Am Montag traf sich erstmals in öffentlicher Sitzung der parlamentarische Ermittlungsausschuss, der laut einer einstimmig verabschiedeten Resolution vom 1. Dezember die Operationsmethoden des Service de renseignement de l‘État (Srel) seit seiner Gründung vor mehr als einem halben Jahrhundert auf ihre Rechtmäßigkeit hin untersuchen will. Der Bericht, den das Parlament im Laufe des nächsten Jahres vorgelegt bekommen soll, könnte vielleicht so aussehen: Am 14. Juli 1960 verabschiedet die Abgeordnetenkammer mit 36 Stimmen von CSV, DP und LSAP gegen sieben Stimmen von LSAP und KPL das Gesetz vom 30. Juli 1960 zur Schaffung des Service de renseignements. Damit soll sie im Kalten Krieg einer internationalen Verpflichtung gegenüber den Nato-Partnern nachkommen, wie es im Motivenbericht heißt. Das Zweite Büro des Armeestabs beschaffte damals nur militärische Informationen, und die Sûreté arbeitete nicht geheim genug, um diese Aufgaben zu erfüllen. Der Aufbau des Dienstes geschieht durch die Abkommandierung von Beamten aus Armee, Gendarmerie und Polizei. Der Service de renseignements übernimmt das bereits 1952 gegründete und 1956 in der Ungarn-Krise erstmal aktivierte Comité clandestin de planning vom Zweiten Büro der Armee. Diese auf Wunsch der USA und der Nato bereitgestellten Agenten bilden die Guerilla-Gruppe Stay behind (in Italien: Gladio), so Staatsminister Jacques Santer vor dem parlamentarischen Ausschuss der Institutionen und Verfassungsrevision am 17.12.1990. Sie sollen im Falle einer Besetzung des Landes hinter der Front aktiv werden. Gleichzeitig werden, wie in anderen Staaten, auf Wunsch der Nato Listen von Personen angelegt, die im Fall einer Kriegsgefahr erschossen, verhaftet oder an die Alliierten ausgeliefert werden sollen. Auf die Frage, was es mit diesen Listen auf sich habe, meint Premierminister Pierre Werner während einer Pressekonferenz, das sei schwer zu beantworten (Tageblatt, 4.7.1963, d’Lëtzebuerger Land, 12.7.1963). Daneben beginnt der Nachrichtendienst die innenpolitische Überwachung. Im Januar 1963 bespitzelt ein Service de renseignements-Agent Eisenbahner, die an einer Kundgebung ihrer Gewerkschaft FNCTTFEL teilnehmen (Tageblatt, 27.1.1963, d’Lëtzebuerger Land, 1.2.1963). Im Januar 1965 bespitzelt ein Service de renseignements-Agent die Streikversammlung von Arbeitern der Benzinfirmen unter Vorsitz des kürzlich verstorbenen LSAP-Politikers René Hengel (Tageblatt, 2.9.1967). Im gleichen Jahr enttarnt Präsident René Blum den Agenten E.N. in der Freundschaftsgesellschaft Luxemburg-Volksrepublik China, so der maoistische KBL in Weg mit dem Spitzeldienst, Luxemburg 1972. Nach einem Leserbrief von Edy Steffen in Les Sacrifiés 9/1967 über die Verkommenheit der politischen Parteien ermittelt der Service de renseignements im Herbst 1967 bei einem Vorstandsmitglied der Anciens combattants über den Autor. Am 15. Juli 1967 beginnt Tageblatt-Chefredakteur Jacques F. Poos eine Pressekampagne „Der Abhorchskandal ist permanent!“, laut der die Telefongespräche von CSV-kritischen Politikern abgehört werden. Das Journal berichtet am 1.9.1967, dass LSAP-Innenminister Henry Cravatte unter Strafandrohung die Veröffentlichung einer Tageblatt-Dokumentation mit persönlichen und technischen Details über den Service de renseignements verhinderte. Um die Nützlichkeit des Service de renseignements unter Beweis zu stellen, teilt die Regierung in einer Erklärung vom 25. November 1967 mit, dass er den Beamten der polnischen Handelsmission in Den Haag, S. S., festnehmen ließ. Es folgt aber weder in Luxemburg noch in den Niederlanden eine Strafverfolgung, Premier Pierre Werner (CSV) entschuldigte sich bei der polnischen Regierung. Der Service de renseignements hat öfters Schwierigkeiten beim Anwerben von Informanten, manche dieser Schwierigkeiten werden publik. Der Rauschgiftbesitzer J.-P. J. wird im Sommer 1970 frühzeitig aus der Haft entlassen und erklärt sich dafür bereit, die linke Splittergruppe Gauche socialiste et révolutionnaire zu infiltrieren (KBL, Weg mit dem Spitzeldienst). Service de renseignements-Agent E. W. kommt im Dezember 1970 vor Gericht, weil er seine Mieterin mit Details aus ihrem Privatleben zu erpressen versuchte; sein Anwalt, der spätere LSAP-Justizminister Robert Krieps, fordert wegen Gefährdung von Staatsinteressen eine nicht-öffentliche Verhandlung. Der Service de renseignements-Agent S. S. wirbt im Januar 1972 das kommunistische Zentralkomitee-Mitglied M. G. für 2 500 Franken monatlich zum Ausspionieren der KPL, der Gesellschaft Luxemburg-DDR und des Vietnam-Komitees an. Als M. G. wegen Veruntreuung von 600 000 Franken Eisenbahneinnahmen angeklagt wird, wird seine Agententätigkeit gerichtsnotorisch. Auch andere Pannen im In- und Ausland geraten an die Öffentlichkeit. Der Spiegel berichtete im April 1968, dass der Nachrichtendienst die ahnungslosen Besucher einer Rassehundeausstellung verdächtigt hatte, einen Anschlag auf EWG-Vizepräsident Sicco Mansholdt zu planen. In den Siebzigerjahren werden zwei Service de renseignements-Agenten bei der Beschattung eines sowjetischen Diplomaten in einem belgischen Kaufhaus als vermeintliche Räuber festgenommen. Ein bewaffneter Luxemburger Agent wird im Sommer 1979 in einem Brüsseler Nobelhotel als vermeintlicher Terrorist festgenommen, berichtete die Revue vom 2.8.1979. Der wegen Diebstahls geheimer Nato-Dokumente angeklagte Neonazi Michel Libert behauptet vor einem Brüsseler Gericht, mit Wissen des Service de renseignements gehandelt zu haben (Le Soir, 26.1.1988). Staatsminister Pierre Werner gibt am 1. Oktober 1982 die Anwesenheit des Nachrichtendienstes an der Absturzstelle eines sowjetischen Passagierflugzeugs zu, das möglicherweise diplomatische Post enthielt (Tageblatt, 2.10.1982). Die Nato erzwingt am 4. Mai 1990 mittels des Service de renseignements die Abberufung des Luxemburger Nato-Botschafters G. d. M., dem vorgeworfen wird, als Geheimnisträger ein Sicherheitsrisiko zu sein. Der Nachrichtendienst ist insbesondere bei den Linksparteien umstritten, die ihn als Bedrohung für die parlamentarische Demokratie und sich selbst als erste Opfer der politischen Überwachung empfinden. In ihrem Wahlprogrammen verspricht die LSAP 1974 die Abschaffung des Nachrichtendienstes. Im Dezember 1975 und im April 1978 bringt die DP/LSAP-Koalition dann zwei Gesetzentwürfe ein, um ihn zusammen mit der Sûreté in einen Service de la sûrete publique zu integrieren. 1979 verspricht das Wahlprogramm der LSAP erneut die Abschaffumg des Dienstes. Staatsminister Gaston Thorn (DP) und sein Vorgänger Pierre Werner (CSV) geben im März 1979 vor dem Parlament zu, dem Service de renseignements ohne klare rechtliche Grundlage Erlaubnisse zum Telefonabhören erteilt zu haben. Drei Jahre später votieren CSV und DP am 26. Oktober 1982 mit 37 Stimmen gegen 17 Stimmen von LSAP, KPL und PSI bei drei Enthaltungen das Gesetz vom 26. November 1982, das erstmals das Abhören durch den Service de renseignements legalisiert. Nach Bekanntwerden der Existenz einer vom Service de renseignements aufgestellten Stay-behind-Truppe wirft das Parlament am 15. November 1990 erstmals dem Dienst einstimmig „flagranten Widerspruch zu elementaren Regeln des Rechtsstaats vor“. Ex-Minister Emile Krieps (DP) wirft dem Service de renseignements vor, „am Numm vun der CSV politesch Surveillancë gemaach“ zu haben. Fast zwei Jahrzehnte später veröffentlicht der parlamentarische Geheimdienstkontrollausschuss am 7. Juli 2008 einen Bericht, in dem er dem Schläfernetz doch noch bescheinigt, keine rechtsstaatlichen Prinzipien verletzt zu haben. Aber die politische Überwachung geht weiter. Am 14. November 1995 stellen CGFP-Vorstandsmitglieder zwei Agenten des Service de renseignements vor ihrem Versammlungssaal, in dem über gewerkschaftliche Aktionen diskutiert wird. Dann werden die CGFP-Büros aufgebrochen und Aktenschränke durchwühlt. Einer der Agenten wird von Premier Jean-Claude Juncker in eine andere Behörde versetzt, wie dieser am 9.7.1996 auf eine parlamentarische Anfrage hin zugibt. Möglicherweise die größte Bedrohung für die Staatssicherheit in der Geschichte des Service de renseignements sind die auf die Destabilisierung des Staats zielenden Terroranschläge Mitte der Achtzigerjahre. Aber der Nachrichtendienst kann die Bombenanschläge weder verhindern, noch aufklären. Zwei Jahrzehnte später lässt die Justiz sogar eine Hausdurchsuchung beim Nachrichtendienst durchführen, um Aufschluss darüber zu bekommen, ob der Nachrichtendienst einem Teil der Polizei- und Gendarmerieführung geholfen hat, die Aufklärung zu verhindern. Staatsanwalt Roby Biever zeigt sich während einer Pressekonferenz im November 2007 „am meisten darüber verärgert“, dass der Service de renseignements hinter dem Rücken der Justiz den ehemaligen Kommandanten der Brigade mobile beschattete. Doch der parlamentarische Geheimdienstkontrollausschuss bescheinigt dem Dienst am 7. Juli 2008 in einem Sonderbericht, rechtmäßig gehandelt, aber vergebens auf eine Bitte nach Amtshilfe bei der Entlarvung der Bommeleeër gewartet zu haben. Nach dem Ende des Kalten Kriegs und dem Verlust des bisherigen Ennemi werden wieder vermehrt Zweifel an der Daseinsberechtigung des Nachrichtendienstes geäußert. Um ihre berufliche Existenz abzusichern, gründen Agenten deshalb im Juni 1991 den Cercle d’entraide sociale et culturelle des fonctionnaires et employés du Srel (Service de renseignements de l’État) asbl. Doch die Sicherheitshysterie nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 bringt rechtzeitig neue Feinde und führt zu einer beispiellosen Aufstockung der personellen und materiellen Mittel durch die Reform vom 15. Juni 2004, die auch „renseignement“ im Behördennamen in die Einzahl setzt. Gleichzeitig wird ein aus den Fraktionsvorsitzenden zusammengesetzter parlamentarischer Kontrollausschuss geschaffen. Doch die Vorgehensweise bleibt unverändert. In einem Interview mit Le Quotidien berichtet der kurdische Flüchtling H. S. am 6.1.2006, dass er eine Aufenthaltsgenehmigung für den Fall angeboten bekam, dass er als Informant für den Service de renseignement Asylsuchende ausspioniere. Im Januar 2007 zeichnet der Direktor des Nachrichtendienstes, Marco Mille, mit einer präparierten Armbanduhr heimlich ein Gespräch mit Premier Jean-Claude Juncker auf. Die Rede geht von einer Zusammenarbeit des Großherzogs mit dem britischen Geheimdienst, einem heimlich im Palais aufgenommenen Gespräch zwischen dem Großherzog und dem Regierungschef, der Überwachung von Kommunisten und Grünen, 300 000 Karteikarten, dem nicht schriftlich erlaubten Abhören eines Informanten des Nachrichtendienstes und einem Lauschangriff von Nachrichtendienstbeamten auf ihren Direktor Charles Hoffmann (d’Lëtzebuerger Land, 30.11.12). Juncker erfährt Mitte 2009 von der Aufnahme, Mille erhält Anfang 2010 statt eines Disiplinatverfahrens unbezahlten Urlaub. Zwei weitere Beamte, A.K. und F.S., haben den Dienst schon vorher verlassen. Der Geheimdienstkontrollausschuss erwähnt die Krise im Nachrichtendienst nur andeutungsweise in einem Jahresbericht. Als die Vorfälle Ende 2012, kurz vor Eröffnung des Bommeleeër-Prozesses, öffentlich werden, beschließt das Parlament einen Ermittlungsausschuss, der ein halbes Jahrhundert Geheimdienstpraxis untersuchen soll. Vielleicht kommt er zur Schlussfolgerung, dass die Überwachung der politischen Opposition und die Ermittlungsmethoden am Rand der Legalität weniger die Ausnahme als die Norm beim Service de renseignement sind, wie die lange Liste der im Laufe der Jahrzehnte bekannt gewordenen und dann wieder rasch vergessenen Vorfälle zeigt.
Véronique Poujol
Catégories: Affaire Srel
Édition: 07.12.2012