Nun hat sich auch Wirtschaftsminister Jeannot Krecké endlich getraut, einer der Helden des Rückzugs zu werden. Premier Jean-Claude Juncker wollte schon vor zwei Jahren die Regierungsgeschäfte aufgeben und erster ständiger Ratsvorsitzender der Europäischen Union werden. Doch der französische Präsident Nicolas Sarkozy und einige Amtskollegen machten ihm einen Strich durch die Rechung. Anfang dieses Jahres zog sich der seines Ministeramtes verlustig gegangene CSV-Fraktionssprecher Jean-Louis Schiltz ins Privatgeschäft zurück. Am 1. Februar 2012 folgt ihm Krecké.
Wenn die Staatseinnahmen nicht mehr die nötigen Überschüsse produzieren, um die Sozialpartner bei Laune zu halten, wird das Regieren konfliktreicher und der CSV-Staat hört auf, Spaß zu machen. Dann muss ein Wirtschaftsminister den Unternehmern sagen, dass er volles Verständnis für ihre Anliegen habe, aber gegen die Gewerkschaften, die eigene Partei, die Ministerkollegen und die Verwaltungen machtlos sei.
Krecké trug sich schon länger mit dem Gedanken, sein Amt aufzugeben, sprach privat offen und verklausuliert in der Öffentlichkeit immer öfter davon. Die mit unbewiesenen Gerüchten und Verdächtigungen geführte Kampagne gegen einen als Paten der Luxemburger Politik dargestellten Bauunternehmer und die Fußball-Mall von Livingen bekräftigten den Minister in seinem Entschluss.
Mit dem Regierungschef plante Krecké einen geordneten Rückzug, damit nicht der Eindruck aufkäme, er würde seine Arbeit im Stich lassen, während die Aktenstapel von notleidenden Betrieben auf seinem Schreibtisch wuchsen. Zu glauben, dass sich das sauber bis zum Neujahrsempfang am 3. Januar verheimlichen ließe, war naiv.
Der sein Privatleben neu ordnende Minister kann sich jedenfalls ein auskömmliches Leben in der Privatwirtschaft und ein geruhsameres als Hobbysegler sowie, nach bestandenem Flugschein, demnächst als Freizeitpilot vorstellen. Wie seine ebenfalls kampflos aufgebenden Kollegen in ähnlicher Lage rechnet er sich die Einsicht hoch an, dass es ein Leben nach der Politik gebe. Nach dem Zeitalter der Pflichterfüllung feiert die Politik den Hedonismus des konsumfreudigen Citoyens. Aber Jeannot Kreckés Rücktritt in der Mitte der Legislaturperiode ist selbstverständlich auch eine Niederlage.
Sein Dilemma hatte er vergangenes Jahr benannt, als er während einer Podiumsdebatte keck meinte, dass er angesichts der Schwerfälligkeit des Staatsapparats zurücktreten müsste, wenn er ehrlich mit sich selbst wäre. Der Wirtschaftsminister, der sich als entscheidungsfreudiger Macher versteht, schien daran zu verzweifeln, wie lange die Reformen brauchen, um die Behördenwege zu verkürzen. Was auch eine bequeme Art ist, alle Verantwortung auf andere abzuwälzen.
So befürchtete Krecké, am Ende zwischen allen Stühlen zu sitzen: Auf der einen Seite ist er für Schwierigkeiten, die gar nicht alle in sein Ressort fallen, den Kritiken der seit einem Jahr aggressiver auftretenden Unternehmerverbände ausgesetzt. Wobei er als LSAP-Mitglied auch noch einer Partei angehört, die bei den von ihm betreuten Unternehmern so verhasst ist, wie seit langem nicht mehr. Auf der anderen Seite ist er wegen seiner liberalen Ansichten und der Verpflichtungen seines Ressorts als vermeintlicher Genosse der Bosse in seiner eigenen Partei weitgehend isoliert. Der Widerspruch wurde sichtbar, als er vergangenes Jahr im Auftrag der Regierung den Tripartite-Partnern Vorschläge zur Erhöhung der interna[-]tio[-]nalen Wettbewerbsfähigkeit vorlegte und dabei halbherzig das Thema Index hinzupackte. Dafür wurde er in der eigenen Partei beschimpft, während der ebenfalls recht liberale Arbeitsminister Nicolas Schmit sich auf dem außerordentlichen Tripartite-Kongress als Che Guevara der LSAP [-]feiern ließ.
Kreckés liberaler Vorgänger Henri Grethen hatte damit kokettiert, dass in einer idealen Marktwirtschaft sein Amt abgeschafft und die Wirtschaft sich selbst überlassen gehört. Krecké musste feststellen, dass seine Befugnisse tatsächlich kaum über diejenigen eines Handlungsreisenden des Industriellenverbands hinausreicht, der sein Leben auf Flughäfen und in fensterlosen Konferenzsälen internationaler Hotels verbringt, um ausländische Investoren nach Luxemburg zu locken – oder hier zu halten. Als heftig kritisiertes Verwaltungsratsmitglied von Arcelor-Mittal konnte er bei den Stilllegungen in Schifflingen und Rodingen erneut nicht viel mehr tun als die miss[-]trauischen LSAP-Wähler im Südbezirk von seiner Machtlosigkeit zu überzeugen.
Zurück lässt Krecké fast verzweifelte Bemühungen, im Wettlauf gegen Globalisierung und Deindustrialisierung die Volkwirtschaft zu diversifizieren, in Richtung Logistik, Freihafen, Biomedizin... Mit seiner Ankündigung, als 62-Jähriger einen Anspruch auf ein neues Leben ohne 40-Stundentag zu haben, lieferte gestern noch ein ganz unerwartetes Plädoyer für die Senkung des Renteneintrittsalters.