Der Luxemburger Architekt und Urbanist, Léon Krier, der Zeit seines Lebens für klassische Formen und gegen die Vergänglichkeit des Modernismus kämpfte, starb am 17. Juni in Palma de Mallorca

Radikaler Freigeist

d'Lëtzebuerger Land du 04.07.2025

New York Times, Guardian, BBC. Die Liste der Nachrufe auf Léon Krier werden von den weltweit bekanntesten Medienhäusern angeführt. Immer wieder dabei hervorgehoben wird Kriers englische Retortenstadt Poundbury, die nach der von ihm propagierten Grundlage des polyzentrischen Stadtmodells und traditionellen Bauart mit tatkräftiger Unterstützung von König Charles III geplant und vergangenes Jahr fertiggestellt wurde. In Luxemburg fielen die Würdigungen Kriers vergleichsweise ernüchternd aus. Das Wort hob ihn beispielsweise als „Gegner der Tram“ hervor. Viel scheint seine Heimat jedenfalls nicht mehr mit ihm in Verbindung zu bringen. Allenfalls die Auseinandersetzungen um die Gestaltung der Cité judiciaire, die Léon Krier mit seinem Bruder Rob geplant hatte, dürfte dem einen oder anderen ein Begriff sein.

Léon Krier blieb zeitlebens eine ambivalente Persönlichkeit. Schuld daran war in erster Linie er selbst und in minderem Maße die Schar unkritischer Bewunderer, mit denen sich der Stararchitekt zunehmend umgab. Ein Rechtsextremer oder gar Holocaustleugner, wie manche nach der Veröffentlichung seiner Albert Speer-Monografie in ihm zu erkennen glaubten, war er jedenfalls nicht (d’Land vom 25.11.2022). Allenfalls ein Provokateur und, vor allem zuletzt, ein doch konservativer Weggefährte, aber auch eine zusehends tragische Figur – scheiterte er doch, letztendlich, mit seiner Vision einer Renaissance der humanistisch geprägten Stadt nach klassischem Muster. Ein Scheitern, nicht nur an der eigenen Kompromisslosigkeit, sondern auch am Zeitgeist und der Gier seiner Zeitgenossen. Doch scheinbar hatte er daraus schon früh eine ästhetische Grundhaltung abgeleitet. Bereits 1992 sprach er selbstbetrachtend von „a life of waste and failure, a modern life.“

Der Architekturprofessor an der Uni.lu, Florian Hertweck, erinnert sich an eine „schwierige, aber auch wichtige Person“, die beispielsweise Speers Architektur habe demytologisieren wollen, um sie gleich darauf wieder zu remythologisieren. In persönlichen Gesprächen sei Krier stets sehr „differenziert“ aufgetreten. Andererseits hätte er zuletzt in rechten Medien veröffentlicht und gegen Diversität Stimmung gemacht.

Krier wird nicht primär als Architekt in Erinnerung bleiben – dafür hat er schlicht zu wenig gebaut, treu nach seinem Spruch „Ich bin Architekt da ich nicht baue“ mit dem er seinen modernistischen Kollegen implizit die Berufsbezeichnung absprach. Nein, wenn dann sind es seine Kritik der Moderne, seine zahlreichen Schriften, wunderbaren Zeichnungen und sarkastische Diagramme, sein früher Einsatz für natürliche Baustoffe, sein Kampf gegen die Aufteilung historisch gewachsener Städte in funktionale Zonen und der daraus resultierenden Suburbanisierung, die in Erinnerung bleiben werden.

Noch vor einiger Zeit scheiterte Alain Linster mit seinem Antrag auf eine Ehrenmitgliedschaft Kriers bei der hiesigen Architektenkammer. Immerhin sei Léon Krier nicht im Besitz eines Architekturdiploms, wie man Linster entgegnete. In der Tat hatte Krier das Architekturstudium in Stuttgart schon nach sechs Monaten hingeschmissen. „Aber welcher Luxemburger Architekt kann von sich behaupten regelmäßig in der New York Times besprochen worden zu sein?“, gibt Linster, Mitbegründer des Lëtzebuerger Architektur Musée, zu bedenken. Wie dem auch sei: Das persönliche Archiv Kriers ging jedenfalls vor Kurzem in die Vereinigten Staaten. Genau wie zuvor, das Archiv seines 2023 verstorbenen Bruders Rob Krier in Frankfurt ein endgültiges Zuhause fand. Die University of Notre Dame im Bundesstaat Indiana, die Léon Kriers Nachlass nun verwaltet, hat dafür eigens den Bau eines neuen Flügels eingeleitet.

„Lëtzebuerg ass e bëssen esou, datt een sech ofschiermt vun deenen anere Lëtzebuerger, fir besser do ze stoen“, ironisierte jüngst der Architekt François Valentiny im 100,7-Interview. Tatsächlich begann die Entfremdung Léon Kriers von Luxemburg bereits Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre, als Krier aus der Ferne mitansehen musste, wie immer mehr Bausubstanz dem Modernisierungswillen der Stadtbehörden weichen musste. Wollte man die ideengeschichtliche Auswirkung der Zerstörung des Boulevard Royal auf einen Nenner bringen, Léon Krier hätte die Antwort: „The recent devastation of Luxembourg by the combined forces of planning and building alienated me from my homeland, but it gave a sense and direction to my life”. Er beschloss diese Entwicklung fortan publizistisch anzugreifen.

Als begnadeter Zeichner hatte er nämlich nach dem Abbruch seines Studiums bei James Stirling in London eine Anstellung gefunden und innerhalb von ein paar Jahren einen kometenhaften Aufstieg in der internationalen Architekturszene hingelegt. 1973 veröffentlichte Krier den Artikel „Park oder Parking“ (d’Land vom 2.2.1973), in dem er die „amoklaufenden Planphantasien“ und „rücksichtlose Dummheit“ der Stadt Luxemburg frontal angriff, welche im Rahmen des PAG-Vago, das Parkgelände zwischen Avenue Marie-Thérèse und Avenue Monterey abholzen und durch ein unterirdisches Parkhaus ersetzen wollte – was dann schließlich nicht geschah.

Als der französische Architekt Roger Taillibert 1978 mit dem Entwurf des Europaparlaments auf Kirchberg beauftragt wurde, ging Krier nochmals in Opposition. Krier unterrichtete damals seit einigen Jahren an der Architectural Association in London und hatte zwei Jahre zuvor beim Wettbewerb in Paris zur Neugestaltung des Parc de la Villette den zweiten Platz erreicht. Vor prallgefülltem Saal gab er in der früheren Nationalbibliothek eine Konferenz mit dem Titel „Analyse und Projekt für eine Stadt in Gefahr“. Krier zufolge hatte sich die Stadt Luxemburg seit dem Abriss der Festungsmauern zu einer „monotone Verwaltungsstadt“ gewandelt. Die Anwohner seien in die Vorstädte geflohen und das Leben mit ihnen ausgezogen. Die Stadt müsse radikal bewahrt werden und der Kirchberg zu einem wahrhaftigen Wohn- und Lebensviertel ausgebaut werden. Maßvolle, dichte Bebauung forderte Krier anstelle einer ineffizienten Ausdehnung der Stadt. Auch Tailliberts Entwurf landete schließlich in der Schublade.

„He single-handedly took on all the institutions” formuliert es der Architekt Colhum Mulhern, nicht ohne Bewunderung. Frontalangriffe waren aber in Luxemburg seit jeher die voie royale ins Abseits. Für seinen Entwurf zur Neugestaltung des Kirchbergs, den Léon Krier bereits international vorgestellt hatte und erst dann bei den Bâtiments Publics einreichte, wartete er noch Jahre später vergeblich auf eine Empfangsbestätigung, wie Mulhern erzählt. Den gebürtigen Iren hat es Ende der 80er Jahre aus Belfast nach Luxemburg verschlagen. Von den Gebrüdern Krier hatte Mulhern während seines Architekturstudiums erfahren und zusammen mit seiner Frau beschlossen sich im Großherzogtum niederzulassen. Der Luxemburger verschaffte ihm eine Anstellung, später assistierte Mulhern Krier bei der Planung von Poundbury.

Emmanuel Petit sollte Krier in Yale begegnen, nachdem sein Vater Jean Petit als „hardcore Modernist“ an vorderster Front gegen die Cité judiciaire der Gebrüder Krier gekämpft hatte. Beide, Léon Krier und Emmanuel Petit, unterrichteten zu dieser Zeit an der amerikanischen Universität und pflegten „einen ganz guten Kontakt“, auch wenn es beim Thema Architektur sofort „extrem ideologisch“ geworden sei, wie sich Emmanuel Petit erinnert. Einmal habe er Krier, der ihn in seiner Art sich zu kleiden an den Autor Tom Wolfe erinnerte, dabei beobachtet wie er seinen Studenten Reproduktionen von Häusern von Le Corbusier und Adolf Loos austeilte mit der Aufforderung: „Jetzt macht das klassisch“, was Petit als „völlig absurd“ empfand. Die Gebrüder Krier seien aber zweifelsohne für die „Kodifizierung der Postmoderne“ ausschlaggebend gewesen, wie der Architekt und Autor eines Buches über die Ironie in der Postmodernen Architektur, gebührend festhält.

Lucien Steil unterrichtet bis heute in den USA, an der für traditionelle Architektur bekannten University of Notre Dame. Mit Léon Krier teilt er neben der Eloquenz eine Vorliebe für ungewöhnliche Outfits. Was bei Krier der Hut und Dreiteiler war, wird bei Steil noch durch Cowboystiefel ergänzt. Geschmacklich wäre Krier das vermutlich zu weit gegangen, programmatisch waren die beiden jedoch stets auf einer Linie. Bei Krier faszinierte ihn der antikapitalistische Ansatz, das Interesse für natürliche Baustoffe und die einfache Technologie, die sich im Rahmen der natürlichen Gesetze der Schwerkraft bewegt. Im Rahmen seiner These an der Architekturfakultät Paris hatte Steil einen Gegenentwurf zur Renovierung Eschs ausgearbeitet, mit besonderer Berücksichtigung der Tradition des öffentlichen Wohnungsbaus und der sozialen Vielfalt. Oder wie Steil es selbst formuliert: „Die Stadt als Instrument des Klassenkampfes und Teil des urbanistischen Programms“.

Für Lucien Steil ist Krier nie ein „Revivalist“ gewesen, sondern „ein kreativer Denker, der in der Klassik eine Opportunität für Modernität in einer evolutionären Form sah – und nicht wie der Modernismus ein stagniertes festgefrorenes anti-historisches Dogma“. Ob Kriers Town Hall in Windsor oder die Siedlung Seaside in Florida, hier sei allen Meinungen zum Trotz ein kreativer Modernist am Werk gewesen. Dass in Seaside der Strand mittlerweile privatisiert ist und die Menschen in Poundbury Kriers Hauptplatz vollparken, liege daran, dass selbst gute Urbanistik das Fehlen einer „kulturellen Dimension“ nicht ausgleichen kann.

Christian Bauer gehört zu jenen Architekten, die nie mit Léon Krier gebrochen haben. „Leo“ sei richtig bekämpft worden und er hätte auch sehr darunter gelitten, erzählt Bauer. Recht behalten habe Krier im Städtebau. Was seine Formensprache betrifft, so sei diese mal mehr, mal weniger angebracht gewesen. „Er stellte halt die Dinge in Frage und in Luxemburg hat man das nicht so gern“. Auch habe Krier eigentlich kein „Gegenüber“ gehabt, sodass er sich notgedrungen immer wieder von Neuem „radikalisiert“ habe. „Ech sinn e Kontextuellen“ sagt Bauer von sich selbst: In einer Altstadt soll repariert werden. In anderen Fällen mag Modernismus die bessere Lösung sein. Fest steht: „Krier hat die Kultur in der Architektur bereichert“. Oft lebten Architekten in ihrer eigenen Blase – aufgrund wirtschaftlicher Zwänge, aber auch weil die Kunden in der Regel nicht belehrt werden wollen. In den letzten Jahren habe Krier aber ein „gutes Leben gelebt“, wie Bauer mit Genugtuung feststellt. Das sei Kompensation gewesen für seine schwierigen Anfangsjahre.

Frédéric Braun
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