Am nächsten Montag kommt der außenpolitische Ausschuss des Parlaments erstmals zusammen, um die Ratifizierung des Lissabonner Vertrags vorzubereiten. Zuerst soll er einen Berichterstatter ernennen – möglicherweise wieder seinen Vorsitzenden, Ben Fayot (LSAP) –, der den Text im Plenum vorstellen soll. Jenen Text, der vergangenes Jahr aus den Scherben des 2005 gescheiterten Verfassungsvertrags zusammengesetztwurde.
Doch wenn die Kammer dann im Laufe der nächsten Monate – nachUngarn, Slowenien, Malta, Rumänien, Frankreich… – den Lissabonner Vertrag mit großer Mehrheit durch Gesetz ratifizieren wird, läge ein Schritt nahe, der wohl doch zu schmerzlich scheint: bei derselben Gelegenheit das Gesetz abzuschaffen, mit dem das Parlament drei Jahre zuvor den Europäischen Verfassungsvertragratifiziert hatte.
Nur eine Woche nach der Unterzeichnung des Vertrags in Lissabonhatte das Regierungskabinett am 21. Dezember den 418 Seiten starken Gesetzentwurf angenommen, mit dem er ratifiziert werden soll. Aber der Gesetzentwurf besteht aus einem einzigen Artikel: „Sont approuvés le Traité de Lisbonne modifiant le Traité sur l’Union européenne et le Traité instituant la Communauté européenne, les Protocoles, l’Annexe, l’Acte final de la Conférence intergouvernementale signés à Lisbonne, le 13 décembre 2007.“ Was fehlt, ist ein zweiter Artikel: „Est abrogée la loi du 25 novembre 2005 portant approbation du Traité établissant une Constitution pour l’Europe, des Protocoles annexés au Traité établissant une Constitution pour l’Europe, des Annexes I et II et de l’Acte final, signés à Rome, le 29 octobre 2004.“
Selbstverständlich bleibt gemäß Artikel 48 des EU-Vertrags der Verfassungsvertrag toter Buchstabe, weil er nicht von allen Mitgliedsländern ratifiziert wurde. Aber das LuxemburgerRatifizierungsgesetz trat nach zwei Lesungen im Parlament und seiner Veröffentlichung im Memorial vom 9. Dezember 2005 ordnungsgemäß in Kraft. Deshalb hätte es nahe gelegen, mit der Ratifizierung des Lissabonner Vertrags das Gesetz über den Verfassungsvertrag abzuschaffen und so für Klarheit zu sorgen. Aber die Erinnerungen an das Jahr 2005 – die verworreneReferendumkampagne, der knappeAusgang derVolksbefragung, das Scheitern des Vertrags – sind wohl zu schmerzlich, um diese gesetzgeberische Ruine schon heute niederzureißen. Und ein wenig ist es auch der Trotz der selbsternannten guten Europäer gegenüber den angeblich weniger guten Europäern, die das große Projekt sabotierten.
Von diesem Konflikt hängt schließlich auch die Einschätzung des Lissabonner Vertrags ab, der nun ratifiziert werden soll: Für die guten Europäer ist es der schweren Herzens abgespeckte, für die weniger guten Europäer der heimtückisch getarnte Verfassungsvertrag. Laut Motivenbericht zum Gesetzentwurf (S. 14) sind es die losen Einzelteile des Verfassungsvertrags minus auffällige hoheitsstaatliche Symbole, wie Fahne oder Hymne, und Begriffe wie „Verfassung“, „Gesetz“ oder „Minister“.
Wer mit dem Lissabonner Vertrag 90 Prozent oder mehr des Verfassungsvertrags verwirklicht sieht, erkennt schließlich auch keine Notwendigkeit eines erneuten Referendums zu seiner Ratifizierung, da der Vertrag im Juli 2007 schon zu 100 Prozent ratifiziert worden war. Nach einem Anflug von Panik vor dem bereits am Wahltag nutzlosen Referendum vom 10. Juli 2005 war es eine abgemachte Sache, dass keine weitere Volksbefragung über den Lissabonner Vertrag stattfinden soll.
Die Ratifizierung des Verfassungsvertrags vor drei Jahren – ausgerechnet als 13. Land – sollte eine historische Stunde werden und wurde eine historische Fehlleistung: Die Abgeordneten stimmten im vollen Bewusstsein der Nichtigkeit ihres Tuns einen Vertrag, der nach den Referenden in Frankreich und denNiederlanden nicht mehr existierte. Vielleicht ist es mehr die Erinnerung an diese kognitive Dissonanz als die Angst, die Verfassungsgegner von einst aufzuwecken, die verlangt, dass der Lissabonner Vertrag nun ohne viel Aufhebens, beinahe beiläufigratizifiert werden muss.
Deshalb ist der Motivenbericht, mit dem das Außenministeriumden Vertrag auf den Instanzenweg schickt, zu einem großen Teil die lustlos mit einigen Mausklicks zusammengezimmerte Kurzfassung des Motivenberichts, den das Ministerium drei Jahre zuvor für den Verfassungsvertrag aufgesetzt hatte. Doch Copy/Paste-Texte lesen sich immer so, wie aufgewärmte Reste schmecken.
Mit keinem Wort erörtert der Motivenbericht die Auswirkung desVertrags auf die Luxemburger Gesellschaft, Wirtschaft und Institutionen. Und wo inzwischen jeder Gesetzentwurf über den Bau eines Altersheimes eine Aufstellung der Folgekosten enthalten muss, fehlt die Fiche financière zumVertrag. Geändert beim Copy/paste hat ein fleißiger Beamtermanchmal die Reihenfolge der kopierten Kapitel. So sind beispielsweise die Kommentare zu den institutionellen Bestimmungen nach hinten gerutscht. Als hätte man aus der knapp entschiedenen Volksbefragung von 2005 gelernt, dass die politischen Inhalte Vorrang vor der institutionellen Form habenmüssen. Sogar wenn sie noch immer im Technokratenjargon „horizontale Prinzipien“ heißen.