großbanken. Deswegen soll der SSM flexibel sein und auch die Aufsicht solcher Banken übernehmen, die Probleme haben und vom ESM Geld erhalten.
Grundlage für die zentrale Aufsicht durch die EZB soll das Single Rulebook, das einheitliche Regelbuch, sein. Damit ist gemeint, dass alle Banken den gleichen Aufsichtsregeln unterworfen werden. Dies ist sowohl organisatorisch als auch juristisch eine spannende Frage. Denn bislang werden zwar die Rahmenregeln über die Kapitalanforderungen – die stehen im Zentrum der Aufsichtsaufgaben der EZB – in Brüssel gemacht. Die Richtlinien werden dann in den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt, auf das sich die EZB gemeinhin bei ihren Arbeiten nicht stützt. Dabei gibt es meist Spielraum bei der Umsetzung – weshalb die Regeln alles andere als einheitlich sind. Noch sind die Arbeiten zur vierten Reform der Kapitalregeln für die europäischen Banken nicht abgeschlossen. Mit der Capital requirements directive IV (CRD IV) sollten eigentlich die neuen internationalen Standards, Basel III genannt, ab dem 1. Januar 2013 phasenweise eingeführt und dabei auf die Uniformität der Regeln innerhalb der EU geachtet werden: das Single Rulebook. Doch erstens konnten sich die Finanzminister nicht auf diese Uniformität einigen – manche wollten strengere Anforderungen als andere –, und zweitens ist der Zeitplan schon dahin, noch haben Kommission, Rat und Parlament keine Einigung gefunden. Um die Nicht-Euro-Staaten dafür zu „kompensieren“, dass sie nicht im obersten Bankenaufsichtsgremium, dem EZB-Gouverneursrat, vertreten sind, werden durch die zweite Verordnungsvorlage vom Dezember die Abstimmungsmodalitäten binnen der Eba geändert. Dadurch werden die Nicht-Euro-Länder begünstigt, was manche Beobachter befürchten lässt, dies könne die Arbeiten am Single Rulebook verlangsamen.
Dass der Zeitplan für die Umsetzung des SSM so eng ist, bleibt nicht ohne Wirkung auf die qualitative Ausrichtung des Mechanismus. Die EZB soll für ihre Aufsichtsaufgaben die bestqualifizierten Mitarbeiter einstellen. Diese binnen kürzester Zeit in ausreichender Zahl aufzutreiben, wird nicht leicht werden. Denn wenn die neue EZB-interne Aufsicht für ungefähr 200 Banken direkt zuständig sein und zudem die Zusammenarbeit mit den nationalen Aufsichtsbehörden koordinieren soll, sind mehrere hundert eine realistische Schätzung. Die CSSF, die allerdings nicht nur Banken überwacht, beschäftigte Ende 2011 über 400 Mitarbeiter. Deshalb wird der EZB kaum etwas anderes übrig bleiben, als den Großteil ihrer Aufgaben an die nationalen Behörden zu delegieren. Was zur Frage führt, inwiefern die zentrale Aufsicht durch die EZB eine qualitative Verbesserung der Aufsichtspraxis mit sich bringt. Oder ob der SSM nicht eher dazu führt, dass im Endeffekt die Aufsicht dieselbe bleibt und nur die Oberzuständigkeit, statt bei den nationalen Behörden, in Frankfurt liegt. Denn so verhält es sich auch, was die Ausstellung und den Entzug von Banklizenzen betrifft. Großspurig wurde im Dezember in Brüssel verlautbart, dafür werde in Zukunft die EZB zuständig sein. Im Detail wird es so sein, dass die nationalen Behörden die Banklizenzen erteilen, dies der EZB mitteilen und diese zehn Tage Zeit hat, um Einspruch zu erheben. Für die Luxemburger Regierung, die bei Banken im nahen und fernen Ausland darum wirbt, in Luxemburg Filialen aufzumachen, war es wichtig, Bewerbern, die dafür notwendige Lizenz auch selbst erteilen zu können.
Wenn aber die Praxis unverändert bleibt, die Verantwortung für die Arbeiten aber in Frankfurt liegen, führt das zur Frage, wem die Aufseher von der EZB Rechenschaft schuldig sind. Die EZB soll Berichte, die sie im Rahmen ihrer Aufsichtsaufgaben verfasst und dem Europäischen Parlament wie dem Rat zustellt, künftig auch an die nationalen Parlamente schicken. Sie können der EZB ihrerseits Anmerkungen und Fragen senden, auf welche die EZB laut Vorlagentext reagieren „kann“. Zwecks Austausch kann der Vorsitzende des Aufsichtsgremiums zudem eingeladen werden.
Dieses Aufsichtsgremium soll die Aufsichtsentscheidungen im Gouverneursrat der EZB vorbereiten. Dadurch soll der Interessenkonflikt für die EZB-Gouverneure gemindert werden, die in monatlichen Sitzungen über die Zinsen im Euroraum entscheiden. Vor allem Deutschland hatte einen Konflikt für den Fall befürchtet, dass die Inflationsentwicklung ein Anheben der Zinsen verlangen würde, dies aber die von der EZB beaufsichtigten Banken in Bedrängnis bringen würde. Vom Konflikt der entsteht, wenn aufsichtsrechtlich gegen Banken vorgegangen werden muss, diese aber als Kunden der EZB mit milliardenschweren Krediten sind, wird weniger gesprochen. Die SSM-Vorlage verlangt von den Gouverneuren die strikte Trennung ihrer geldpolitischen und aufsichtsrechtlichen Aufgaben. „Such differentiation should at least include strictly seperated meetings and agendas.“ Was ein bisschen so klingt, als ob die Gouverneure zwischen zwei Sitzungen mindestens einmal den Saal verlassen müssten.
Ob der SSM helfen kann, das Finanzsystem in der Eurozone und die Währungsunion stabiler zu machen, bleibt demnach abzuwarten und hängt auch davon ab, ob sich die Mitgliedstaaten tatsächlich zu gemeinsamen Abwicklungs- und Einlagensicherungsmechanismen durchringen können. Ohne Letztere riskieren im Falle des Falles doch die Steuerzahler auf den Kosten von Bankinsolvenzen oder –rettungen sitzen zu bleiben. Dann wäre die gemeinsame Bankenaufsicht nur ein Feigenblatt für geplante Kapitalinjektionen des ESM in taumelnde Banken. Dabei sind die Banken nur eine Gattung von Akteuren, die am Finanzmarkt aktiv sind und seine Stabilität gefährden können.
Christoph Nick
Kategorien: Die Union
Ausgabe: 11.01.2013