In diesen Tagen tritt das Ende Mai vom Parlament verabschiedete Gesetz in Kraft, das die Kandidatenzahl für die Europawahlen senkt. Statt zwölf, dürfen die Listen nächstes Jahr nur noch sechs Kandidaten für die sechs Luxemburg zustehenden Mandate in Straßburg aufführen. Diese Reform ist bekanntlich die ziemlich vermurkste Antwort auf den knappen Ausgang des Referendums über den Europäischen Verfassungsvertrag vor drei Jahren. Weil die Parteien sich weder auf die anfänglich versprochene Organisation von Landes- und Europawahlen an verschiedenen Daten, noch auf ein Verbot von Doppelkandidaturen zu beiden Wahlen einigen konnten, setzte sich schließlich die CSV mit der Senkung der Kandidatenzahl bei den Europawahlen durch.
Auf diese Weise sollen zumindest die großen Parteien gezwungen werden, auf Doppelkandidaturen zu verzichten. Wenn sie nämlich zu viele Spitzenpolitiker ins Europaparlament wählen lassen, die dann ihr Mandat nicht annehmen, um lieber Minister oder nationale Abgeordnete zu werden, laufen sie Gefahr, keine Ersatzkandidaten mehr zu haben. Derzeit sind sämtliche Ersatzkandidaten von CSV und LSAP Minister oder nationale Abgeordnete, die drei Ersatzkandidaten der DP, die keine nationalen Abgeordneten sind, haben sich aus der Politik zurückgezogen oder wurden aus der Partei ausgeschlossen.
Für die Parteien, die derzeit bereits eifrig auf der Suche nach Kandidaten für die Kammer- und Europawahlen sind, stellt dies ein neues Moment dar. Den Grünen oder der ADR bereitet es weniger Kopfzerbrechen, weil sie damit rechnen, ihr einziges Europamandat zu behalten, beziehungsweise keines zu erlangen. Von einem Mangel an Ersatzkandidaten wird also keine Rede sein können, selbst wenn der eine oder andere Erstgewählte auf sein Europamandat verzichten würde.
Anders sieht es bei CSV, LSAP und DP aus, die für alle Fälle gerüstet sein müssen, einschließlich einer Regierungsbeteiligung, welche einen erhöhten Bedarf an Ersatzgewählten zum nationalen Parlament verursacht, und einer Wahlniederlage, bei der das Europaparlament bisher ein willkommenes Exil für gescheiterte Spitzenleute war.
Nun muss man sich also im Voraus entscheiden, wo man welche Kandidaten aufstellt. Es heißt, sorgfältig abwägen, um ausreichend national bekannte Politiker für Straßburg kandidieren zu lassen, um möglichst viele Stimmen und Mandate zu erhalten, ohne die Parteiprominenz restlos für Europa zu verheizen. Eine der Folgen könnte sein, dass das Europaparlament den Parteien zu Regierungs-, wie zu Oppositionszeiten, also noch mehr als bisher, dazu dient, das Ende der Laufbahn und den Lebensabend altgedienter Regierungs- und Parlamentsmitglieder zu vergolden. Denn sie sind landbekannt und werden doch nicht mehr richtig gebraucht. Die CSV hat bereits gute Aussichten, nächstes Jahr die Alterspräsidentin des Europaparlaments zu stellen.
Und die Parteien beschließen am besten schon im Voraus, wie viele Mandate sie im Europaparlament haben wollen. Dann können sie festlegen, wie viele Prominente sie als Strohmänner und -frauen aufstellen, um Stimmen zu sammeln, und wie viele Kandidaten, die nachrücken, um die Mandate tatsächlich anzunehmen. Was dann ein wenig auf die Neuerfindung des „Sitzredakteurs“ des 19. Jahrhunderts hinausläuft. Damals gaben in den Zeitungen arme Schlucker ihren Namen her, um notfalls anstelle der Autoren die Gefängnisstrafe nach einem Presseprozess abzusitzen.