Am nächsten Dienstag wird Außenminster Jean Asselborn vor dem Parlament seine Erklärung zur Außenpolitik abgegeben. Nach dem diplomatischen Desaster 2009 – als deutsche Politiker mit „Soldaten“ und der „Kavallerie“ drohten, der französische Präsident die Wahl Jean-Claude Junckers zum ersten ständigen Ratsvorsitzenden vereitele und die EU-Partner nicht verhinderten, dass Luxemburg auf die graue OECD-Liste der Steueroasen gesetzt wurde – hatte der LSAP-Minister 2010 bei seiner Bilanz der Außenpolitik Klartext gesprochen. Wie sieht es ein Jahr später aus?
d‘Lëtzebuerger Land: Wo werden die Schwerpunkte Ihrer außenpolitischen Erklärung vom 15. November liegen?
Jean Asselborn: Die außenpolitische Erklärung ist nie eine rein außenpolitische, sondern auch eine europapolitische Erklärung. Deshalb werden die Schwerpunkte selbstverständlich bei der gemeinsamen Währung liegen und den Veränderungen im Süden der Europäischen Union, dem Arabischen Frühling und dem Nahen Osten.
In der offiziellen Darstellung hörte sich die Luxemburger Außenpolitik seit Jahrzehnten immer wie eine geraffte Version der EU-Politik an, frei von allen „nationalen Egoismen“. Doch in der außenpolitischen Erklärung im vergangenen Jahr sprachen Sie plötzlich auch von nationalen Interessen, die es zu verteidigen gilt.
Es gibt keinen Widerspruch zwischen europäischen und Luxemburger Interessen. Unser Einsatz für die Europäische Union ist immer auch ein Einsatz für Luxemburg. Wenn große Mitgliedsländer aber auf einer nationalistischen Schiene fahren, geht das sowohl auf Kosten der Euro[-]päischen Union als auch Luxemburgs. Eine Rückkehr zu zwischenstaatlichen Regelungen, wie sie nach dem Vertrag von Lissabohn zu beobachten ist, benachteiligt vor allem die kleineren Länder. Meine Kritik zielt auf die Funktionsweise der Europäischen Union, nicht auf die Europapolitik an sich. Denn die Europäische Union ist nichts Abstraktes, sondern sie hängt davon ab, wie die Staaten mit ihr umgehen.
Welche sind aber diese nationalen Interessen?
Unsere nationalen Interessen sind unsere Sicherheit und unser Wohlstand. Wobei zum Wohlstand die sozialen Standards gehören, die wir seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht haben, und unsere Kultur des sozia[-]len Dialogs.
Die Beziehungen zu Frankreich und Deutschland hatten 2009 einen Tiefpunkt erreicht. Gibt es seither eine Verbesserung?
Es geht hier nicht um bilaterale Beziehungen, sondern um die Funk[-]tionsweise in der Europäischen [-]Union. Die Diskussion über Europa soll deshalb nicht an einzelnen Ländern festgemacht werden.
Sehen Sie eine Gefahr für die Demokratisierung der EU, wenn der Umgang mit der Schuldenkrise von der deutschen Kanzlerin und vom französischen Präsidenten ausgehandelt wird?
Wenn Deutschland und Frankreich meinen, dass sie, weil sie 50 Prozent der Lasten der gemeinsamen Währung tragen, zu 100 Prozent entscheiden können, ist das nicht die gemeinschaftliche Methode, an der wir festhalten. Die deutsch-französische Zusammenarbeit in der Europäischen Union ist wichtig, aber sie alleine genügt nicht.
Was ist aus den Bemühungen geworden, die Benelux politisch wieder zu beleben?
Während des Aufstands in Libyen funktionierte die Benelux bemerkenswert. Die drei Außenminister arbeiteten intensiv zusammen und sprachen im Namen der Benelux. Andererseits gibt es natürlich starke außenpolitische Nuancen, etwa in der Nahostpolitik, wo sich die belgische und luxemburgische Haltung stark von der niederländischen unterscheidet.
Belgien hatte vorübergehend versucht, in Menschenrechts- und anderen Fragen eine sehr offensive Außenpolitik zu betreiben, um international sichtbarer zu werden. Wäre das auch eine Möglichkeit für Luxemburg, um mehr Gehör zu finden?
Luxemburg setzt sich aktiv für die Abrüstung und den Internationalen Gerichtshof, gegen Streubomben und die Todesstrafe ein und sendet Minenräumkommandos in ehemalige Krisengebiete. Während des Staatsbesuchs in Vietnam diese Woche brachte ich auch Menschenrechtsfragen zur Diskussion und wies darauf hin, dass die Euro[-]päische Union das Prinzip der gegenseitigen Nichteinmischung überwunden hat, was auch einem regionalen Zusammenschluss wie der Asean zu empfehlen ist. Wir unterstützen auch Initiativen wie Zusammenkünfte der EU-Botschafter in verschiedenen Ländern, um die Entwicklung der Menschenrechte zu verfolgen. Von spektakulärem Aktvismus halte ich aber weniger, da er oft kontraproduktiv ist.
Luxemburg weitet sein Botschaftsnetz aus. Sollen in den nächsten Jahren weitere Botschaften eröffnet werden?
Ende des Monats wird unsere Botschaft in Ankara offiziell eröffnet. Nächste Woche wird auch unsere Botschaft in Abu Dhabi eingeweht, unsere erste im Nahen Osten. Gleichzeitig legen wir in Wien die Botschaften für Österreich, für die OSZE und die Vereinten Nationen zu einer einzigen zusammen. Zu entscheiden, wo neue Botschaften nötig sind und bestehende zusammengelegt werden können, ist ein ständiger Prozess, der von der Entwicklung der internationalen Verhältnisse abhängt.
Es wurden auch schon Kritiken laut, dass die Botschaften weniger für Außenpolitik als für Außenhandel zuständig seien.
Ich habe es stets für richtig gehalten, professionelle Botschafter zu entsenden, die von Beginn ihrer Laufbahn an die politischen, konsularischen, entwicklungspolitischen, kulturellen und nicht zuletzt auch wirtschaftlichen Aspekte dieser Mission kennen gelernt haben. Sie haben auch die seltene Chance, durch Umbesetzungen in verschiedenen Metropolen Erfahrungen zu sammeln. Auf jeden Fall bleibe ich überzeugt, dass Berufsdiplomaten unsere Interessen noch immer am besten vertreten. In meinen Augen ist der politische Aspekt die Basis, aber der wirtschaftliche ist sicher von Bedeutung.
Eines der außenpoltischen Ziele ist ein nicht-ständiger Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Weshalb ist das so wichtig?
Die Regierung hatte 2001 beschlossen, für einen Sitz zu kandidieren. Ich gehörte ihr damals nicht an, aber ich halte die Entscheidung für richtig. Es gibt sechs Länder, die noch nie dem Sicherheitsrat angehörten, und dazu zählt Luxemburg, das Gründungsmitglied der Vereinten Nationen war. Sicher dürfen wir unseren Einfluss nicht überschätzen, aber wir haben auch Werte zu vertreten, wie die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und die internationale Solidarität. Zudem gibt es weltweit nur ein anderes Land, das mehr als ein Prozent seines Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe ausgibt. Als ich 2004 Außenminister wurde, lernte ich im Rahmen des europäischen Ratsvorsitzes über 100 Außenminister persönlich kennen und wir begannen, Abmachungen zur gegenseitigen Unterstützung zu treffen. Ich habe auch viele ermutigende Worte von afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Staaten gehört. Denn in den Vereinten Nationen gibt es viel mehr kleine als große Länder. Wir konnten so auch schon Kontakte zu Gegenden knüpfen, in denen wir bisher kaum präsent waren.
Es wurden allerdings Kritiken laut, dass diese Bemühungen allzu viele Ressourcen verbrauchten und Luxemburg sich mit einem Sitz im Weltsicherheitsrat auch Feinde mache, wenn es in allen Fragen zur Parteinahme gezwungen wird.
Ich schätze, dass die ganze Kampagne für einen Sitz weniger als eine Million Euro kosten wird. Allerdings haben wir einflussreiche Mitbewerber, wenn im Oktober 2012 abgestimmt wird: Finnland, das hohes internationales Ansehen genießt, hat sich 2002 beworben. Australien, das sich sehr spät, 2008, beworben hat, ist ein ganzer Kontinent und will über 30 Millionen Euro in seine Bewerbung investieren.
Wir müssen nicht erst im Weltsicherheitsrat Positionen vertreten, die nicht überall auf Einstimmigkeit stoßen. Wir mussten uns bei der Anerkennung des Kosovo öffentlich entscheiden, wir mussten Stellung zum geplanten Missile-defence-System der USA in Osteuropa beziehen, wir müssen Entscheidungen in der Nahostpolitik treffen. Die Zeiten sind vorbei, als man sich in der Außenpolitik durchzuschlängeln versuchte. Aber es ist keineswegs unehrenhaft, wenn man Prinzipien vertritt und für sie Partei ergreift. Im Nahen Osten beispielsweise stelle ich mich auf die Seite derjenigen, die am meisten Ungerechtigkeit erleiden, ohne dabei dem Staate und dem Volke Israel zu schaden, ganz im Gegenteil.
Selbstverständlich sähe alles anders aus, wenn die Europäische Union mit einem gemeinsamen Sitz im Weltsicherheitsrat vertreten wäre, aber vor 2050 dürfte dies nicht der Fall sein, da keines der großen europäischen Länder derzeit bereit ist, auf seinen Sitz zu verzichten, und die Reform des Weltsicherheitsrats wieder auf Eis zu liegen scheint.
Sie kennen den griechischen Premierminister Giorgos Papandreou sicher auch aus der Sozialistischen Internationale. Welche Rolle werden die Geschichtsbücher ihm zuschreiben?
Papandreou brachte die Aufrichtigkeit zurück in die griechische Politik. Aber er wurde auch das Opfer der griechischen Konservativen, die systematisch alle Vorschläge ihrer Kollegen der Europäischen Volkspartei, von José Manuel Barroso über Angela Merkel und Nicolas Sarkozy bis Herman Van Rompuy, boykottierten. Aber das letzte Kapitels seiner politischen Laufbahn dürfte noch nicht geschrieben sein.
Die Schuldenkrise dürfte in der EU die Tendenz zu einem weit integrierten, reicheren Kerneuropa und einer locker strukturierten, ärmeren Peripherie beschleunigen. Will Luxemburg bloß um jeden Preis diesem Kerneuropa angehören oder versucht es auch, diese Bewegung zu bremsen oder zu beschleunigen?
Wir sind dafür, dass die Schulenkrise im Geist der europäischen Solidarität gelöst wird, also keine Mitgliedsländer aus der gemeinsamen Währung gedrängt weden. Das wäre die allerletzte und die allerschlechteste Lösung. Zudem darf man nicht glauben, dass die Rückkehr zur alten griechischen Währung, zur Drachme, die Stabilisierung des Euro garantiert. Selbstverständlich müssen sich auch die Griechen an die gemeinsamen Regeln halten.
Sehen Sie in letzter Zeit Fortschritte in der gemeinsamen Außenpolitik der EU oder fanden bloß unüberbrückbare Interessenkonflikte oder gar eine Renationalisierung statt?
Wir haben beispielsweise gegenüber dem Westbalkan gemeinsam Zeichen gesetzt, wir haben gemeinsam Druck auf Weißrussland ausgeübt, uns auf eine gemeinsame Politik gegenüber der Ukraine und Moldawien geeinigt. Aber nach dem Votum der EU-Staaten beim Unesco-Beitritt Palästinas werde ich überall gefragt, wie denn nun die Haltung der Europäischen Union ist – doch ich kann sie nicht erklären, denn es gibt keine. Auch wenn es im Grunde nur zwei Staaten waren, die eine gemeinsame Position vereitelt haben, hoffe ich, dass wir bei der Entscheidung über den UN-Beitritt Palästinas aus dieser Erfahrung gelernt haben.
Luxemburg stimmte für den Beitritt Palästinas zur Unesco. Wird es auch für den Beitritt zu den Vereinten Nationen stimmen?
Wenn der Weltsicherheitsrat am 11. November feststellen muss, dass er keine Einigung findet, muss man sehen, wie viele Stimmen für den Betritt sind – acht, neun oder zehn –, wie es mit dem Veto der USA steht. Noch ist nicht klar, ob es dann zur Abstimmung in der Vollversammlung kommt. Oder ob vielleicht der Vorschlag der Arabischen Liga und der Europäischen Union, dem palästinensichen Staat das Beobachterstatut einzuräumen, doch noch Gehör findet.