Die gute Nachricht zuerst: Unsere Luft soll sauberer werden. Zwar nur allmählich, denn ab kommenden Herbst soll jedes neuverkaufte Auto der strengeren Euro 6-Abgasnorm unterliegen. Und dabei ändert sich lediglich ein Parameter: die Obergrenze des erlaubten Stickoxidausstoßes bei PKW mit Dieselmotor. Sie wird von 180 auf 80 Milligramm pro Kilometer abgesenkt. Für Fahrzeuge mit Ottomotor gilt ein niedrigeres Limit von 60 Milligramm pro Kilometer, und das halten die Benziner auch mühelos ein. Nicht so die Dieselfahrzeuge. Die aber machen in Luxemburg die Mehrheit des PKW-Bestands aus, und drei Viertel der emittierten Stickoxide sind verkehrsbedingt.
Neben dem Feinstaub sind Stickoxide zum größten Sorgenfall beim Ringen um eine saubere Luft geworden. Während andere Schadstoffe in den letzten Jahrzehnten erfolgreich reduziert werden konnten, zeigt dieser Trend sich an den Emissionskurven für Stickoxide nicht. Breit angelegte Messungen von Organisationen wie des International Council on Clean Transportation (ICCT) haben kürzlich ergeben, dass Diesel-PKW, die an sich als modern gelten, weil sie der Abgasnorm Euro 5 gerecht werden, im Schnitt 560 Milligramm Stickoxid pro Kilometer ausstoßen1 – weit oberhalb der Euro-5-Grenzwerte. Solch hohe Emissionen sind dann doch erstaunlich: Während die als äußerst lasch geltenden offiziellen Messverfahren gemäß dem „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ eine über die Jahre steigende Diskrepanz zwischen Norm- und Realkraftstoffverbrauch der Fahrzeuge von fast 40 Prozent aufweisen, liegen die Abweichungen zwischen den Angaben und dem tatsächlichen Stickoxidausstoß jenseits von Gut und Böse. Und solange der Fahrzyklus nicht revidiert wird, werden auch viele Euro-6-PKW die Stickoxidgrenzwerte im Alltagsbetrieb nicht einhalten, vor allem die Kleinwagen mit kostengünstigen Abgasnachbehandlungssystemen. Dies war beim Neujahrsumtrunk der Autohändlerverbände jedoch kein Thema.
Manche Länder und Gebietskörperschaften führen bereits einen Steuerdiskurs. So sollen Besitzer von Diesel-PKW bei der deutschen PKW-Maut mehr als doppelt so viel berappen wie Besitzer von Benzinern. Um in Londons Stadtzentrum einfahren zu dürfen, sollen für Diesel-PKW bald zehn Pfund Zusatzsteuer fällig werden, und im Vorort Islington wird Anwohnerparken mit Diesel jährlich um 96 Pfund teurer. In Paris strebt Bürgermeisterin Hidalgo ab 2020 ein Totalverbot von Dieselautos an; aber bis dahin dürfte in Frankreich zum Thema Kohärenz von langjähriger Dieselförderung und Luftqualität noch viel Tinte fließen.
Stickoxide sind umwelt- und gesundheitsschädlich, schädigen die Atemwege und tragen zur Versauerung der Böden und Gewässer bei. In Luxemburg liegt die Sterblichkeitsrate wegen Atemwegserkrankungen über dem OECD-Durchschnitt. Die Waldschadensberichte weisen auf eine Eutrophierung und Versauerung hin. Der leicht stechende Geruch des Stickoxids ist hierzulande allgegenwärtig, bedingt durch die starke Zunahme des Verkehrs und einen der welthöchsten Anteile an Diesel-PKW. Die gemessenen Werte liegen öfter oberhalb der zulässigen Limits. So auch in Käerjeng, wo der Jahresmittelgrenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter weit überschritten wird. Auf Höhe der Niederkerschener Apotheke wird die höchste Konzentration gemessen. Verständlich, dass die Einwohner die unhaltbaren Zustände nicht weiter dulden möchten und, wie üblich in Luxemburg, der Ruf nach einer Umgehungsstraße von Politikern bald unisono geteilt wird. Dabei wäre es dringend erforderlich, die Ursache der hohen Belastung zu benennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. An vielen Orten in Luxemburg ist die Stickoxidbelastung nämlich ähnlich hoch.
Seit den Neunzigerjahren hat die EU-15 durch einseitige Förderung eine weltweit einzigartige Autoflotte von mehrheitlich dieselbetriebenen PKW geschaffen2. Luxemburg stellt dabei nur die Spitze des Eisbergs dar. Der Dieselboom, der vor der Jahrtausendwende so richtig einsetzte, kam nicht zustande, um die Klimabilanz Europas zu schönen. Vielmehr galt es, den Wettbewerbsvorteil vor allem deutscher und französischer Autohersteller bei den Selbstzündern gegenüber Produzenten aus Übersee zu verteidigen. Ungeachtet weit höherer Emissionen von Luftschadstoffen und klimaschädigenden Rußemissionen verhalf ein Emissionsvorteil beim Kohlendioxid dem Dieselaggregat gegenüber Benzinern zu einem fast schon ökologischen Image.
Nun hat ein „gesunder“ Anteil dieselbetriebener Fahrzeugen an einer Flotte durchaus seine Berechtigung. Er sollte sich jedoch nicht allzu weit von einer „natürlichen Obergrenze“ entfernen, die sich aus der durchschnittlichen Zusammensetzung von Rohöl ergibt. Um die Jahrtausendwende überstieg dieser Anteil jedoch die 35-Prozent-Marke, ab der aufgrund hoher Nachfrage die Dieselproduktion aus konventionellen Raffinerien zunehmend ineffizient wurde. Seither treibt eine allzu sehr auf Dieselantriebe spezialisierte europäische Autoindustrie eine ökologisch wie wirtschaftlich unsinnige „Dieselisierung“ voran, die den europäischen Ölmarkt völlig aus dem Gleichgewicht gebracht hat und jenen Verbrauchern, welche wenig, urban oder nur kurze Strecken zurücklegen, falsche Signale vermittelt. Für Vielfahrer in dünn besiedelten Gegenden sind Diesel-PKW geeignet. Für eine urbane und periurbane Mobilität mit Multimodalität und kurzen Teilstrecken zum P&R, wie das auch in Luxemburg vom Nachhaltigkeitsministerium propagiert wird, eignen Dieselfahrzeuge sich dagegen nicht.
Die hiesige Nischenpolitik des forcierten Treibstoffexports hat erhebliche Folgen für Klima und Luftqualität. Ein heikles Lavieren der Regierung zwischen einer auf mehr Gemeinschaftlichkeit drängenden EU und einem der Öffentlichkeit schwer zu vermittelnden drohenden Verlust an Steuereinnahmen aber mündet in einen bizarr geführten Diskurs. Im Regierungsprogramm verheißt die blau-rot-grüne Koalition mittels einer wirtschaftlichen Machbarkeitsstudie – von umweltpolitischen Aspekten ging anfangs nicht die Rede – den Impakt eines „virtuellen Ausstiegs“ aus dem Tanktourismus abzuschätzen. Was auch immer diese verklausulierte Ausdrucksform bedeuten mag – die Bedingungen, welche die Koalition an diese Virtualität geknüpft hat, sind dann schon eindeutiger. Im Bericht der Regierung an das UN-Klimasekretariat in Bonn steht ein langfristig angesetztes Entkoppeln der so erwirtschafteten Mineralölsteuern von den laufenden öffentlichen Staatsausgaben bereits unter der Voraussetzung eines „allgemeinen Kontextes von regulatorischen Veränderungen in Europa“. Zuerst aber, und hier wieder einschränkend „wenn die Finanzsituation es erlaubt“, sollten gerade die Einkünfte des mit schwerwiegenden Umweltfolgen behafteten Tanktourismus den Weg zu einer „Energiewende mit nachhaltigeren Wirtschafts- und Sozialmodell“ ebnen. Wird hier etwa der Bock zum Gärtner gemacht?
Die Klimabilanz des Tanktourismus ist kein Nullsummenspiel, wie oft behauptet wird. Es geht nur am Rande um lange Tankwege in der Großregion und europaweit via Luxemburg umgeleitete Routen der Spediteure. Von wesentlich größerer Tragweite ist der von der NRO Transport and Environment angeführte Impakt der niedrigeren Mineralölbesteuerung auf die Steuerpolitik der Nachbarländer. Der fiskal erzeugte Treibstoffexport übt Druck auf die um Steuerabfluss bangenden Nachbarstaaten aus, auch ihre Mineralölsteuern niedriger zu belassen als das Verursacherprinzip es gebietet. Nachfrage und Umsatz von Treibstoff sind deshalb dort höher als sie es sonst wären. Analog zu LuxLeaks ist Luxemburg nicht das einzige Land, das solche parasitären „Tricks“ nutzt, der Bogen jedoch ist weit gespannt.
„Großregional“ führt der Tanktourismus durch ein künstlich erzeugtes höheres Verkehrsaufkommen zu mehr Klimabelastungen und einer Minderung der Luftqualität. Letztere wird verstärkt durch die Wechselbeziehung des Tanktourismus auf die „Dieselisierung“ des nationalen Autoparks. Im Gegensatz zu Benzin steht Dieselkraftstoff des LKW-Tankexportgeschäfts wegen mehr im Wettbewerb und muss billiger verkauft werden, da dieser elastischer, das heißt stärker auf Preiserhöhungen reagiert als Benzin. Der hiesige Autofahrer ist denn auch auf den Geschmack gekommen: War 1990 nur knapp ein Fünftel der nationalen Flotte Diesel-PKW, sind es nun etwa 70 Prozent. Luxemburg ist zu einem Dieselland par excellence geworden und hat sogar die Fahrzeugbaunation Frankreich hinter sich gelassen, die jahrzehntelang fast ausschließlich auf die Dieseltechnologie als Erfolgsrezept setzte. Während auch im stark „dieselisierten“ Belgien Diesel-PKW-Neuanmeldungen auf knapp 65 Prozent rückläufig sind, verbleibt dieser Trend bei uns auf hohem Niveau mit 72 Prozent der Neuanmeldungen 2014 (zum Vergleich Deutschland 47,4 Prozent, die Niederlande 24,8 Prozent, beide 2013).
Das Limit der europäischen Immissionsrichtlinie 2008/50 zur Luftqualität wird denn auch in Luxemburg-Stadt ständig überschritten. Das ist trotz anteilig hoher Emissionen der Busflotte unverkennbar dem hohen Diesel-PKW-Bestand geschuldet. Die Richtlinie sah bei einer nicht fristgerechten Umsetzung im Jahre 2010 einen Aufschub bis Anfang dieses Jahres vor, vorausgesetzt ein „Luftqualitätsplan“ wird erstellt, der aufzeigt, wie der Grenzwert vor Ablauf der neuen Frist eingehalten werden soll. Luxemburg hat einen solchen Plan vorgelegt, aber argumentiert, die Limits erst 2020 einhalten zu können. Ob die EU-Kommission das auch so sieht oder der Europäische Gerichtshof damit befasst wird, steht zurzeit noch aus.
Aber auch bei der Emissionsrichtlinie 2001/81, NEC-Direktive genannt, die jedem EU-Mitgliedsstaat ab 2010 unter anderen eine Schwelle für Stickoxid zuweist, steht Luxemburg im Kreuzfeuer wegen der EU-weit stärksten Übertretungen von bis zu 63 Prozent in den Folgejahren und riskiert damit ebenfalls ein Vertragsverletzungsverfahren. Nun könnte es noch heikler werden, da die Kommission sich bis jetzt mit den „fuel used“-Emissionsmengen zufrieden gab, die den Tanktourismus nicht berücksichtigen. Denn Österreich als nächstgrößter Sünder wurde bereits von der EU-Kommission dazu angehalten, seine Tankexportemissionen mit einzubeziehen.
Die Nichterfüllung der Richtlinien könnte aber auch folgenlos bleiben. Die Ende 2013 von der Barroso-Kommission erstellten neuen Luftqualitätsrichtlinien stehen zurzeit auf der Kippe, da die Juncker-Kommission als eine ihrer ersten Amtshandlungen Mitte Dezember diese, wie es hieß, „zur Überarbeitung“ gestrichen hat. Auch der Protest von elf EU-Umweltministern, darunter Carole Dieschbourg, half nichts, und das EU-Parlament konnte sich Mitte Januar nicht dazu durchringen, die Streichung zu verurteilen.
Gleichwohl erweist sich ein utilitaristischer Umgang mit dem Tanktourismus zunehmend als schwierig. Ein zögernd projizierter Ausstieg, der dann nicht vom Fleck kommt, weil als Melkkuh unseres So-zialsystems so willkommen und unabdingbar, wird nicht die anschwellenden Kosten und die Sorge um unser nation branding befrieden. Und wenn schon ein Diskurswandel hierzulande politisch heikel ist und eine europaweite Lösung des Tanktourismus auf sich warten lässt, der die Subventionierung von schlechter Luft, blauem Dunst und preiswertem Schnaps missbilligt, so könnte letztlich die hierzu in Auftrag gegebene Studie, welche denkbar mutig das Pro und Kontra dieser Souveränitätsnische buchhalterisch berechnet, unseren Entscheidungsträgern dazu raten, wenn auch hinter vorgehaltener Hand und sozusagen als first mover, den Tanktourismus schleunigst abzuschaffen.