Der Motorsportfilm seit 2010

Zwischen Gaspedal und Kapital

d'Lëtzebuerger Land du 04.07.2025

Derzeit rast Brad Pitt in einem Formel-1-Wagen über die Kinoleinwände. Nach Top Gun: Maverick (2022) ein weiteres Spektakel aus der Produktions-Werkstatt Jerry Bruckheimer, eine Wiederholung dessen, was Days of Thunder bereits 1990 für den Rennsport-Film war – und damit ein Gegenpol zu einer Entwicklung, die der Motorsportfilm seit den 2010-er Jahren genommen hat. Drei Filme markieren diese Bewegung besonders deutlich: Rush (2013) von Ron Howard, Ford v Ferrari (2019) von James Mangold und Ferrari (2023) von Michael Mann. Alle drei erzählen von realen Figuren des Motorsports. Alle drei sind aufwändig produziert, prominent besetzt – und doch könnten ihre erzählerischen Interessen kaum unterschiedlicher sein.

Ron Howards Rush basiert auf der Rivalität zwischen Niki Lauda und James Hunt in der Formel-1-Saison 1976. Er erzählt die Geschichte zweier gegensätzlicher Charaktere: Lauda, der disziplinierte, methodische Österreicher, und Hunt, der impulsive, genussorientierte Brite. Ihre Beziehung ist geprägt von Konkurrenz, gegenseitigem Respekt und wachsender persönlicher Erkenntnis. Dramaturgisch folgt Rush dem klassischen Genre-Diktat: Zwei Helden, ein Konflikt, ein Höhepunkt (Laudas schwerer Unfall am Nürburgring), gefolgt von einer Auflösung, die beider Entwicklung würdigt. Rationalität gegen Lebensgier, kaltes Denken gegen heißes Blut. Peter Morgans Drehbuch nutzt die wahre Begebenheit der Formel-1-Saison 1976, in der Lauda trotz schwerster Verletzungen ein spektakuläres Comeback feierte. Das Auto als Maschine und als Ort existenzieller Grenzerfahrung. Die adrenalingeladene Wirkung von Rush liegt besonders im Zusammenspiel der filmsprachlichen Mittel: schnelle Schnitte, intensive Renn-Action und eine musikalische Untermalung von Hans Zimmer dienen der permanenten Spannungserzeugung. Der Film ergreift nicht Partei: Weder Hunt noch Lauda wird zum moralischen Sieger erklärt. So unterschiedlich die beiden Rivalen in Rush auch sind, im Wesentlichen sind sie Sportler. Im Angesicht des Todes finden Rennfahrer jenes intensive Freiheitsgefühl, das im Alltag unerreichbar bleibt – ein Dasein, das sich erst dort erfüllt, wo jedes Zögern tödlich sein kann. Hunt und Lauda verweisen in Rush nur auf sich selbst, Menschen die ganz bei sich sind, im Moment – für die nur der Sieg zählt.

In James Mangolds Ford v Ferrari geht es um den Bau einer Maschine, die den Unterschied zwischen Gewinn und Niederlage machen soll. Anders als in Rush steht nicht nur der Fahrer im Mittelpunkt, sondern das gesamte Team – Technik und Management. Der Film behandelt die historische Auseinandersetzung zwischen dem US-Autohersteller Ford und dem italienischen Traditionsunternehmen Ferrari – ausgetragen auf der Rennstrecke von Le Mans im Jahr 1966. Wie ein General, der das Schlachtfeld überblickt, steht Henry Ford II am Fenster seiner Produktionsfestung. Seine Kriegserzählung ist revisionistisch-patriotisch: Nicht Soldaten hätten den Zweiten Weltkrieg gewonnen, sondern die Fließbänder der Ford-Werke. Diese Überhöhung industrieller Produktionskraft dient als Auftakt für den neuen, symbolischen Krieg gegen Enzo Ferrari, der die Romantik handgefertigter Maschinen verkörpert – und dem amerikanischen Größenwahn trotzt. Im Zentrum stehen der britische Rennfahrer Ken Miles und der Entwickler Carroll Shelby, die gemeinsam das scheinbar Unmögliche schaffen sollen: Ein US-Auto, das Ferrari schlagen kann. Ford v Ferrari erzählt keine Geschichte von Helden in Rennwagen, sondern von Funktionsträgern in einem kapitalistischen Gefüge. Der Film feiert zwar seine Figuren – aber am Ende obsiegt das System, das sie ausnutzt. Mangold stilisiert den Wettkampf zu einem Epos, doch darunter liegt eine bittere Wahrheit: Was zählt, ist nicht das Talent, nicht der Mut – sondern die Produktionskraft und die Markenmacht.

Ganz anders inszeniert Michael Mann seinen Film Ferrari. Die Handlung spielt im Jahr 1957 und konzentriert sich auf eine kurze, aber entscheidende Phase im Leben von Enzo Ferrari. Im Zentrum steht nicht nur ein Rennen, sondern Ferraris privater und geschäftlicher Zusammenbruch: die Krise seiner Ehe, der Tod seines Sohnes, die wirtschaftlichen Probleme seines Unternehmens und die Vorbereitung auf die Mille Miglia als letzte Hoffnung. Ferrari ist weder ein klassisches Biopic, noch ein Sportfilm, sondern eine existenzielle Abhandlung über das Scheitern am Fortschritt – und damit ein paradigmatischer Autorenfilm im engsten Sinne. In der Figur Enzo Ferraris verdichtet sich einmal mehr jene tragische Grundstruktur, die Manns Kino seit jeher antreibt: Der Held ist ein Mann der absoluten Kontrolle, ein Besessener seiner Profession, der jedes Detail seiner Welt durchdringen will – und dabei blind bleibt für die Kräfte, die sich seiner Kontrolle entziehen. In Ferrari gibt es den klassischen Antagonisten, den sportlichen Rivalen, nicht. Ohnehin interessiert Mann der Nervenkitzel des Rennens weniger – die Fahrzeuge sind alle rot, wie es historisch korrekt der Fall war, was aber jede visuelle Orientierung auf der Strecke unmöglich macht. Manns kompromissloser Authentizitätsanspruch ist da ebenso sichtbar wie seine Absage an konventionelle Spannungserzeugung. Die Rennszenen sind nicht mehr leserlich, ein Mitfiebern nahezu unmöglich. Enzo kämpft vor allem mit sich selbst und bleibt unwissend gegen die Übermacht des historischen Kapitalismus der Nachkriegszeit, der den Motorsport transformiert, und in den Orsi-Brüdern, den Leitern des Maserati-Unternehmens, lediglich äußere Gestalt annimmt: Sie stehen für eine Richtung im Rennsport hin zu einem von TV-Rechten, Markenwert und Medienpräsenz durchökonomisierten System. Dass Enzo dieses Spiel nicht versteht oder verstehen will – „Ferrari verkauft Autos, um Rennen zu gewinnen“, sagt er trotzig –, ist nicht nur Ausdruck seines Starrsinns, sondern einer tieferliegenden ontologischen Disposition. Ferrari zeigt einen Mann, der die Zahnräder der Ökonomie bedienen muss, sie aber verleugnet. Während andere längst auf Fernsehbilder und Verkaufszahlen setzen, will er Schönheit, Präzision, Geschwindigkeit – Ideale, die sich dem Marktwert entziehen. Hier offenbart sich Manns vision du monde in ihrer reinsten Form: ein Kino der modernen Tragödie, in dem die Welt nicht zu gewinnen ist, weil sie längst durch fremde Kräfte regiert wird. Letztlich geht es hier allenfalls noch oberflächlich um Sport, vielmehr aber um das, was bleibt, wenn der Motor längst verstummt ist. Das Rennen ist entschieden, doch es gibt keine Lösung für Enzo Ferraris Dilemmata. Ferrari ist ein Film, der die Komplexität des Lebens beschreiben, nicht den Oberflächenreizen des Rennsports verfallen will.

In Rush ist der Sport noch Zweck an sich. Die Fahrer stehen im Mittelpunkt. Sie riskieren ihr Leben, weil die Todesnähe sie erst lebendig macht – eine romantische, heroische Sicht auf den Wettkampf, ein naiver Glaube an den Sinn des Rennsports, an seinen Mythos. Ford v Ferrari zeigt die entzaubernde Verlagerung, indem er Sport als Werkzeug offenlegt. Der Sport wird hier zur Bühne eines unternehmerischen Kampfes. Der Kampf ist längst nicht mehr nur sportlich, sondern politisch und bürokratisch motiviert. Die Fahrer und Ingenieure sind Genies – aber auch nur Angestellte. Sie glauben noch an das Rennen, doch sie müssen funktionieren, weil das System die Leidenschaft instrumentalisiert. Der Mensch wird Mittel zum Zweck. In Ferrari wird über den Rennsport die Komplexität der modernen Welt offengelegt: Der Unternehmer ist hier selbst ein Rad im System, der Film ist die Dekonstruktion des Sportfilms aus sich selbst heraus. Rush feiert den Rennfahrer als Individuum, Ford v Ferrari zeigt ihn als Teil einer Maschine, Ferrari entzieht ihm schließlich jede Kontrolle. Was als Kampf um Geschwindigkeit beginnt, endet in der Aufhebung des Sportlers in der Marktlogik.

Marc Trappendreher
© 2025 d’Lëtzebuerger Land